Stresstest für die Lieferkette
Proaktives Risikomanagement bei der Materialbeschaffung in Pandemiezeiten
Während der ersten Phase der Covid-19-Pandemie im Frühjahr 2020 wurde vielen Branchen klar, dass die mit der Globalisierung und der Verlagerung der Rohstoffproduktion nach Asien verbundenen Risiken seit vielen Jahren akzeptiert, wenn nicht gar ignoriert wurden.
Die besondere Problematik der pharmazeutischen Industrie besteht darin, dass die Wirkstoffe entweder nur in Asien erhältlich sind oder – falls diese in Europa hergestellt werden – die Zwischenprodukte oft asiatischen Ursprungs sind. Diese Situation wird dadurch noch weiter verschärft, dass auf dem stark regulierten Arzneimittelmarkt viele Dossiers nur eine Rohstoffquelle zulassen. Um diesen Stresstest für die Lieferkette zu meistern und sicherzustellen, dass die Lieferungen so reibungslos wie möglich ablaufen, sind ein proaktives Risikomanagement und eine beständige Kommunikation mit allen Beteiligten, sowohl intern als auch extern, unerlässlich.
Transparenz schaffen
Die Realisierung einer transparenten und durchgängigen Sicht auf eine komplexe mehrstufige Lieferkette beginnt mit der Identifizierung kritischer Materialien und der Hauptgründe für deren Kritikalität. Dabei sollte zwischen direkten und indirekten Materialien unterschieden werden.
Betroffene indirekte Materialien sind hauptsächlich PPA-Artikel (personal protection accessories, dt.: persönliches Schutzzubehör) wie Masken, Handschuhe, usw. Hier war während der ersten Welle der Pandemie die Verfügbarkeit aufgrund der explodierenden Nachfrage und steigenden Kosten der bestimmende Faktor.
Direkte Materialien sind alle Rohstoffe wie Wirkstoffe, Hilfsstoffe, etc. sowie Verpackungsmaterialien.
Die Faktoren für das Beschaffungsrisiko bei den direkten Materialien sind der Produktionsort sowohl für den Rohstoff als auch für die Vorprodukte (sog. Zwischenprodukte), die Höhe des lokalen Infektionsgeschehens (in der aktuellen Pandemie der jeweilige Status des Covid-19-Risikogebiets), die Anzahl und der Standort alternativer Beschaffungsquellen, der Status der Bestände in der Wertschöpfungskette und die Nachfrage der Kunden. Vor diesem Hintergrund entwickelte Aenova eine Risikoindexanalyse auf Materialebene.
Darüber hinaus müssen die relevanten Lieferanten und Subauftragnehmer näher beleuchtet werden: Treiber für das Lieferantenrisiko sind u.a. die aktuelle Situation und die Wahrscheinlichkeit einer Fabrikschließung, die Kapazitätsverfügbarkeit, das Lieferantenrisikomanagement oder der Kreditstatus. Dies führte zu einer Risikoindexanalyse auf Lieferantenebene.
Hinzu kommen die Risikofaktoren, die speziell bei einer Pandemie auftreten. Dies sind vor allem Faktoren, die schwer zu beeinflussen sind und sich ständig ändern, wie z.B. Ausfuhrbestimmungen für bestimmte Rohstoffe, Reisebeschränkungen, Grenzschließungen und die Verfügbarkeit von Transportmitteln. Dies führte zu einer Risikoindexanalyse auf der Grundlage von Überlegungen zur Pandemie.
Abschließend wurden diese drei Risikoindizes kombiniert, ein spezifisches Risikoprofil abgeleitet und in einer risikobasierten Übersicht dargestellt.
Maßnahmen etablierten und nachverfolgen und Lieferantennetzwerke entwickeln
Auf der Grundlage der Risikoindizes haben wir ein Instrument zur Risikoverfolgung entwickelt. In diesem Tool werden die Risiken kontinuierlich bewertet, die Risikoauswirkungen abgeschätzt, Maßnahmen zur Abhilfe definiert und die Kontrolle des individuellen Risikos bewertet und überwacht.
Dieser Ansatz ermöglicht es, Probleme und mögliche Lösungen während der Pandemie transparent und zeitnah zu visualisieren, zu kommunizieren und schnelle Entscheidungen zu treffen.
Zur Visualisierung des Prozesses wurde eine Ampellogik etabliert, die die Risiken in drei Stufen – rot, gelb, grün – einteilt.
- Grün: Risiko identifiziert und Maßnahmen zur Risikovermeidung eingeleitet.
