Kampf den Keimen
Nachlese zum 4. Technologieforum Reinraum des CleanRoomNet
Das 4. Technologieforum Reinraum, das an der Universität des Saarlandes stattfand, wurde zugleich die Jubiläumsveranstaltung des Netzwerkes CleanRoomNet. Elf Jahre Netzwerk. In einer der reinsten Technologien unserer Industrie nahmen die Macher der am 01. März 2016 stattgefundenen Veranstaltung zum Anlass, sich dem wohl zur Zeit heikelsten Thema: „Kampf den Keimen“ zu widmen. Schwierige Themen benötigen Fachkompetenz der unterschiedlichsten Branchen.
Mit saar.is, saarland.innovation&standort, sowie KWT Universität des Saarlandes, Kontaktstelle für Wissens- und Technologietransfer waren drei mit Fachkompetenz gebündelte Institutionen am Gestalten des Veranstaltungstages.
Die Healthcare-Branche im Saarland ist ein dynamisches Umfeld, was nicht zuletzt durch die Vernetzung der Unternehmen innerhalb der Cluster „Healthcare“ und Medizintechnik rührt. Diese wird durch saar.is, saarland.innovation&standort (IHK) des Saarlandes gefördert und war Grundstein des Reinraumforums.
Auch bei dieser Veranstaltung wollten die Macher des mittlerweile traditionellen Reinraumforums Möglichkeiten sowie Technologien aufzeigen, die im Bereich der Reinraumtechnik, insbesondere der Pharmaindustrie und der Medizinprodukteherstellung, unverzichtbar sind.
Warum die Begeisterung der Teilnehmer so groß war, lässt sich mit ein paar Sätzen beschreiben: Die Teilnehmer des Forums waren Reinraumverantwortliche saarländischer Unternehmen, die ihr eigenes Portfolio unter sauberen oder Reinraumbedingungen herstellen und vertreiben. Darüber hinaus Mitarbeiter diverser Kliniken, als auch ein Großteil der Pharmazie-Studenten der Universität des Saarlandes, die in Saarbrücken studieren. Auch mit dem Thema: „Kampf den Keimen“ wurde ein brandaktueller Themenkomplex angesprochen, der nicht nur die Teilnehmer des Forums interessierte.
Durch die heterogene Zusammensetzung der Interessenten des Forums hatte sich ein Kompetenzteam entwickelt, das mit dem Know-how des Netzwerkes CleanRoomNet hervorragend harmonierte.
Programm
Paul Jochem (Gründungsmitglied des CleanRoomNet) ließ als erstes die letzten elf Jahre des Netzwerkes Revue passieren. Bei der Auflistung der Veranstaltungen, die das Netzwerk organisiert hatte, waren auch zwei Veranstaltungen dabei, die sich der Bauteilsauberkeit im Fahrzeugbau als auch der Industrie angenommen hatten.
Die Bauteilsauberkeit hat sich inzwischen als unverzichtbarer Prozessschritt in der Fertigung etabliert. Auch hier sind neben den definierten partikulären und filmischen Restschmutzanforderungen sowie die ökonomischen als auch die ökologischen Aspekte zu berücksichtigen. Alles begann mit einem gemeinsamen Messeauftritt auf der Cleanrooms Europe (Reinraummesse) in Frankfurt. Die wichtigsten Messen, die die Technologie des Netzwerkes vertreten, sind die Reinraum-Lounges in Karlsruhe, die seit ein paar Jahren in Stuttgart stattfinden, sowie die Cleanzone in Frankfurt, ein einzigartiger Fachkongress für Reinraumtechnologie. Die Messe parts2clean Stuttgart ist die internationale Leitmesse für industrielle Teile- und Oberflächenreinigung.
Mehr als 250 Aussteller aus 14 Ländern präsentieren auf der parts2clean Messe Stuttgart effektive Lösungen für die Reinigung, sowie zur Kontrolle gereinigter Oberflächen und die Überwachung von Reinigungs- und Spülbädern als unverzichtbaren Bestandteil eines qualitäts- und kostenoptimierten Reinigungsprozesses.
Leitfäden
Gemeinsam wurden das Prospekt „Dran gedacht" zusammengestellt, das als Leitfaden zur Planung eines Reinraumes dienen soll. Sie planen einen Reinraum? Dieser Flyer beinhaltet wichtige Fragen, die Sie sich vorab stellen sollten.
