Märkte & Unternehmen

Chemiekonjunktur – zweite Infektionswelle dämpft Erholung der europäischen Chemie

Die Chemie- und Pharmaindustrie kam bisher besser durch die Krise als viele andere Industriebranchen

03.12.2020 - Die Chemiebranche hofft auf geringerer Nachfrageausfälle aufgrund des zweiten Shutdowns als im Frühjahr.

Die Coronaviruspandemie stürzte die europäische Wirtschaft in eine tiefe Rezession. Sie brach im 2. Quartal als Folge des Shutdowns drastisch ein. Mit den Lockerungen der Eindämmungsmaßnahmen kam es in den Sommermonaten dann zu einer kräftigen Erholung. Mit einem Plus von 8,5 % in Deutschland und 16 – 18 % in Italien, Spanien und Frankreich fiel die Erholung kräftiger aus als von vielen Experten erwartet. Im Schlussquartal erfasst eine zweite Infektionswelle Europa mit voller Wucht. Immer mehr Länder ergreifen Eindämmungsmaßnahmen, um dem Infektionsgeschehen Herr zu werden. Während einige Länder wie Frankreich, Spanien oder Österreich einen erneuten Shutdown anordnen, fallen in Deutschland und anderen Ländern die Einschränkungen im Herbst moderater aus als noch im Frühjahr. Die Industrie ist von den Maßnahmen von wenigen Ausnahmen abgesehen nicht direkt betroffen. Dies lässt die Chemie- und Pharmaindustrie hoffen, dass die Nachfrageausfälle geringer sein werden als dies im Frühjahr der Fall war.

Nachfrage nach Chemie- und Pharmaprodukten erholt

Die EU-Wirtschaft brach im 2. Quartal des Jahres im Vergleich zum Vorquartal um 11,4% ein. Am stärksten fiel der Rückgang in Frankreich, Italien und Spanien aus. Hier ging die Wirtschaftskraft um mehr als 13 % zurück – in Spanien sogar um fast 18%. Im dritten Quartal waren hier die Nachholeffekte aber auch besonders groß. Insgesamt stieg das Bruttoinlandsprodukt (BIP) im 3. Quartal um 11,6%.

Anders als in anderen Wirtschaftskrisen sind von der Corona­krise insbesondere Dienstleistungen – Gastgewerbe, Tourismus, Luftfahrt, Freizeitaktivitäten – negativ betroffen. Zwar brach im Zuge der Krise im Frühjahr auch die Industrieproduktion stark ein. Aber im Gegensatz zum Dienstleistungssektor fiel die Erholung hier bereits wieder sehr dynamisch aus. Die Industrieproduktion stieg im 3. Quartal um fast 18%. Alle Industriebranchen wuchsen dynamisch. Damit erholte sich auch die Nachfrage nach chemischen und pharmazeutischen Erzeugnissen wieder deutlich (Grafik 1).

Im 4. Quartal schwächt sich die Wirtschaftsdynamik laut den Stimmungsindikatoren wieder ab. Einkaufsmanagerindizes weisen auf eine sinkende Wirtschaftsleistung hin. In einigen Ländern wie bspw. Frankreich ist hiervon auch die Industrie betroffen. Vor diesem Hintergrund ist nach Schätzung des Verbands der Chemischen Industrie (VCI) im 4. Quartal von einem Rückgang bei BIP und Industrieproduktion auszugehen.

Chemie und Pharma mit leichtem Plus im 3. Quartal

Die Chemie- und Pharmaindustrie kam bisher besser durch die Krise als viele andere Industriebranchen. Während in einigen Branchen die Rückgänge im Frühjahr weit im zweistelligen Bereich lagen, sank die Produktion der Chemie- und Pharmaindustrie in der EU „nur“ um 5,6% unter Vorquartal.

 

„Die Chemie- und Pharmaindustrie kam bisher besser durch die Krise als viele andere Industriebranchen.“

Henrik Meincke, Chefvolkswirt, VCI

 

Das Vorjahr wurde um knapp 4% verfehlt. Stützend wirkte die Produktion von Pharmazeutika, eine starke Nachfrage nach Hygieneartikeln und Verpackungsmaterialien und in einigen Ländern auch eine stabile Nachfrage nach Bau- und Agrarchemikalien. Allerdings fielen im 3. Quartal dann auch die Nachholeffekte geringer aus als im Rest der Industrie. Die Chemie- und Pharmaproduktion stieg insgesamt um 1,4% ggü. dem 2. Quartal und lag damit um 0,7% unter Vorjahr (Grafik 2).

Über Vorjahr lag die Produktion von Pharmazeutika. Dank einer hohen Nachfrage und zur Absicherung der Versorgung in der Gesundheitskrise blieb die Produktion im bisherigen Jahresverlauf auf einem hohen Niveau. Bis einschließlich September wurde der Vorjahreswert um 5,3% übertroffen. Auch die Petrochemikalien hatten insgesamt weniger starke Einbußen. Die Produktion lag in den ersten neun Monaten nur knapp unter Vorjahr. Allerdings verzeichnete die Sparte in den vergangenen Jahren deutliche Rückgänge, so dass das Ausgangsniveau insgesamt niedrig war. Die Anpassung der großen Anlagen auf rapide Nachfrageänderungen ist zudem schwierig. Die Produktion reagiert damit weniger volatil.

