Logistik & Supply Chain

Von Uber bis 3D Druck

Wie die Digitalisierung die Chemie- und Pharmalogistik verändert

11.10.2016 -

Digitalisierung ist eines der großen Schlagworte der heutigen Wirtschaft. Das Thema ist jedoch alles andere als neu. Vor allem in der Logistik mit ihren komplexen Prozessen, zeitkritischen Lieferungen und weltweit agierenden Partnernetzwerken spielt die Informationstechnologie schon seit langer Zeit eine wichtige Rolle.

Paradigmenwechsel

Neu an der heutigen Situation ist jedoch die Geschwindigkeit, mit der die technologische Entwicklung voranschreitet und Unternehmen neue geschäftliche Chancen eröffnet. Damit einher geht ein Paradigmenwechsel im Zusammenspiel von Business und IT: Während die Rolle der Informationstechnologie in der Vergangenheit primär eine unterstützende war, entwickelt sie sich heute zu einem Treiber für die Entwicklung vollkommen neuer Geschäftsmodelle und -prozesse. Aktuelle Markstudien des Beratungsspezialisten Camelot Management Consultants zeigen, dass viele Chemie- und Pharmaunternehmen für einen derartigen Paradigmenwechsel noch ungenügend vorbereitet sind. Obwohl die Bedeutung der Digitalisierung als hoch eingeschätzt wird, besteht eine große Umsetzungslücke – und damit die Gefahr, die Potenziale der Digitalisierung schlicht zu verschlafen.

Innovationen frühzeitig erkennen

Wie schnell sich das Wettbewerbsumfeld durch die Digitalisierung verändern kann - und umgekehrt, welche Geschäftschancen sie für das eigene Unternehmen bietet, zeigt das folgende Beispiel: Seit einiger Zeit treten im Logistikumfeld komplett neue Lösungen und Ansätze in Erscheinung, z.T. aus ganz anderen Bereichen. So arbeitet das amerikanische Unternehmen Uber mit seinem neuen Geschäftsmodell für Taxinetzwerke an einer Übertragung des Prinzips auf die Logistik: „Smart Trucking-Apps“ sollen dafür sorgen, dass Frachtgut und freie Transportkapazitäten zusammenkommen – ohne dass Frachtvermittler in den Speditionen tätig werden müssen. Amazon entwickelt sich immer stärker von einer Online-Verkaufsplattform zu einer Online Fulfillment-Plattform, indem das Unternehmen in die operative Logistikabwicklung vorrückt. Für Chemie- und Pharmaunternehmen gilt es, derartige Entwicklungen zu beobachten und einen Prozess zu etablieren, der hilft, digitale Innovationsthemen frühzeitig zu erkennen.

Pharmalogistik: Digitalisierungsfokus Track & Trace und Supply Chain Visibility

Die Camelot-Studien zeigen, dass die Digitalisierung in den Unternehmensbereichen Logistik und Supply Chain Management gegenwärtig am weitesten fortgeschritten ist. Auch in den nächsten fünf Jahren werden diese Bereiche am stärksten von der Digitalisierung betroffen sein.

In der Pharmalogistik fokussieren sich die Digitalisierungsbestrebungen aktuell vor allem auf das Tracking & Tracing. Neue regulatorische Anforderungen an Transporte (GDP) haben den Bedarf an Rückverfolgbarkeit sowohl der Transporte als auch der Temperaturkontrollen während der Transporte erhöht. Mit Hilfe smarter Technologien lassen sich diese Anforderungen besser und umfassender erfüllen. Neben Track & Trace ist die Serialisierung ein Thema, mit dem sich die Pharmalogistik parallel sehr stark beschäftigt. Zu beobachten ist, dass viele Pharmaunternehmen Projekte zu Track & Trace und Serialisierung unabhängig voneinander und mit unterschiedlichen Projektorganisationen angehen. Die Digitalisierung bietet große Potenziale, diese Themengebiete stärker zu verschmelzen und damit entscheidende Synergieeffekte zu erzielen.

Mehr Transparenz in den Lieferketten

Track & Trace und Serialisierung sind Teile des generellen Themas Supply Chain Visibility, also der Transparenz in globalen Lieferketten. Die Supply-Chain-Transparenz herzustellen bzw. zu verbessern ist kurzfristig das größte Potenzial der Digitalisierung. Ein Schritt in diese Richtung sind bereits existierende Cloud-Plattformen für Logistik- und Supply-Chain-Partner wie GTNexus, Axit oder Elemica in der Chemie. Aufgrund fehlender Standardisierungen und hoher Kosten besteht hier jedoch noch viel Handlungsbedarf. Ein herausfordernder Aspekt in diesem Zusammenhang sind auch Compliance-Fragestellungen. Es gilt zu evaluieren, wie traditionelle Compliance-Anforderungen in diesem Umfeld angewendet werden können und müssen.

