Im Chemiepark Marl setzt man auf engen Verbund von Energie- und Stoffströmen sowie effiziente Kraft-Wärme-Kopplung
28.02.2017 -
Der Chemiepark Marl ist einer der größten Chemie-Verbundstandorte in Europa und der größte Produktionsstandort des Chemie- und Technologieunternehmens Evonik. Rund 100 Produktionsanlagen stellen, im engen stofflichen und energetischen Verbund, jährlich über 4 Mio. t Produkte her. Investitionen in die Infrastruktur des Chemieparks stellen eine verlässliche und klimafreundliche Energieversorgung auch in Zukunft sicher. Die Herausforderung dabei: Die Anforderungen der Energiewende mit der Produktivität und Wettbewerbsfähigkeit des Chemieparks zu vereinen.
Eine vollständige Umstellung auf erneuerbare Energien ist dabei in absehbarer Zeit nicht möglich: 2,3 Mrd. Kwh/a Strom werden im Chemiepark Marl verbraucht – das entspricht dem Bedarf von rund 500.000 Haushalten. 400 Windräder oder 2.000 ha Photovoltaikanlagen (für die die dreifache Fläche des Chemieparks benötigt würde) wären notwendig, um den Strombedarf aus erneuerbaren Energien zu decken. Genauso essentiell wie Strom ist für die Chemieproduktion außerdem der Energieträger Dampf. 6,5 Mio. t/a verbraucht der Standort. Das entspricht dem Wärmeinhalt von 1 Mrd. Badewannen. Im Gegensatz zu Strom kann Dampf nicht standortunabhängig erzeugt werden, sondern muss da erzeugt werden, wo er gebraucht wird. Zu diesen Rahmenbedingungen kommt, dass die Versorgungssicherheit für einen reibungslosen Produktionsbetrieb jederzeit gegeben sein muss.
„Das Zauberwort heißt hier ‚maximale Flexibilität‘“, erläutert Andreas Steidle, der beim Chemieparkbetreiber verantwortlich für die Energiewirtschaft ist. „Nur so können wir das Ziel erreichen, unter Einbezug der marktwirtschaftlichen und gesetzlichen Rahmenbedingungen und unter steigendem Wettbewerbsdruck die optimale Energieversorgung für unsere Kunden bereitzustellen.“
Der Standortmanager investiert in diese Flexibilität: Im Mai 2016 ging das neue Gas- und Dampf-Turbinenkraftwerk (GuD) mit Kraft-Wärme-Kopplungstechnologie ans Netz, das ein altes Kohlekraftwerk ersetzte. Es spart bei einem Brennstoffnutzungsgrad von 89% nicht nur ca. 280.000 t/a CO2 ein, sondern kann flexibel gefahren werden, was neue Möglichkeiten im Lastmanagement eröffnet. So wird die Wirtschaftlichkeit des gesamten Verbundsystems erhöht. Denn der Energieversorgung im Chemiepark liegt ein Energieverbundsystem zugrunde, zu dem die Kraftwerke, der Dampfturbinenpark, exotherme Dampferzeuger aus Prozessanlagen sowie die Anbindung an das externe Stromnetz gehören.
Optimiertes Lastmanagement
Im zentralen Energieleitstand wird dafür gesorgt, dass nicht nur jederzeit Dampf und Strom vorhanden ist, sondern auch, dass dies kostenoptimiert erfolgt. So besteht bei niedrigen Preisen an den Strombörsen die Möglichkeit, Strom auch extern dazuzukaufen, zumal das neue GuD-Kraftwerk flexibel nach Bedarf gefahren werden kann. Weitere Stellschrauben beim Lastmanagement sind Druckluft, die entweder über Strom oder über Dampf erzeugbar ist, oder energieintensive Verbrauchsanlagen, die bei hohen Preisen an der Strombörse gedrosselt werden können. Weil nur wenige Minuten benötigt werden, um das GuD-Kraftwerk hochzufahren, kann es außerdem Regelenergie bereitstellen und so Schwankungen im Stromnetz – die bei Einspeisung von erneuerbaren Energien wahrscheinlicher werden – ausgleichen. „Das hilft den Stromnetzen, wirkt sich positiv auf Energieeffizienz und Kostenoptimierung im Chemiepark aus und ist damit für uns ein marktwirtschaftlicher Gewinn“, so Steidle.
Wärme für Marl aus Marl
Welche Vorteile die Vernetzung jenseits der Grenzen des Chemieparks haben kann, unterstreicht eine Kooperation mit dem Energieversorger innogy. Im Rahmen des Infrastrukturkonzepts „Wärme für Marl aus Marl“ stellt der Standortbetreiber dem Energieunternehmen langfristig und effizient Dampf zur Versorgung der Stadt Marl mit Fernwärme bereit. Damit finden nun rund 200 Gwh/a Energie in Form von Dampf Abnehmer in den ca. 2.000 Marler Haushalten und öffentlichen Einrichtungen, die mit Fernwärme heizen und bis Mitte des letzten Jahres aus dem Kraftwerk in Scholven versorgt worden waren. Dies lastet nicht nur den Kraftwerkspark besser aus, sondern unterstützt wesentliche Ziele der Energiewende: Effizienzvorteile der Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen werden noch besser genutzt, Nutzenergie wird vor Ort und verbrauchernah erzeugt. Im Herbst 2016 ging die neue rund 4 km lange Fernwärmetrasse mit jeweils einer Fernwärme Vor- und Rücklaufleitung und die neue Fernwärmenetzstation in Betrieb.
Technologien nutzen
„Energie und Klimaschutz sind für uns existenzielle Themen. Energiewende und industrielles Handeln müssen in Einklang gebracht werden“, betont Heiko Mennerich, der das Geschäftsgebiet Ver- und Entsorgung bei Evonik leitet. Die Stärke des Chemieparks Marl liegt dabei im engen Verbund von Energie- und Stoffströmen sowie in der effizienten Kraft-Wärme-Kopplung. Neue Technologien und flexibles Lastmanagement treiben die Vision von Chemieparks als Energieplattformen zudem weiter voran. Um das selbstgesteckte Ziel zu erreichen, bis 2020 die spezifischen Treibhausgasemissionen um 12% zu senken, geht das Essener Technologieunternehmen weitere neue Wege. Man erprobe zurzeit bspw. ORC-Anlagen, um auch Abwärme zu nutzen, die aktuell eine zu niedrige Temperatur zur Weiterverwendung habe, erklärt Mennerich. Auch Wärmespeicher seien eine Option. „Diese Entwicklungen eint, dass ökonomische und ökologische Aspekte Hand in Hand gehen. Nur so werden wir den Herausforderungen der Energiewende begegnen können.“ (op)