Klare Strategie für Wachstum und Innovationen gefordert
VCI-Präsident Kurt Bock mahnt Politik zu Handlungsfähigkeit, neue Belastungen für Standort Deutschland vermeiden
Die deutsche chemisch-pharmazeutische Industrie kann 2017 auf eine erfreuliche Entwicklung zurückblicken. Das berichtete der Verband der Chemischen Industrie (VCI) in seiner Jahresbilanz. Und auch für das Jahr 2018 zeigt sich die Branche optimistisch. Die Unternehmen bewerten ihre Geschäftslage und -erwartungen zum Jahresende 2017 ähnlich positiv wie zuletzt 2010, als sich nach der Weltwirtschaftskrise eine rasante Erholung einstellte.
Jedoch seien zahlreiche politische Risikofaktoren Anlass, sich auf weiterhin sehr turbulente Zeiten einzustellen, sagte VCI-Präsident Dr. Kurt Bock am 6. Dezember auf der Jahrespressekonferenz in Frankfurt. Dazu gehörten z.B. die über den Jahresbeginn 2018 hinaus anhaltende Unsicherheit, wie und wann eine neue Bundesregierung arbeitsfähig sein und welche Ausprägung ihre Wirtschafts- und Energiepolitik haben wird. Risikofaktoren seien auch der bevorstehende Brexit oder die geopolitischen Spannungen im arabischen und ost-asiatischen Raum.
Aufgrund der zurzeit guten Verfassung, in der sich die chemische Industrie sowie die gesamte deutsche Exportwirtschaft befänden, könnten Bund, Länder und Kommunen in den nächsten vier Jahren über 40 Mrd. EUR zusätzliche Steuereinnahmen in ihren Haushalten einplanen. „Der finanzielle Gestaltungsspielraum der künftigen Bundesregierung ist so groß wie noch nie“, so Bock. Alle Voraussetzungen seien gegeben, nachhaltig wirkende Maßnahmen zur Zukunftssicherung des Standortes Deutschland und der Modernisierung der Gesellschaft auf den Weg zu bringen. „Bei Digitalisierung, Infrastruktur, Bildung und Forschung oder der Energiepolitik ist Handeln gefordert“, mahnte Bock.
„Bei Digitalisierung, Infrastruktur, Bildung und Forschung oder der Energiepolitik ist Handeln gefordert.“
Der VCI-Präsident machte zugleich deutlich: "Ob es die Gestaltung einer wettbewerbsfähigen Energielandschaft ist, der dringend erforderliche Ausbau der digitalen Infrastruktur oder die aktive Auseinandersetzung mit den EU-Reformplänen des französischen Präsidenten – wir brauchen eine handlungsfähige Regierung."
Bildung, Forschung und Innovation
Beim Bildung, Forschung und Innovation setzt der VCI-Präsident auf einen alle Parteien übergreifenden Konsens, dass diese Themenfelder gestärkt werden müssen. „Wir unterstützen das Ziel, die Ausgaben Deutschlands für Forschung und Entwicklung bis 2025 auf 3,5 % des Bruttosozialproduktes zu steigern. Und die chemische Industrie hat dazu im vergangenen Jahr alleine einen Betrag von 10,5 Mrd. EUR beigesteuert“, so Bock.
Zugleich machte Bock deutlich: „Wir brauchen noch größere Anstrengungen. Die steuerliche Forschungsförderung ist eines der Instrumente, die dafür eingesetzt werden sollten – und zwar über alle Betriebsgrößen hinweg. Denn damit wird direkt auf die Stärke der deutschen Forschungsstruktur aufgebaut: die enge Kooperation zwischen Unternehmen aller Größen. Damit wird das maximale Innovationspotenzial in der Wirtschaft aktiviert.“
Der VCI-Präsident versicherte: „Die chemisch-pharmazeutische Industrie wird jeden Euro, den die Unternehmen durch die Einführung einer steuerlichen F&E-Förderung erhalten, in zusätzliche Forschungsaktivitäten in Deutschland in mindestens gleicher Höhe investieren.
Klimaschutz und Energiepolitik
Zwei weitere, untrennbar miteinander verbundene Themen, die fundamentale Bedeutung für die chemische Industrie haben, seien Klimaschutz und Energiepolitik. Alle politischen Parteien fühlten sich der Erfüllung des Pariser Abkommens bis 2050 verpflichtet. Das träfe auch für die Chemie zu. Aber wohl kaum ein anderes Thema habe eine so hohe Komplexität und kaum anderswo gäbe es so viele Wechselwirkungen und Auswirkungen auf Wirtschaft und Gesellschaft zu berücksichtigen.
