Evotec setzt auf ein hybrides Geschäftsmodell
Das Hamburger Biotechunternehmen fokussiert sich auf Entwicklungsservices und Eigenentwicklungen
Evotec zählt mit über 2.100 Mitarbeitern und einem Umsatz von mehr als 200 Mio. EUR hierzulande zu den Großen seiner Branche. Das Hamburger Biotechnologieunternehmen bietet zum einen Forschungs- und Entwicklungsservices für andere Pharma- und Biotechunternehmen sowie akademische Einrichtungen an. Darüber hinaus entwickelt Evotec eigene Moleküle, um diese dann in Partnerschaften einzubringen. Auf diese Weise hat das Unternehmen ein weites Geflecht an Kooperationen, Beteiligungen und Lizenzverträgen aufgebaut. Thorsten Schüller hat Vorstandschef Werner Lanthaler gefragt, wie er all diese Kontakte managt, womit Evotec sein Geld verdient und wohin er das Unternehmen weiterentwickeln will.
Herr Lanthaler, Sie haben Evotec auf die fünf Therapiebereiche Neurowissenschaften, Onkologie, Antiinfektiva sowie Stoffwechsel- und Entzündungskrankheiten spezialisiert. Darüber hinaus bedienen sie elf Kompetenzen in der Arzneimittelentwicklung. Wofür steht Evotec genau?
Werner Lanthaler: Unser Spektrum mag komplex wirken, tatsächlich ist aber das, was wir tun, rasierklingenscharf fokussiert. Wir können für jeden Partner, egal ob Pharmaunternehmen, Biotechfirma oder akademische Einrichtung, die gesamte Kaskade der Arzneimittelentwicklung anbieten. Das sind, je nach Einteilung, fünf bis 15 Schritte von einer Target-Idee bis zur Klinik. Diese Bandbreite haben früher nur große Pharmaunternehmen abgedeckt.
Ist Evotec also vor allem ein Serviceanbieter für die Pharma- und Biotechindustrie?
W. Lanthaler: Wir sehen uns als Unternehmen mit einem hybriden Geschäftsmodell. Entscheidend dabei ist, dass die Plattform, die wir einsetzen, immer die gleiche ist.
Meinen Sie damit das Know-how von Evotec?
W. Lanthaler: Ich meine die Kombination aus dem Wissen der 2000 Wissenschaftler, die für uns arbeiten, und den Werkzeugen, die man braucht, um jedes Experiment im Bereich Forschung und Entwicklung durchführen zu können.
Sie haben zum einen den Geschäftsbereich EVT Execute…
W. Lanthaler: Hier kommt der Partner mit seiner patentierten Idee beziehungsweise seinem Projekt zu uns, und wir entwickeln dieses für ihn weiter. In dem Fall sind wir also als Serviceanbieter tätig. Darüber hinaus haben wir den Bereich EVT Innovate, wo wir selbst Intellectual Property, also geistiges Eigentum, erzeugen. Dabei investieren wir anfangs in eigene Moleküle, ehe wir für diese Projekte einen Partner suchen. Das ist ein performancebasiertes Biotechmodell, bei dem wir an den späteren Erlösen partizipieren wollen.
Ist es nicht das Ziel jedes Biotechmanagers, ein Projekt von den Anfängen bis zur Marktreife zu entwickeln und damit auch alle Lorbeeren zu ernten und Erlöse einfahren zu können?
W. Lanthaler: Es ist nicht unsere dominante Strategie, Arzneimittelprojekte bis zur Marktreife zu entwickeln. Unsere heutige Plattform endet bei Eintritt in die Klinik, also mit Beginn der Phase I. Würden wir darüber hinausgehen, müssten wir uns selbst einen Partner für klinische Tests suchen und hätten keinen wirtschaftlichen Vorteil mehr. In der Tat ist es aber ein wichtiger Treiber in unserer Branche, etwas Eigenes zu machen - etwas, auf dem der eigene Name draufsteht. Doch das habe ich bereits als Finanzvorstand bei Intercell getan, wo wir einen Impfstoff gegen Japanische Enzephalitis bis zur Marktreife entwickelt haben. Heute hege ich solche Gefühle nicht mehr. Entscheidend ist, dass wir das tun, was für die Anteilseigner langfristig den höchsten Wert schafft.