Als zweites Prospekt wurde ein Schleusenkonzept für GMP Apotheken erstellt. Dieser Leitfaden bietet den Anwendern eine Empfehlung über sämtliche Schleusenparameter wie z. B.
- Bauliche Varianten gem. ApoBetrO
- Variante A in B Bekleidungskonzept
- Variante A in B Schleusenablauf Stammpersonal
- Variante A in B Schleusenablauf Servicepersonal
- Variante A in B Möblierung
- Bauliche Varianten Monitoring
- Variante A in B Reinraumreinigung
Dieser Leitfaden ist nicht nur für GMP Apotheker, sondern kann auch von anderen Reinraumanwendern verwendet werden.
Elektrochemische Dekontamination leitender Oberflächen
Von grundlegenden Ideen zu neuen Ansätzen – Prof. Dr. Claus Jacob, Universität Saarbrücken
Mikrobielle Biofilme auf Oberflächen können zu ästhetischen, technischen und hygienischen Problemen führen. Besonders in hygienisch sensiblen Bereichen sollten sie daher konsequent entfernt und ihrer Nachbildung vorgebeugt werden. Leitende Oberflächen bieten viele Möglichkeiten, mithilfe sehr geringer Spannungen und Ströme, die auf ihnen angesiedelten Biofilme effizient zu zerstören. Neben einer einfachen elektrostatischen Abstoßung von Bakterien durch eine zumeist negative Aufladung der Oberfläche kommen dabei vor allem elektrochemische Verfahren zum Einsatz, die z. B. durch direkte Oxidation oder durch eine lokale und idealerweise temporäre Erzeugung aggressiver Molekülspezies Bakterien effektiv abtöten. Am bekanntesten ist dabei sicherlich die anodische Oxidation von chloridhaltigen Lösungen an der Oberfläche, die zur Bildung von Chlor und Hypochlorit führt. Hypochlorit ist auch in Chlorbleichen enthalten und wirkt besonders bakterizid.
Da anodische Reaktionen und die Bildung von aggressiven, reaktiven Chlorverbindungen jedoch häufig zu Schäden (Korrosion) der betroffenen Oberfläche führen und zudem eine Belastung für Anwender und Umwelt darstellen, werden gegenwärtig vermehrt auch kathodische Verfahren untersucht. Durch die Wahl geeigneter Oberflächen können dabei durch kathodische Reduktion von Sauerstoff in wässriger Lösung mikrobielle Biofilme und andere Ablagerungen sowohl physikalisch, durch entstehendes Wasserstoffgas, als auch chemisch, über reaktive Sauerstoffspezies, die durch die Reduktion von Sauerstoff in der Lösung erzeugt werden, effektiv zerstört werden. Mit diesem Themenblock traf Prof. Dr. Claus Jacob, den Nerv der Zeit.
Herausforderungen bei Beschichtungsprozessen
Funktionsbeschichtungen auf optisch anspruchsvollen Untergründen – Dr. Alexander Kurz, Nanogate AG
In seiner Ausführung über die Beschichtungen von Oberflächen stellte Herr Dr. Kurz zunächst die Beschichtungstechnologien sowie deren Bedeutung in den Vordergrund. Dabei erklärte er die Vor- und Nachteile der Beschichtung am einzelnen Projekt. Die einzelnen Aufzählungen, der bereits bearbeiteten Projekte, vervollständigte seine Ausführungen. Ebenfalls erläuterte er die Unterschiede zwischen Hybridlacken („Nanolacken“) und im direkten Vergleich dazu die konventionellen Lacke. Ein wesentlicher Baustein seiner Ausführungen lag auch bei Beschichtungstechnologien und Verfahren. Was man nicht außer Acht lassen sollte sind die Fehlerbilder der Defektklassifizierungen. Alle seine Beschreibungen basieren auf Tätigkeiten, die nur möglich sind, wenn sie unter Reinraumbedingungen ausgeführt werden.