- Gelb: Risiko ist bereits weit fortgeschritten, aber die Auswirkungen können immer noch minimiert oder durch Neuplanung bewältigt werden, so dass es keine Auswirkungen auf das Geschäft hat.
- Rot: Das Risiko ist eingetreten, und es müssen Anstrengungen unternommen werden, um den Schaden zu verringern.
Eine wichtige Voraussetzung für die Umsetzung, Kommunikation und Genauigkeit von Informationen ist die digitale Unterstützung durch Systeme und die damit verbundene Schaffung einer "Quelle der Wahrheit".
In dem daraus resultierenden Instrument zur Risikoverfolgung werden die betreffenden Rohstoffe und Verpackungsmaterialien aufgelistet. Für jedes Risikomaterial werden die oben beschriebenen Informationen wie Spezifikation, Status der einzelnen Quellen, mögliche alternative Quellen, erwartete Lieferzeit, betroffene Kunden, usw. angegeben. Darüber hinaus werden die genauen Faktoren des Risikos beschrieben und bewertet sowie Maßnahmen abgeleitet und umgesetzt.
Aufgrund der hohen Volatilität während der Pandemie werden Risiken und Maßnahmen täglich verfolgt, um eine sofortige Reaktion auf die sich ständig ändernde Situation zu ermöglichen.
Aus den Erfahrungen lernen
CDMOs sind von einer großen und komplexen globalen Lieferkette abhängig. Die Pandemie hat deutlich gemacht, dass Lieferketten einem größeren Risiko unterliegen, unterbrochen zu werden. Unsere Erkenntnisse lassen sich in externe, branchenspezifische und interne Lehren unterteilen.
Hinsichtlich der externen Lehren liegt der Schwerpunkt auf der eindeutigen Abhängigkeit von Rohstoffquellen, insbesondere in Asien. Hier muss eine politische und strategische Entscheidung getroffen werden, um sicherzustellen, dass die Produktion lebenswichtiger Rohstoffe wieder in Europa stattfindet. Ein weiterer wichtiger Punkt ist der hohe Anteil von Lieferanten aus einer Hand in einem stark regulierten Umfeld. Hier sind die Identifizierung und Genehmigung alternativer Ressourcen von grundlegender Bedeutung.
Intern werden die daraus gezogenen Lehren und Ad-hoc-Aktionen nun in nachhaltige Prozesse umgesetzt und in das interne Business-Continuity-Programm des Unternehmens integriert.
Ein weiterer Schritt zur schnelleren Lösungsfindung bestand darin, Routinen aufzubrechen und agil und ganzheitlich, auch über Unternehmensgrenzen hinweg, effektiv zusammenzuarbeiten.
Innovation und Digitalisierung – einschließlich des Einsatzes künstlicher Intelligenz –, Wissensmanagement sowie die integrierte Planung und Vernetzung der gesamten Wertschöpfungskette spielen eine entscheidende Rolle für die zukünftige Entwicklung und kontinuierliche Verbesserung.
Das Ergebnis ist ein Frühwarnsystem mit immer umfangreicheren Echtzeitdaten, die in Prozesse einfließen können, um so schnell wie möglich auf die Volatilität während einer Pandemie zu reagieren, bevor die Situation problematisch wird.
Als letzter übergreifender Punkt ist die Bedeutung gut etablierter Lieferantenpartnerschaften und -netzwerke deutlich geworden. Es ist entscheidend, auch in Zukunft in vertrauenswürdige Lieferantenbeziehungen zu investieren und strategische Lieferanten zu identifizieren, aufzubauen und zu entwickeln. Aenova ist dies gelungen.
Zusammenfassend bleibt festzuhalten, dass die Coronaviruskrise viele Missstände aufgezeigt hat, die nun ganzheitlich, systematisch und nachhaltig behoben werden müssen, um auf zukünftige Stresssituationen in der Lieferkette noch besser vorbereitet zu sein. Schließlich geht es nach wie vor darum, die Versorgung der Patienten mit zum Teil lebenswichtigen Medikamenten sicherzustellen.
Aenova Group
Aenova ist einer der größten Auftragsdienstleister (CDMO) weltweit in der Pharma- und Healthcare-Branche. Aenova bietet eine vollständige Palette von Darreichungsformen und integrierten Verpackungs- sowie pharmazeutischen Dienstleistungen, einschließlich der Lieferung für klinische Studien, Analytik und die Entwicklung von Formulierungen. Das Unternehmen mit Hauptsitz in der Nähe von München betreibt 15 Produktionsstätten und mehrere Verkaufsbüros in zehn Ländern. Mehr als 4.300 Mitarbeiter tragen zum Erfolg der Gruppe bei.