Und den schaffen Sie, indem Sie die Kosten einer klinischen Entwicklung vermeiden?
W. Lanthaler: Bei der Entwicklung von biotechnologischen Produkten gibt es ein enormes Risiko des Scheiterns. Wenn sie über die Phase I hinausgehen, entstehen zudem hohe Fixkosten. Bei unserem Geschäftsmodell trägt dieses Kostenrisiko der Partner. Im Vergleich dazu sind Meilenstein-Potenziale in dreistelliger Millionenhöhe und zweistellige Umsatzbeteiligungen für uns das bessere Geschäft. Damit will ich aber nicht ausschließen, dass wir eines Tages auch ein Projekt, das traumhafte Daten ausweist und für das wir keinen passenden Partner finden, selbst weiterentwickeln.
In welchen Bereichen ist die Partnersuche eine besondere Herausforderung?
W. Lanthaler: Bei den Infektionskrankheiten und Antiinfektiva ist es zunehmend eine Illusion zu glauben, dass Sie hier alleine etwas erreichen können. Fast kein Unternehmen der Welt kann heute für sich Alzheimer oder Diabetes lösen. Leider haben sich vor allem im Bereich Antiinfektiva mehrere große Pharmaunternehmen zurückgezogen, so dass es hier für uns kaum noch passende Partner gibt. Deshalb suchen wir die Nähe zu regierungsnahen Institutionen und Stiftungen, um in diesen Indikationen neue therapeutische Wirkstoffe zu entwickeln. Wir sind beispielsweise mit Carb-X, einer Funding-Organisation in den USA, und mit der Bill & Melinda Gates Foundation im Gespräch.
Neben EVT Execute und EVT Innovate haben Sie auch den Geschäftsbereich Corporate. Ist das der administrative Überbau?
W. Lanthaler: Zum einen ja. Darüber hinaus haben wir vor einiger Zeit beschlossen, unter dem Dach von Corporate selbst Equity-Investments einzugehen, also in Firmen zu investieren. Das ist ein kleines operatives Venture-Geschäft, in dem wir seit knapp 20 Monaten aktiv sind. Das Ziel ist Co-Ownership, also Miteigentümerschaft, was auch unserer strategischen Ausrichtung entspricht. Wir wollen an interessanten Technologien und Produkten beteiligt sein.
Wieviele dieser Venture-Beteiligungen haben Sie aktuell?
W. Lanthaler: Bislang sind wir etwa neun Beteiligungen an Biotechfirmen eingegangen. Dabei halten wir jeweils zwischen fünf und 40 %. Wir haben aber keine Matrix, wie schnell wir hier wachsen wollen – wir sehen das eher wissenschaftlich-opportunistisch.
Nach welchen Kriterien gehen Sie bei Ihren Investments vor, und woher nehmen Sie das Geld?
W. Lanthaler: Das Geld dafür stammt aus unserer Profitabilität. Dabei muss uns die Wissenschaft des Unternehmens überzeugen. Und es sollte einen Link zu unserer Plattform geben. Übrigens agieren wir nicht als Venture-Capital-Unternehmen im klassischen Sinne. Wir gehen teilweise Beteiligungen in einem sehr frühen Stadium ein, wo klassische VCs noch nicht aktiv werden.
Sie haben mittlerweile eine Vielzahl von Kooperationen und Lizenzverträgen abgeschlossen. Wie managen Sie diese Fülle von Partnerschaften?
W. Lanthaler: Das ist weniger komplex als es scheint. Wir haben in der Tat über 100 Partner, doch da die Zusammenarbeit immer auf der gleichen Plattform basiert, nutzen wir auch immer die gleiche Kaskade an Experimenten. Wir haben dafür ein strukturiertes Management geschaffen, das skalierbar ist. Für uns ist es besser, zehnmal eine Entwicklungsdienstleistung mit Hilfe unserer Plattform zu erbringen als einmal mit einem Projekt in die klinische Entwicklung zu gehen.
