Ein antistatisches Kabel, das Explosionen verhindert
09.09.2016 -
Lapp hat jetzt als erster Hersteller ein antistatisches Kabel entwickelt, das Aufladungen vermeidet und der Technischen Regel für Betriebssicherheit 2153 entspricht.
Sie können schön sein, überraschend, aber auch gefährlich: Die Rede ist von elektrostatischen Aufladungen. Sie entstehen gerne bei trockener Heizungsluft, wenn schlecht leitende Gegenstände aneinander reiben. Dann kann beim Händeschütteln ein kurzer Nadelstich durch die Handflächen zucken, auch der Griff an eine Türklinke wird dann zur prickelnden Überraschung: Wie ein Nadelstich zuckt ein Blitz in die Handfläche und lässt einen zurückschrecken. Spektakulär ist das Phänomen, wenn man im Dunkeln einen Synthetikpullover über die Haare zieht; dann kann man ein regelrechtes Blitzgewitter beobachten. Die Spannungen sind höher als man denkt: Erst über 2.000 Volt nehmen wir die Ladung wahr, beim Laufen über einen Teppichboden in einem beheizten Raum lädt sich die Haut mitunter sogar bis zu 30.000 Volt auf. All das ist ungefährlich, denn es fließen beim Ladungsausgleich nur winzige Ströme.
Ganz anders sieht es aus, wenn explosive Stoffe wie Öl, Gas, aber auch Holz- und Mehlstaub in der Nähe sind. Der kleine Funke einer elektrostatischen Entladung kann dann eine Katastrophe auslösen – wie 1937 beim Brand des Luftschiffs Hindenburg, als so ein Funke der elektrostatisch aufgeladenen Hülle das Wasserstoffgas im Inneren zur Explosion brachte.
Weltneuheit Antistatik-Kabel
Auch Kabel sind potenzielle Gefahrenherde, weil sich ihr Mantel durch Reibung aufladen und schlagartig entladen kann. Die Stuttgarter Lapp Gruppe hat nun eine Versorgungsleitung mit einem antistatischen Mantel entwickelt, um diese Gefahr künftig auszuschalten. Sie kommt auf Ölbohrplattformen des norwegischen Herstellers Aker Solutions zum Einsatz. Die Zusammensetzung und die Herstellung des Mantelmaterials sind patentgeschützt. Die Lapp Gruppe ist damit weltweit der erste Hersteller, der ein antistatisches Kabel anbietet.
Es ist nicht das erste innovative Produkt, das der Technologieführer für Verbindungslösungen an Aker Solutions geliefert hat: Vor drei Jahren lieferte Lapp mit Compact OWR Loop ein armdickes Kabel, das dutzende unterschiedliche Leitungen enthält. Aus dieser Erfahrung entstand die Idee, für den Kunden ein weiteres Kabel zu entwickeln, das besonders beständig gegen Bohrschlamm ist, sich gleichzeitig nicht statisch auflädt und daher auch für explosionsgefährdete Bereiche auf Ölbohrplattformen geeignet ist. So ein antistatisches Kabel gab es bisher nicht.
Der Widerstand entscheidet
Ladungsträger sammeln sich auf Kabeln oder auf anderen schlecht leitenden Gegenständen meist durch Reibungselektrizität. Ist die Ableitfähigkeit hoch, fließen die Ladungsträger von der Oberfläche des Kabelmantels schnell wieder ab. Ein Stoff oder ein Material ist ableitfähig, wenn der spezifische Widerstand mehr als 104 Ωm und weniger als 109 Ωm beträgt. Gleichzeitig soll der Oberflächenwiderstand zwischen 104 Ω und 109 Ω liegen, gemessen bei 23 °C und 50 % relativer Luftfeuchtigkeit, bzw. zwischen 104 Ω und 1011 Ω, gemessen bei 23 °C und 30 % relativer Luftfeuchtigkeit. Festgelegt ist dies in der TRBS 2153, die sich mit der Vermeidung von Zündgefahren beschäftigt. Zur Erklärung: Die Atex-Richtlinie 2014/34/EU beschreibt den Explosionsschutz auf europäischer Ebene. Die Umsetzung der Atex-Richtlinie erfolgt in jedem europäischen Mitgliedsstaat in eigenen nationalen Gesetzen und Verordnungen. Auf deutscher Ebene erfolgte dies durch die Explosionsschutzverordnung (11.ProdSV) sowie durch die Betriebssicherheitsverordnung (BetrSichV). Daraus leitet sich die TRBS (Technische Regeln für Betriebssicherheit) ab.
