Die Zukunft heißt: Intelligenter Hafen
Im Interview Roland Klein, Repräsentant Südwest Deutschland des Hafens Rotterdam
Als Tore zur Welt auch für die chemische Industrie verstehen sich die großen Häfen Europas. Die Möglichkeiten der Seehäfen insbesondere im Rahmen der zunehmenden Digitalisierung von Logistikprozessen zugeschnitten auf die Chemieindustrie sind eines der Themen beim BVL Forums Chemielogistik 2017 in Ludwigshafen und werden am Beispiel des Hafens Rotterdam in einem Vortrag aufgezeigt. Den Referenten Roland Klein, Repräsentant Südwest Deutschland des Hafens Rotterdam, befragte Dr. Sonja Andres zu den Aktivitäten und Zukunftsplänen des Hafens rund um die Chemielogistik unter dem speziellen Aspekt der Digitalisierung.
CHEManger: Herr Klein, worin sehen Sie die besonders herausragenden Vorteile des Chemie Clusters im Port of Rotterdam? Welche Aufgaben kommen hierin dem Hafenbetreiber zu?
R. Klein: Der Hafen Rotterdam bietet zum einen die Vorteile eines global vernetzten Warenumschlagplatzes zwischen Übersee und Hinterland. Zum anderen profitiert die Chemieindustrie von der Infrastruktur des Chemiestandorts Rotterdam mit einem sehr breiten Angebot an spezifischen Lagerungsmöglichkeiten für Rohstoffe und Fertigprodukte, Produktionsstandorten und Dienstleistungen. Kurze Wege sorgen für hohe Effizienz, Sicherheit und Flexibilität. Die Chemie ist im Hafen Rotterdam sehr willkommen.
Der Havenbedrijf Rotterdam agiert als Katalysator für Geschäftsanbahnungen und als Magnet für Unternehmensgründungen. Optimierte Flächennutzungspläne sorgen für die effiziente und zugleich umweltschonende Nutzung des Hafenareals. Zudem stellt der Hafen eine optimale Infrastruktur bereit, beispielsweise. für Shuttledienste innerhalb des Hafens und digitale Plattformen für den Informationsaustausch.
Was sind die wichtigsten Erkenntnisse, die aus den Ergebnissen der Studie „Wertschöpfungen des Port of Rotterdam für Chemiegüter in Containern“ gewonnen werden konnten?
R. Klein: Wir haben eine große Anzahl Verlader, Spediteure, Tankcontainer-Operateure und Carrier gebeten, den Mehrwert des Hafens Rotterdam für den Container-Umschlag für Chemiegüter zu definieren. Die Hauptantworten waren dabei: „Sicherheit und Zuverlässigkeit“. Sie sind die Grundlage für weitere Vorteile, wie das Netz an interkontinentalen und Hinterland-Anbindungen, das breite Angebot logistischer Dienstleistungen, der hohe Grad an Digitalisierung sowie klare Betriebsabläufe im Hafen. Eine weitgehende Automatisierung – zum Beispiel der Terminals von Maasvlakte II – sorgt zudem für einen effizienten und kostengünstigen Umschlag.
Welche elementaren Forderungen stellt die chemische Industrie an die Lieferkette im Containerverkehr?
R. Klein: Auch in der Chemieindustrie sind direkte Kosten – und in zunehmenden Maße die entlang der gesamten Supply Chain entstehenden Lieferkosten – das wichtigste Argument zur Auswahl eines Hafens. Uns ist bewusst, dass wir noch besser vermitteln müssen, wie unsere Angebote vor allem für die Chemieindustrie für Sicherheit, Zuverlässigkeit, Flexibilität und Kostenersparnis sorgen.
Ein Beispiel dafür sind Sicherheitsstandards. Dass der Hafen Rotterdam strikte und klare Vorgaben in diesem Bereich durchsetzt, ist allgemein anerkannt. In der Zusammenarbeit mit Industrie und Zoll- sowie Sicherheitsbehörden verbessern wir dadurch kontinuierlich die Sicherheit und die Effizienz im Tankcontainer-Umschlag.
Immer wichtiger wird die Digitalisierung der Logistikprozesse. Denn ein sich schnell verändernder Markt, von vielen Unternehmen herzustellende gleiche Produkte, striktere An-forderungen der Kunden an genaue Lieferzeiten und niedrigere Lagerbestände machen eine Transparenz der gesamten Supply Chain gerade in der Chemie-Industrie nötig.
Wie ist der Port of Rotterdam in Bezug auf digitales Informationsmanagement bereits aufgestellt?