 

Der VCI rechnet für 2021 mit einem Anstieg
der europäischen Chemie- und
Pharmaproduktion um 2 %.

 

Die stärksten Einbrüche mussten die Polymere verkraften. Insbesondere die Nachfrageausfälle von Seiten der Automobilindustrie machten der Branche zu schaffen. Die höhere Nachfrage nach Verpackungen konnte diesen Ausfall nicht kompensieren. Die Spezialchemikalien lagen ebenso deutlich unter Vorjahr, da die Nachfrage von Seiten aller Industriekunden schwach ausfiel. Bei den Konsumchemikalien konnten zwar die Hersteller von Seifen, Reinigungs- und Desinfektionsmitteln ihre Produktion teilweise sogar deutlich ausweiten. Dies reichte aber nicht aus, um die Einbrüche bei Kosmetika zu kompensieren (Grafik 3).

Preise weiterhin unter Vorjahr

Mit dem Einbruch des Ölpreises und der Nachfrage gaben auch die Preise für chemische Erzeugnisse deutlich nach. Insbesondere die rohölnahen Sparten verzeichneten im zweiten Quartal starke Preisrückgänge. Mit der Erholung des Ölpreises zogen die Preise zwar wieder etwas an. Sie lagen aber weiterhin deutlich unter Vorjahr. Die nach wie vor schwache Nachfrage auf der einen und nur leicht steigende Rohstoffkosten auf der anderen Seite verengten die Preissetzungsspielräume der Unternehmen.

Die Erzeugerpreise für chemisch-pharmazeutische Produkte lagen in den ersten neun Monaten des Jahres mit -3,7% deutlich niedriger als ein Jahr zuvor. Innerhalb der Sparten war die Preisentwicklung allerdings unterschiedlich. Pharmazeutika, Konsumchemikalien und Spezialchemikalien waren durchaus teurer als ein Jahr zuvor. Der starke Rückgang der Preise insgesamt ist allein auf den Preisverfall bei Grundstoffchemikalien zurückzuführen.

Umsätze: Vorjahresniveau ist noch in weiter Ferne

Mit der Erholung der Produktion und der Preise, stiegen auch die Umsätze der Branche in den Sommermonaten wieder. Insgesamt lagen die Umsätze von Januar bis August 2020 mit –4,8% aber immer noch deutlich unter Vorjahr. Während insbesondere das Europageschäft schwierig blieb, entwickelten sich die Auslandsumsätze etwas besser. Unterschiede gab es auch innerhalb der Branche: Die Umsätze mit Chemikalien brachen im Frühjahr deutlich ein und erholten sich dann kontinuierlich. Das Vorkrisenniveau lag bis August mit –9% aber noch in weiter Ferne. Dagegen konnten die Pharmaumsätze von Januar bis August ihr Vorjahr mit +3% deutlich übertreffen. Die Entwicklung war dabei aber sehr volatil. Vorsorgekäufe führten im März zu einer starken Zunahme der Umsätze. Im weiteren Verlauf des Jahres schwankten die Verkäufe (Grafik 4).

Ausblick: Risiken nahmen zuletzt wieder zu

Mit der kräftigen Erholung in den Sommermonaten mit Zuwächsen, die teilweise stärker ausfielen als dies erwartet worden war, stieg die Hoffnung vieler Unternehmen, schneller und besser aus der Krise zu kommen als befürchtet. Die Beurteilung der Geschäftslage nahm kontinuierlich zu, die Erwartungen waren hoch und die Stimmung verbesserte sich. Das Infektionsgeschehen im Herbst machte der vorsichtig optimistischen Stimmung dann vorzeitig ein Ende. Die von nahezu allen europäischen Ländern getroffenen Maßnahmen zur Eindämmung der stark steigenden Infektionszahlen schürt bei den Industrieunternehmen die Befürchtung, dass die Erholung im Winter zum Erliegen kommt. Zwar wirken sich die Maßnahmen vor allem auf die Dienstleistungsbereiche aus, aber auch die Industrieunternehmen werden durch Nachfrageausfälle und Produktionsbehinderungen Rückschläge hinnehmen müssen.

Die Industriekunden fahren auf Sicht
und halten sich mit Bestellungen zurück.


Damit haben sich auch für die Chemie- und Pharmaindustrie die Aussichten wieder eingetrübt. Die Industriekunden fahren auf Sicht und halten sich mit Bestellungen zurück. Zwar mögen einzelne Bereiche – wie Hygieneartikel, Verpackungen, Pharmazeutika – eine Nachfragebelebung erleben. Diese wird aber nicht so stark ausfallen wie im Frühjahr. Das 4. Quartal erfährt damit einen deutlichen Dämpfer. Im Gesamtjahr wird die Produktion der Branche knapp unter Vorjahr liegen. Im nächsten Jahr dürfte sich die Erholung aber fortsetzen. Positive Signale gehen dabei insbesondere von der Impfstoffentwicklung aus. Der VCI rechnet für 2021 mit einem Anstieg der europäischen Chemie- und Pharmaproduktion um 2% (Grafik 5).

Autor: Henrik Meincke, Chefvolkswirt, Verband der Chemischen Indus­trie e.V., Frankfurt am Main

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