Dessen ungeachtet prüfen viele Pharmaunternehmen aktuell die Möglichkeit, mit einer zentralen Supply Chain-Überwachungsorganisation („Control Tower“), die die genannten Cloud-Plattformen einbezieht, die Transparenz und Kontrolle über die Transporte und Supply Chain-Ausführung zu erhöhen. Für die Zukunft gilt es, durch Digitalisierung die horizontale Zusammenarbeit und Vernetzung einzelner Unternehmen bzw. ganzer Industrienetzwerke noch deutlicher zu verbessern, um dem Ziel einer 100%igen Supply-Chain-Transparenz näher zu kommen.

Die Zukunft der Pharmalogistik: Mehrwert-Services für Patienten

Langfristig sehen Pharmaunternehmen das Potenzial, neue Technologien dafür zu nutzen, um ihren Kunden im Rahmen der Supply Chains und Logistik neue Dienstleistungen anzubieten und die Kundenbindung damit zu erhöhen. Der Grund dafür: Der intensive Wettbewerb um innovative Medikamente zwingt Pharmaunternehmen, alternative Differenzierungsmöglichkeiten zu finden. Daher lassen sich aktuell etliche Pilotprojekte und Entwicklungen genau in diesem Bereich beobachten. Mögliche Services reichen von unterstützenden medizinischen Geräten wie beispielsweise individuelle Dosierungshilfen über eine schnellere und direktere Patienteninteraktion bis hin zu neuen, komfortableren Bestell- und Lieferoptionen.

Chemielogistik: Transport und Yard Management im digitalen Fokus

In der Chemielogistik lassen sich ähnliche Entwicklungen für kurz- und mittelfristige Digitalisierungsschwerpunkte beobachten. Im Bereich Cloud-Logistikplattformen ist die Chemie allerdings deutlich weiter als die Pharmabranche. Die bereits seit zehn Jahren existierende Plattform Elemica ist weit verbreitet und ausgereift. Hier gilt es nun zu überlegen, wie Informationen der Plattform wie beispielsweise verspätete Lieferungen für die Planung der gesamten Supply Chain von Anfang bis Ende genutzt werden können.

In der Chemie richten sich Digitalisierungsinitiativen aktuell v.a. auf das Transportwesen. Gefahrgüter, große Volumina und multimodale Transportwege stellen die Chemielogistik vor komplexe Herausforderungen. Digitale Technologien wie beispielsweise die Integration von heute deutlich günstigeren und besser verfügbaren GPS-Daten sowie neue Transport-Management-Systeme mit besseren Optimierungsmöglichkeiten erlauben es, Transportprozesse und deren Transparenz zu verbessern.

Gleiches gilt für das Yard Management: Abwicklungsprozesse auf großen Sites sind nach wie vor komplex und wenig effizient. Digitale Anwendungen wie beispielsweise ein mobiles Slot-Booking, eine genauere, kostengünstigere Standortbestimmung von Fahrzeugen und Equipment sowie eine bessere Echtzeit-Vernetzung von Transportinformationen ermöglichen es, Standzeiten zu reduzieren und Abwicklungsprozesse deutlich effizienter zu gestalten.

3D Druck: neue Geschäftsmodelle für Chemieunternehmen

Zu den Themen, die die Chemie gegenwärtig bewegen, zählt auch der 3D-Druck. Die Möglichkeit, Produkte ganz anders herzustellen bedeutet neue Anforderungen an Materialen. Dies wiederum bietet Chemieunternehmen die Chance, sich mit neuen Geschäftsmodellen und Angeboten zu positionieren. Auch wenn es im 3D-Druck aktuell noch viele limitierende Faktoren und offene Fragestellungen gibt wie beispielsweise ausreichendes Material-Know-how oder Qualitätszulassung der gedruckten Produkte, dürfte er die Supply Chains und die Logistik zukünftig massiv beeinflussen: So könnten sich beispielsweise Produktionsstandorte dahingehend verschieben, dass bestimmte Produkte lokal gedruckt werden. Lagerbestände ließen sich reduzieren, da 3D-Druck eine on-demand-Produktion ermöglicht. Logistikdienstleister könnten sich zu 3D-Druck-Anbietern entwickeln. Dies sind nur einige Szenarien, die Chemieunternehmen und die Chemielogistik zukünftig im Blick behalten sollten.

All diese Beispiele zeigen, dass die Digitalisierung die Pharma- und Chemielogistik bereits stark beeinflusst hat und noch weiter beeinflussen wird. Um die Potenziale der neuen Technologien auch im Sinne neuer Geschäftsmodelle und Prozessinnovationen auszunutzen, sind Chemie- und Pharmaunternehmen aufgefordert, am Ball zu bleiben und neue Technologien regelmäßig auf ihr Innovationspotenzial zu überprüfen.

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