Lapp liegt mit dem neuen Kabel stets innerhalb dieser Grenzen. Den Beweis liefern umfangreiche Messungen im hauseigenen Testlabor in Stuttgart. Dort lassen sich in einem weiten Bereich harte klimatische Bedingungen simulieren: Trockenheit, Feuchte, Hitze und Kälte. Produziert wird das Kabel in Grimaud in Frankreich, wo die Lapp Gruppe die Fertigung von Sonderkabeln konzentriert hat. Bei ausreichender Nachfrage können diese Kabel aber auch in Stuttgart gefertigt werden.
Zusammensetzung ist geheim
Das Geheimnis des antistatischen Kabels steckt in seinem Mantel. Der besteht aus einem Kunststoff mit einem Additiv, das die Leitfähigkeit erhöht. Die Befürchtung, darunter könnte die elektrische Isolation des Kabels leiden, ist unbegründet. Die Isolation der Leiter erfolgt immer über die Isolierhülle, also durch den Kunststoff, der die Leiter umhüllt. Der äußere Mantel eines Kabels hat keine isolierende Aufgabe, sondern dient dem mechanischen Schutz, etwa gegen Öl, Chemikalien oder wie in diesem Fall gegen Bohrschlamm sowie bei Biegung, Torsion und Reibung.
Welches Additiv genau verwendet wird, ist Betriebsgeheimnis, ebenso der aufwändige Prozess, in dem das Additiv in der richtigen Menge und Durchmischung dem Kunststoff beigegeben wird. Auch wenn das Verfahren patentgeschützt ist, möchte Lapp die Details nicht an die große Glocke hängen, um den technologischen Vorsprung nicht aufs Spiel zu setzen. Lapp hat mit dem Hersteller des Additivs, einem großen Kunststoffproduzenten, eine Exklusivvereinbarung: Nur Lapp darf dieses Material derzeit für Kabel nutzen. Kompliziert war die Entwicklung vor allem, weil es für die Anforderungen des Kunden Aker Solutions nicht ausreichte, die oben genannten Voraussetzungen zur Vermeidung von Zündgefahren zu erfüllen, sondern auch die NEK 606, eine besonders strenge Norm, die Eigenschaften von marinen Kabeln und den Schutz gegen Bohrschlamm regelt. Beide Eigenschaften zu vereinen, ist die eigentliche Innovation.
Weitere Branchen horchen auf
Selbstverständlich gab es auch schon sichere Ölbohrplattformen, bevor Lapp das antistatische Kabel entwickelt hat. Gefährdete Bereiche werden eigens geschützt, etwa durch Erdungsbänder an Maschinen oder durch Kleidung und Schuhe, die Aufladungen ableiten. Aber mit dem neuen Kabelmantel haben es Konstrukteure nun leichter, weil das Schutzkonzept durchgängig wird und der Kabelmantel keine statische Elektrizität mehr führt. Ein Sicherheitsplus sind solche Kabel natürlich nicht nur für die Öl- und Gasindustrie, sondern genauso für Anwendungen aus allen Bereichen der Verfahrenstechnik und der chemischen Industrie und für alle Anlagen, in denen zündfähige Chemikalien gelagert oder verarbeitet werden.
Die antistatische Wirkung des neuen Kabelmantels lässt sich durch metallische Kabelverschraubungen an Schaltschränken wie Skintop Brush noch steigern. Die Ladungsträger auf dem Kabelmantel werden über diese Verbindung abgeleitet, ähnlich wie bei einer Erdung über Metallbänder.
Das Material, das Lapp entwickelt hat, eignet sich als Kabelmantel in allen Arten explosionsgefährdeter Anlagen. Auf Wunsch ist auch die Anschluss- und Steuerleitung Ölflex 865P mit diesem ableitfähigen Mantelmaterial lieferbar. Diese Leitung ist beständig gegen Öl-und Bohrschlamm nach NEK TS 606, eignet sich für hohe Beanspruchungen in Energieführungsketten und erlaubt platzsparende Verlegung dank reduziertem Außendurchmesser. Bei entsprechender Nachfrage der Kunden wird die Lapp Gruppe weitere Kabeltypen mit antistatischen Eigenschaften entwickeln und als Katalogware anbieten. Solche Kabel wären dann für viele weitere Kunden erschwinglich und attraktiv.
Kontakt
Lapp GmbH
Schulze-Delitzsch-Straße 25
70565 Stuttgart
Baden-Württemberg, Deutschland