R. Klein: Digitalisierung ist für uns ein zentraler Bereich, in dem wir uns im Interesse unserer Kunden besonders auszeichnen wollen. Seit Jahren bieten wir daher eine von Portbase entwickelte und betriebene Port-Community-Plattform an. 14.000 Anwender – Verlader, Spediteure, Reedereien, Intermodal-Operateure und Dienstleister – greifen auf über 40 automatisierte Dienste zurück und tauschen bereits heute jährlich mehr als 82 Mio. Datensätze aus. Dazu gehören alle Dienste rund um Import- und Export-Formalitäten und auch Anmeldungen für den Weitertransport von Containern per Bahn, Binnenschiff oder Lkw.
Was verspricht man sich seitens des Hafenbetreibers durch eine verstärkte Digitalisierung von Abläufen und Vorgängen innerhalb der Supply Chain? Welche Vorteile erwachsen den Kunden in der chemischen Industrie daraus?
R. Klein: Wir setzen vor allem auf den Echtzeit-Austausch von Informationen. Und zwar der wichtigen Informationen, wie die tatsächliche Ankunft der verschiedenen Transportmittel in den Terminals, die Verfügbarkeit eines Slots für die Ent- und Beladung, die tatsächliche Ankunft und Abfahrt eines Seeschiffs und den Status der Container.
Verlader in der Chemie profitieren besonders davon. Denn Echtzeitdaten spielen eine besondere Rolle beim Gefahrgut: Verzögerungen haben aufgrund strenger Sicherheits- und Umweltbestimmungen hier besonders schwerwiegende Folgen. Ein Informationsaustausch zwischen allen Akteuren und Behörden spart Zeit, Geld und Ressourcen und sorgt für mehr Sicherheit. Unser Angebot ist ein Gesamtpaket von der automatisierten Abfertigung bis hin zur Möglichkeit, Geschäfte über effiziente Container-Supply Chains abzuwickeln.
Welche digitalen Services des Hafens Rotterdam wären denkbar, um künftig mehr Transparenz in der Supply Chain zu erhalten?
R. Klein: Wir arbeiten ständig an neuen Angeboten. Unsere Spezialisten des Rotterdam Logistics Lab (RLL) entwickeln und erproben neue Tools, um Echtzeitdaten für neue Dienstleistungen und Anwendungen zu nutzen. Das Projekt Dynamic Nautical Accessibility Rotterdam (DYNAR) etwa berechnet Echtzeitwasserstände im Hafen, damit Schiffskapazitäten optimal ausgenutzt werden können.
Lösungen zur Port-Call-Optimierung bieten Echtzeitdaten für einen schnelleren Warenumschlag. Das Einsparpotential pro Hafenanlauf eines Schiffes liegt dabei im fünfstelligen Bereich. Dashboard-Tools verfolgen permanent die Container. Marktplätze erfassen tatsächlich genutzte und eingeplante Terminalkapazitäten und ermöglichen Last-Minute-Buchungen freier Slots. Mit Nextlogic steht ein Plannungstool für den Containerumschlag mit Binnenschiffen kurz vor der Einführung, um teure Liegezeiten im Hafen weiter zu senken.
Welche Optimierungen im Hafenbetrieb und in den Abläufen würden daraus resultieren? Gibt es auch kritische Stimmen gegenüber diesen Bestrebungen?
R. Klein: Informationsaustausch erhöht die Effizienz enorm. Daher ermöglichen, starten und moderieren wir diesen Prozess, wobei wir die Teilnehmer von den Vorteilen überzeugen wollen. Aber auch Bedenken hinsichtlich der Datensicherheit nehmen wir ernst: Wir stellen sicher, dass Informationen jederzeit nur im Einklang mit den Geschäftsinteressen der Unternehmen in der Supply Chain und mit den unterschiedlichen Sicherheitsbedürfnissen in den einzelnen Branchen ausgetauscht werden.
Der Dialog führt zum Ziel: Alle Beteiligten verstehen zunehmend, dass nur eine integrierte Supply Chain hilft, die notwendigen Kosteneinsparungen zu realisieren und dass Informationsaustausch eine zentrale Rolle dabei spielt. Nicht zuletzt muss aber auch den Beschäftigten die Angst vor der Digitalisierung und der dadurch neuen Anforderungen genommen werden. Um Digitalisierung sozial zu gestalten, haben daher der Havenbedrijf Rotterdam die Containerunternehmen vor Ort und die Gewerkschaften 2016 eine Zukunftsvereinbarung getroffen.
Wie weit kann die Digitalisierung im „Hafen der Zukunft“ gehen?
R. Klein: Das Potenzial ist enorm und reicht bis hin zu Visionen, in denen man, lange vor der Ankunft im Hafen, am Rechner Containerzüge oder Binnenschiffsladungen zusammenstellt – wie heute eine E-Mail mit Anhängen. Eines ist für den Port of Rotterdam klar: Der Hafen, der die beste Qualität in der Logistik anbieten will, muss der intelligenteste Hafen werden. Die Chemieindustrie profitiert in diesem Wettbewerb von einer voll optimierten Supply Chain.