Welche Temperierungssysteme haben Zukunft?
Temperaturgeführte KEP-Pharmadistribution: aktuelle Studienergebnisse im Schweizer Markt
Bisher fehlen konkrete technische Beschreibungen und allgemeingültige Entscheidungen des Schweizer Regulations- und Kontrollorgans SwissMedic. Um etwas mehr Klarheit in diese Situation zu bringen, hat das Institut für Supply Chain Management der Universität St.Gallen eine Studie erstellt, die sich insbesondere die Perspektive von Logistikdienstleistern in der Schweiz zu Eigen macht.
Durch Branchenriesen wie z.B. Novartis und Roche ist die Schweiz ein bekannter Pharmastandort. Die Distribution von Medikamenten auf dem nationalen Markt an Ärzte, Apotheken und Drogerien unterliegt strengen Regulierungen und ist entsprechend aufwendig. Mit Inkraftsetzung der GDP-Richtlinien wurden diese zusätzlich verschärft. Als Folge mussten neben den bereits etablierten Temperierungssystemen für das Temperaturband Cold (2-8°C) ebenfalls Temperierungssysteme und Prozesse für das Temperaturband Ambient (15-25°C) eingeführt werden. Die damit verbundene Erhöhung der Anforderungen an das Handling und die Temperierung führen zu Mehrkosten, welche die Dienstleister ihren Kunden nur begrenzt weiterberechnen können.
Auf der Suche nach neuen Distributionslösungen stehen neben den bereits etablierten aktiven Temperierungssystemen neuartige passive und kombinierte Systeme zur Disposition. Der Einsatz dieser Systeme ist jedoch umstritten, da die SwissMedic bisher keine allgemeinverbindlichen Entscheidungen zur Auslegung der GDP-Richtlinien getroffen hat. Ebenfalls fehlen technische Beschreibungen zugelassener Temperierungssysteme. Deshalb werden Grenzwerte und Toleranzen zurzeit von den Marktteilnehmern selbst bestimmt. Als Folge dieser unsicheren Rechtslage ist es für Logistikdienstleister nicht klar, ob die derzeit verwendeten Temperierungssysteme, in der aktuellen Ausgestaltung, langfristig von der SwissMedic zugelassen bleiben.
Such nach dem passenden Temperierungssystem
Die Frage nach der Zulassung der einzelnen Systeme geht auf die Unterschiede der Temperierungssysteme zurück. Aktive Temperierungssysteme ermöglichen eine quasi unbegrenzte Transportdauer durch die aktive Temperierung des Laderaums. Das Öffnen des Laderaums bei Be- und Entladung sowie bei Stopps während der Touren verursacht jedoch Temperaturdifferenzen. Deshalb ist entscheidend, welche Toleranzen von der SwissMedic langfristig akzeptiert werden.
Passive Temperierungssysteme erreichen eine exakte Temperierung auf Sendungsebene. Die Abhängigkeit vom internen Wärmespeicher begrenzt jedoch die maximale Transportzeit. Ebenfalls wirken sich das Gewicht und die Größe der Spezialverpackung negativ auf das Handling aus. Deshalb muss die Praxis zeigen, welche technologische Leistungsfähigkeit von den Kunden erwartet wird und für einen rentablen Einsatz erforderlich ist.
Aktive, passive und kombinierte Systeme sind jedoch nicht substituierbar. Sie weisen lediglich in Teilbereichen relative Vor- und Nachteile auf, die gezielt für spezifische Anwendungen genutzt werden können. Aktive Temperierungssysteme eignen sich dabei für die Bündelung hoher Sendungsvolumina pro Temperaturband. Die Verwendung von Standard-Verpackungen erleichtert das Handling und reduziert Transportvolumen sowie -gewicht.
Kombinierte Systeme bieten zusätzlich die Möglichkeit, die Touren flexibel mittels Zuladung kleiner Sendungsvolumina verschiedener Temperaturbänder besser auszulasten. Passive Temperierungssysteme sind hingegen für die Bündelung kleiner Sendungsvolumina pro Temperaturband gemeinsam mit nicht temperaturgeführten Sendungen von Vorteil. Die Temperierung auf Sendungsebene ermöglicht dabei eine rentable Distribution auch bei stärker schwankenden Sendungsvolumina durch gemischte Ladungen.
Die Analyse der Systeme zeigt Wechselwirkungen zwischen dem Spezialisierungsgrad des Dienstleisters und dem Einsatz bestimmter Temperierungssysteme. Auf Spezial-Transportfahrzeugen beruhende Temperierungssysteme sind aufgrund ihrer hohen Spezifität und höherer Fixkosten auf eine hohe Auslastung mit Sendungen eines homogenen Temperaturbandes angewiesen. Dazu bedarf es der Bündelung dieser Sendungen unter Beachtung der Temperaturbänder. Auf Standard-Transportfahrzeugen beruhende Systeme erreichen eine ausreichende Auslastung über den Mischverkehr von temperaturgeführten und nicht temperaturgeführten Sendungen. Für einen rentablen Betrieb muss ein Dienstleister daher über ein flächendeckendes Distributionsnetz mit ausreichenden Sendungszahlen verfügen.
Passive Temperierungssysteme im Blick
Die größte Herausforderung im Umgang mit passiven Temperierungssystemen liegt im Handling der Spezialverpackungen, denn die Isolationsverpackungen führen zu Kapazitätsverlusten durch ihr spezifisches Gewicht und Volumen bei Transport, Lagerung und Retouren. Im Gegenzug ermöglichen sie den Einsatz von Standard-Transportfahrzeugen und die Gewährleistung der exakten Einhaltung der Temperierungsvorgaben auf Sendungsebene. Passive Temperierungssysteme stehen aber erst am Anfang ihrer Entwicklung. Deshalb lohnt sich ein Blick in die Zukunft.
Künftig stehen vor allem zwei Konzepte im Vordergrund, welche den Einsatz passiver Temperierungssysteme gestützt auf die Digitalisierung grundlegend verändern könnten. Das Konzept der „Prognose-gestützten Distribution“ ermöglicht es, pharmazeutische Produkte des Temperaturbands Ambient teils nicht temperaturgeführt zu transportieren. Das Konzept beruht auf der Messung und Auswertung von Klimadaten. Da die mittlere Temperatur in der Schweiz meist innerhalb des 15-25°C Bereichs liegt, kann dabei teils auf die Spezialverpackung verzichtet werden. Diese Sendungen können dann über den standardisierten Paketkanal abgewickelt werden, wodurch der zusätzliche Aufwand für das spezifische Handling vollständig entfällt.
Einen weitaus größeren Entwicklungssprung strebt das Konzept der „aktiven Echtzeitüberwachung“ an. Die fahrzeugunabhängige Temperierung wird mit eigener Intelligenz ausgestattet. Die Bestückung der Isolationsboxen mit Standort- und Temperatursensoren vereinfacht das Bestandsmanagement der Spezialverpackungen und die Kontrolle der Temperaturvorschriften. Das wirkliche Potential entfaltet sich jedoch erst mit der Vernetzung der Sensordaten mittels Internet of Things-Anwendungen. Damit lassen sich künftig Auslieferungsprozesse in der Pharmadistribution in Echtzeit intelligent steuern. Darauf aufbauende Blockchain-Lösungen können die Fälschungssicherheit zusätzlich erhöhen. Der Markt ist im Wandel – und bietet den Akteuren viele Potenziale.