„Für uns ist eine kluge Industrie- und Innovationspolitik die beste Klimapolitik“, sagte Bock, und fuhr fort: „Denn die Innovationen der deutschen Industrie tragen ganz wesentlich zur Reduzierung von CO2-Emissionen auf der ganzen Welt bei: Fortschritte bei energieeffizientem Wohnen, umweltverträglicher Mobilität und klimaschonender Energieerzeugung sind ohne unsere Produkte kaum denkbar.“
Er machte auf die Voraussetzungen aufmerksam, die nötig seine, damit die Chemie ihren Beitrag zum Klimaschutz leisten könne: „Studien besagen, dass eine CO2-Reduktion um 80 % bis 2050 in Deutschland technologisch möglich ist. Allerdings braucht es dafür zwingend drei Elemente: eine breite gesellschaftliche Akzeptanz der dafür erforderlichen Maßnahmen in vielen Lebensbereichen, einen Konsens über die Verteilung der damit verbundenen Kosten und eine Industriepolitik, die uns ermöglicht, das zu leisten, was wir können: Innovationen für den Klimaschutz.“
Und daher gelte es zu beachten: Alle Entscheidungen, die zu weiteren Erhöhungen der Strompreise und einer Gefährdung der Versorgungssicherheit führen, haben einen negativen Einfluss auf die Innovationsfähigkeit und die insgesamt über 830.000 Arbeitsplätze in der energieintensiven Industrie. Dazu gehören die Chemie-, Stahl-, Metall-, Baustoff-, Glas- und Papierindustrie. Deshalb warne der Verband vor energiepolitischen Plänen, die sich zu Lasten des Industriestandortes Deutschland auswirken.
„Für uns ist eine kluge Industrie- und Innovationspolitik die beste Klimapolitik.“
Eine wettbewerbsfähige Grundstoffproduktion müsse auch weiterhin möglich sein. Das politische Konzept, Energie – sei es absichtlich oder als Nebeneffekt – immer weiter zu verteuern, verschlechtere die Wettbewerbsbedingungen und das Investitionsklima in Deutschland. Denn andere Regionen, allen voran die USA, gingen einen entgegengesetzten Weg: „Sie versuchen, über niedrige Energiepreise Investitionen anzuziehen. Und sie sind damit auch erfolgreich“, so Bock.
Bock weiter: „Damit wir gleiche Wettbewerbsbedingungen bekommen, brauchen wir eine Ausdehnung des EU-Emissionshandels mindestens in Richtung G20-Staaten. Dies wäre auch ein großer Schritt in Richtung globalem Klimaschutz. Jeder Beitrag für diese Strategie hilft, die Ziele des Paris-Abkommens zu erreichen.“
Unsicherheitsfaktor Brexit
Bei den politischen Unsicherheitsfaktoren habe der Brexit ein besonderes Gewicht für die deutsche chemisch-pharmazeutische Industrie, sagte Bock. Großbritannien ist ein wichtiger Handelspartner und einer der größten Märkte in der EU für deutsche Chemieunternehmen. 2016 verkaufte die Branche Produkte im Wert von fast 12 Mrd. EUR dorthin (6,7 % der deutschen Chemieexporte). Den größten Anteil machten Spezialchemikalien und Pharmazeutika aus. Gleichzeitig führten deutsche Chemieunternehmen Erzeugnisse für über 6,4 Mrd. EUR (5,2 %) ein. Dazu gehörten vor allem pharmazeutische Produkte und Petrochemikalien. Das deutsch-britische Außenhandelssaldo mit Chemieprodukten ist stark positiv. In den vergangenen fünf Jahren sind die Exporte nach Großbritannien stark gestiegen, die Importe gingen dagegen zurück.
„Die für uns wichtigen Themen werden erst in der zweiten Phase verhandelt, wenn es um die zukünftigen Beziehungen zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich geht“, erläuterte der VCI-Präsident. Die Voraussetzung für die Eröffnung der zweiten Verhandlungsphase hat der Europäische Rat auf dem Gipfeltreffen in der vergangenen Woche beschlossen. „Wie stark unsere Unternehmen vom Brexit betroffen sein werden, hängt vor allem vom Ergebnis dieser Verhandlungen ab“, sagte Bock. „Zum einen könnten jährliche Zollzahlungen von 200 Mio. EUR in der Chemie anfallen. Und noch größere Belastungen sind zu erwarten, wenn sich für unsere Branche spezifische Regulierungen – wie z.B. das Chemikalienrecht REACH oder die Zulassung von Pflanzenschutzmitteln und Bioziden – in Zukunft unterschiedlich entwickeln.“
"Infolge des Brexit könnten jährliche Zollzahlungen von 200 Mio. EUR in der Chemie anfallen."
Bock warnte: „Die EU und ihre Mitgliedstaaten haben bei Chemikalien sowie den Vorschriften zur Arbeitssicherheit und zum Umweltschutz die weltweit anspruchsvollste Gesetzgebung. Unterschiedliche Anforderungen würden hier erhebliche bürokratische Hürden und Kosten im Handel verursachen. Davon wären auch andere Branchen betroffen, die chemische Produkte weiterverarbeiten. Wir brauchen eine möglichst weitgehende gegenseitige Anerkennung und gleiche Standards. Dafür muss Großbritannien durch ein umfassendes Abkommen möglichst eng an die EU gebunden bleiben."
Zum Abschluss seiner Rede mahnte der VCI-Präsident: „Die Politik steht vor einer Bewährungsprobe. Deutschland braucht möglichst bald eine handlungsfähige politische Führung – um die Herausforderungen in Deutschland aktiv anzugehen und auch um die Zukunft der EU nach dem Brexit mitzugestalten. Wie auch immer sich die neue Regierung am Ende zusammensetzen wird: Ihr künftiges Programm muss eine klare Strategie für Wachstum und Innovationen erkennen lassen. Bei Digitalisierung, Infrastruktur, Bildung und Forschung oder der Energiepolitik ist Handeln gefordert.“
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