Phänomene im Reinraum
Paul Jochem, ReinraumTechnik-Jochem, referierte über die Schwierigkeiten, die sogenannten Phänomene (Sinneserfahrungen nicht sichtbar-, hörbar-, riechbar-, tastbar-, spürbar und schmeckbar und trotzdem vorhanden) den Personen bei Reinraumschulungen beizubringen. Wobei der Tastsinn grundlegender Sinn für unser körperliches und seelisches Wohlbefinden darstellt. Berührung fördert unsere individuelle Lernfähigkeit, sowie unterstützt und fördert die Entwicklung des gesamten Nervensystems. Über den Tastsinn erhalten wir Informationen über die Dinge unserer Umwelt, Oberflächenstruktur (glatt, rau), Konsistenz (klebrig, hart), Temperatur (heiß, kalt), Foren (rund, eckig), Maße (groß, klein) und Proportionen werden so wahrgenommen. Durch Greifen wird „begriffen“. Die volle Entfaltung des Tastsinns durch vielerlei Formen von Berührungserfahrungen, bildet die Grundlage der Entwicklung sämtlicher Formen von Intelligenz.
Unsere Haut enthält Millionen von Sensoren, die auf äußere Reize reagieren. Sie melden dem Gehirn, ob sich etwas kalt oder heiß, glatt oder rau, hart oder weich anfühlt. Die meisten der Sensoren befinden sich an Händen und Mund.
Für eine gesunde Entwicklung ist es wichtig, dass alle Sinne gut funktionieren. Von besonderer Bedeutung ist ein gesundes Zusammenspiel aller Körpersinne (Sensorische Integration). Sensorische Integration bezeichnet das Ordnen der Sinneseindrücke, um sie bewusst verarbeiten zu können. Die Reize, die ständig auf uns einwirken, die uns Informationen über unseren Körperzustand und unsere Umwelt geben, müssen vom Gehirn erkannt, verstanden, voneinander unterschieden, interpretiert und mit bereits gespeicherten Informationen verglichen werden.
Hier wird das Problem verdeutlicht. Bei der Übermittlung, dass der Mensch die meisten Kontaminationen dem Reinraum zuführt, wird nur der Hörsinn bei der Übermittlung (Schulung) des Lernstoffes sensibilisiert. Der Lernende muss also glauben, dass er die Kontaminationsquelle im Reinraum ist. Da luftgetragene Partikel im µ-Bereich (mit dem bloßen Auge nicht sichtbar) zur Qualifikation des Reinraumes herangezogen werden, wird die Sensorische Integration nicht voll ausgeschöpft. Wie soll das Gehirn verarbeiten, wenn der Begriff: Was ich nicht sehe, greifen, fühlen… kann ist auch nicht vorhanden. Denn was heißt Glauben: Glauben ist eine Annahme
– das Führwahr halten – eines Sachverhalts.
Also ist der Begriff von den Phänomenen im Reinraum nicht ganz abwegig.
Entwicklung neuer Antibiotika
Notwendigkeit, Herausforderungen und Erfolgsaussichten – Prof. Dr. Rolf Müller, Leiter Helmholtz-Institut, Saarbrücken
Immer mehr Bakterien gewinnen Widerstandskräfte gegen Antibiotika. Besonders gefährlich wird dieser Trend bei einem Erregertyp, dem ohnehin nur wenig Medikamente beikommen. Wissenschaftler des Holmholtz-Instituts für Pharmazeutische Forschung suchen nach Wirkstoffen, um der Bedrohung Herr zu werden. Prof. Dr. Rolf Müller stellt die Frage: Was ist das erfolgreichste Lebewesen der Erde? Nein, es ist nicht der Mensch. Es ist, da ist kein Zweifel möglich, das Bakterium. Bakterien leben seit zwei Milliarden Jahren auf unserem Planeten, und sie werden aller Voraussicht nach auch in zwei Milliarden Jahren noch existieren. Alle unsere Umweltbedingen können dem Bakterium keinen Schaden zufügen.
Ein Mensch besteht aus zehn Billionen Zellen – doch auf und in uns leben zehnmal so viele Bakterien.
Da ist es ein Glück, dass weit über 99 % aller bekannten Arten harmlos oder, z. B.: als Bestandteil der Darmflora, sogar nützlich sind. Nur ein Dutzend Arten werden uns gefährlich. Sie in Schach zu halten, ist die Aufgabe der Antibiotika. Doch wegen der ständigen Anwendungen verliert das vor 70 Jahren eingeführte Medikament immer mehr an Wirkung. Viele Bakterien werden resistent – und das Schwerwiegende daran ist, dass es die Krankheitserreger, die ohnehin am schwierigsten zu bekämpfen sind, betrifft.