Eines Ihrer unternehmerischen Ziele lautet, eine stärkere Brücke zu akademischen Einrichtungen zu bauen. Was hat man sich darunter vorzustellen?
W. Lanthaler: Wir haben heute mehr als 30 Partnerschaften mit akademischen Einrichtungen und Universitäten. Unser Ziel ist es, interessante akademische Projekte auf unsere Plattform zu übertragen oder gemeinsame Unternehmen zu gründen. Damit wollen wir die Projekte gemeinschaftlich voranbringen und schließlich in einen strategischen Partnering-Prozess mit der Pharmaindustrie überführen. Diesen Bereich werden wir weiter ausbauen.
Welche Vorteile sehen Sie in diesem Vorgehen?
W. Lanthaler: Der Akademiker braucht sich in diesem Fall nicht auf die mühsame Suche nach Venture-Capital zu begeben und kann von unserer Entwicklungsexpertise profitieren. Außerdem setzen wir genau die Infrastruktur ein, mit der auch Top-Pharmaunternehmen arbeiten. Die akademischen Projekte werden somit durch anerkannte Prozesse validiert, was deren weitere Entwicklung deutlich vereinfacht.
Welchen Anteil sichern Sie sich an solchen Gemeinschaftsunternehmen?
W. Lanthaler: Wir streben in der Regel nach Minderheitsbeteiligungen. Die Wissenschaft ist Grundlage unserer Strategie, der Treiber muss immer ein akademischer Unternehmer sein, der unsere Plattform nutzt. Wir sind also eine Art beschleunigende Minderheit.
Wenn Sie einige Jahre voraus blicken – wo wollen Sie Evotec hinbringen?
W. Lanthaler: Wir wollen im Bereich der externen Innovation die Technologieführerschaft übernehmen und eine der größten Pipelines im Gemeinschaftsbesitz aufbauen. Damit gibt es für die nächsten fünf Jahre wenig Grund, unsere Strategie zu ändern. Wir werden das, was wir aktuell tun, weiterhin machen, nur breiter und größer.
Im Augenblick finden noch rund 90 % der Pharmaforschung inhouse statt, das machen also die großen Pharmaunternehmen weitgehend selbst. Nur 10 % werden nach außen vergeben. Es gibt aber einen klaren Trend, dass der Outsourcing-Anteil in den nächsten Jahren auf 30 % oder sogar noch mehr ansteigen wird.
Warum sollten Pharmaunternehmen die Entwicklung nach außen, also an Unternehmen wie Evotec, vergeben?
W. Lanthaler: Weil sie damit eine deutlich höhere Kapitaleffizienz erzielen. Unter dem Strich ist es billiger, solche Tätigkeiten an einen darauf spezialisierten Partner zu vergeben, als es selbst zu machen und dafür entsprechende Kapazitäten vorhalten zu müssen.
Wie wird sich angesichts dieses Szenarios die wirtschaftliche Situation von Evotec entwickeln?
W. Lanthaler: Wir sind bereits heute ein profitables Biotechunternehmen. Unsere Wachstumsmarge liegt bei deutlich über 30 %. Wir werden für 2017 einen Umsatz von mehr als 200 Mio. EUR und ein EBITDA von etwa 50 Mio. EUR ausweisen; 2018 peilen wir einen Umsatz von deutlich über 300 Mio. EUR an. Damit haben wir eine kritische Größe in unserer Branche erreicht. Dabei kommen unsere aktuellen Umsätze und Gewinne bislang allein aus Meilensteinzahlungen und Serviceeinnahmen. Wenn Sie sich vorstellen, dass bei unseren über 80 Projekten ab 2022 oder 2023 potenziell auch Umsatzbeteiligungen und Lizenzeinnahmen dazukommen, können Sie sich das finanzielle Potenzial des Unternehmens vorstellen.