Viele Menschen haben von multiresistenten Keimen – „MRSA“ – schon einmal gehört. Die Masse der heutigen Antibiotika, so Prof. Martin Krönke, Vorstandsvorsitzender des Deutschen Zentrums für Infektionsforschung stammt aus den 1950er und 60er-Jahren. Bis in die 1990er Jahre habe es kaum Neuentwicklungen auf diesem Sektor gegeben. Durch den ständigen Einsatz über längere Zeit, hatten die Krankheitserreger Jahrzehnte Zeit, Resistenzen zu entwickeln. Jetzt schlagen ihre mutierten Abkömmlinge zurück. Der Nachsatz seitens Prof. Krönke: Bei bestimmten Infektionen, „kann man fast nur noch beten“. Dies sollte uns bedenklich stimmen. Erst seit dem 21. Jahrhundert hat man sich dem Problem wieder zugewandt, da man der Meinung war, dass ein bezwungen geglaubter Gegner wieder aufgetaucht ist. Ein riesiges Problem für unsere Kinder und Kindeskinder. Denn Neuentwicklungen verschlingen sehr viel Zeit. Etwas mehr als 10 Jahre vergehen, bis aus einer pharmazeutisch vielversprechenden Substanz nach Labortests, Tierversuchen und klinischen Studien ein neues Medikament wird.
So zum Beispiel: Die unheimliche Wandlungsfähigkeit der Bakterien, sie durchlaufen an einem Tag so viele Mutationen wie ein Mensch theoretisch in 2.000 Jahren. Das hängt mit ihrer Fähigkeit zur explosiven Vermehrung zusammen, die unser Vorstellungsvermögen sprengt. Dazu ein rein hypothetisches Zahlenspiel: Ein typisches Darmbakterium vom Typ Escherichia coli kann sich unter optimalen Bedingungen alle 20 Minuten verdoppeln. Könnte sich ein solches Bakterium ungebremst teilen, würden seine Tochterzellen nach 17 Stunden ein Volumen von einem Liter erreichen und wären nach zwei Tagen auf die Größe des Erdballs angeschwollen. Da ihnen die Nährstoffe fehlen und sie sich nicht fortbewegen können, ist dies in der Praxis nicht möglich. Auch stehen die Krankheitserreger im ständigen Kampf mit ihren Gegnern.
Hier kommt das Helmholtz-Institut in Saarbrücken ins Spiel. Deren Hauptaugenmerk war es, gezielt nach Naturstoffen gegen multiresistenten Keime zu suchen. Da die größten Feinde der Bakterien andere Bakterien sind, spielen sogenannte Raubbakterien in der HIPS-Forschung eine Schlüsselrolle. Eine wesentliche Rolle dabei spielen die Mykobakterien, einige tausendstel Millimeter große stäbchenförmige Einzeller, die sich von anderen Mikroben ernähren und dabei natürliche Antibiotika nutzen. Hierbei versuchen die HIPS-Forscher sie zu isolieren und daraus Medikamente zu entwickeln.
Unter diesen Substanzen hat das Team von Prof. Dr. Rolf Müller nun eine neue Wirkstoffgruppe gefunden, die sogenannten Cystobaktamide. Sie wirken gerade im Labor gegen Keime von denen die größte Gefahr ausgeht.
Forscher unterscheiden zwischen zwei Bakterien-Gruppen, den gram-positiven und -negativen Keimen. „Bei den MRSA-Keimen, die zur gram-positiven Gruppe gehören, fixieren wir im Prinzip den falschen Feind“, erklärte Rolf Müller. Denn gegen MRSA gibt es Reservemedikamente. Viel gefährlicher seien die gram-negativen Keime. Da gebe es bereits Erreger, gegen die keine Medikamente mehr wirken. Gram-negative Bakterien haben eine doppelte Zellmembran, die sie wie eine Panzerweste schützt. Die Zahl der Wirkstoffe, die diesen Panzer durchschlagen können, sei immer schon relativ gering gewesen.
Die größte Aufmerksamkeit gilt hier den Cystobaktamiden, da deren Wirkstoffe die Zellmembranen multiresistenten und gram-negativer Keime knacken können.
Allerdings sind die Substanzen bisher erst im Labor getestet. Also bedarf es noch einiger Zeit an Tests und Versuchen bis evtl. daraus ein geeignetes Medikament wird. Jedoch verspricht der bisherige Ansatz Hoffnung.
Aber selbst dann, kann von einem Sieg gegen die Bakterien keine Rede sein.
Prof. Rolf Müller plädiert deshalb für mehr Verantwortungsbewusstsein beim Umgang mit antibakteriellen Wirkstoffen.