Anlagenbau & Prozesstechnik

Die Spitze des Eisberges

Reinheitstechnik am Fraunhofer IPA

01.06.2016 -

Vor 30 Jahren hat das Stuttgarter Fraunhofer-Institut für Produktions­technik und Automatisierung IPA die Reinheitstechnik auf seine Agenda gesetzt. Seitdem ist sein Engagement auf diesem Gebiet stetig gewachsen.

Das Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung IPA gehört zu den weltweit führenden Einrichtungen auf diesem Gebiet. Es verfügt nicht nur über den größten Test-Reinraum der ISO-Klasse 1, 200 m2 groß, 6,50 m hoch, sondern auch über hochpräzise Geräte für die Validierung von Reinheit. Damit ist es hervorragend aufgestellt. „Die Kombination von Reinigen und Reinheitsprüfung sowie -bewertung ist einzigartig“, sagt der Leiter der Abteilung Reinst- und Mikroproduktion, Udo Gommel. Das Institut deckt die gesamte Palette der Reinheitstechnik ab, vom Reinheitskonzept für Fertigungsanlagen und reine Produktionsumgebung bis hin zu deren Umsetzung. Es reinigt einzelne Bauteile oder sogar ganze Satelliten-Teilsysteme mit unterschiedlichen Techniken, klassisch mit Ultraschall oder ionisiertem Gas, nass oder trocken, oder mit selbst entwickelten, einzigartigen CO2-Reinigungsverfahren. Auch Schulungen und die Zertifizierung gehören zum Leistungsumfang.

Fraunhofer Tested Device
Das IPA hat sogar ein eigenes Gütesiegel. Das Logo Fraunhofer Tested Device ist überall auf der Welt bekannt und geschätzt. Kunden können einzelne Teile oder ganze Maschinen, vom Kabel bis zum Roboter, auf ihre Reinraumtauglichkeit testen und zertifizieren lassen. Dabei geht es, je nach Problemstellung, um unterschiedliche Kriterien, sei es Partikelabgabe oder Ausgasungen, Chemikalienbeständigkeit oder Reinigbarkeit. Der Kunde erhält neben der Urkunde einen ausführlichen Prüfbericht. Mehr als 1700 Produkte aus zahlreichen Branchen, von der Elektroniksparte bis zur Lebensmitteltechnik, hat das IPA bisher untersucht. Jedes Jahr kommen mindestens 100 hinzu.

Fertigen unter Reinraumbedingungen
Als das Institut vor drei Jahrzehnten in die Reinheitstechnik einstieg, stand die Halbleiterfertigung im Mittelpunkt. Inzwischen sind andere Branchen dazugekommen, von der Automobilproduktion bis zur Medizintechnik. So hat das IPA für einen international tätigen Autozulieferer, der seine Elektronikkomponenten unter Reinraumbedingungen fertigen muss, ein Reinheitskonzept erstellt. Die Ausschussrate ging daraufhin um 55 % zurück, was bei der hohen Stückzahl eine Kostenersparnis von rund einer Million Euro pro Jahr bedeutet.

CO2-Reinigungsverfahren
Einem Zufall ist es zu verdanken, dass sich das IPA seit 2009 auch mit Raumfahrt beschäftigt. Die Europäische Raumfahragentur ESA hatte angefragt, ob die Stuttgarter Experten in der Lage seien, Komponenten einer Mars-Sonde zu sterilisieren. Da klassische Sterilisationsverfahren tote Mikroorganismen zurücklassen, die gründliche CO2-Reinigung des IPA hingegen sogar die Mikroorganismen von der Oberfläche komplett entfernt, erhielt die Abteilung den Zuschlag. Die Raumfahrt-Sparte hat seitdem die Forschung kräftig angeschoben, denn hier sind die Anforderungen besonders streng. Derzeit laufen fast zwei Dutzend Projekte mit unterschiedlichen Schwerpunkten. Highlights sind ExoMars der Europäischen Weltraumorganisation ESA sowie die Satellitenmission EnMap. Mit einem zuverlässigen Industriepartner ist aktuell sogar eine strategische Partnerschaft für die nächsten Jahre geplant.
Vom Erdbeobachtungssatellit EnMap hat das Institut fast sämtliche 13.000 Teile gereinigt. Das Mars-Projekt war noch anspruchsvoller, denn dabei geht es darum, Spuren von Leben auf dem Nachbarplaneten zu suchen. Deshalb dürfen keinerlei organische Substanzen von der Erde mitgeschleppt werden, was die Anforderungen an Reinheit zusätzlich erhöht. Ein sehr schonendes Reinigungsverfahren, das in Stuttgart entwickelt wurde, hat sich dabei bewährt: das CO2-Schneestrahlverfahren. Ursprünglich wurde es in den USA genutzt, um Lack von Flugzeugrümpfen zu entfernen. Die IPA-Experten haben es verfeinert und verwenden anstatt harter CO2-Pellets kleinere und weichere Schneekristalle. Verunreinigungen werden dabei durch den Temperaturschock versprödet, lösen sich ab und können abgesaugt werden. Um die Wirksamkeit zu erhöhen, beschleunigt umhüllender Stickstoff den Strahl auf Überschall. Eine weitere Innovation ist die Verwendung von überkritischem Kohlendioxid. In geschlossenen Hohlräumen können Schlauchleitungen damit gespült werden, indem er mit einem Überdruck von 70 bar tief in diese eindringt.
Das Fraunhofer IPA reinigt nicht nur und kontrolliert den Erfolg, es verpackt die gesäuberten Bauteile auch fachgerecht, damit sie nicht durch Abrieb oder Ausgasungen des Verpackungsmaterials aufs Neue verschmutzen. Gommel spricht von einem Rundumsorglospaket. Vor allem in der Raumfahrt ist eine solche aufwendige Verpackung Pflicht, sei es mit Edelstahl oder Alu-bedampfter Folie. Denn bis zum Zusammenbau und Start eines Satelliten müssen die Bauteile häufig jahrelang lagern.

Sauberkeitsnormen und Richtlinien
Ein weiteres Arbeitsgebiet ist die Hilfe beim Erstellen von Normen und Richtlinien. Viele Gremien im In- und Ausland, die sich mit Sauberkeit beschäftigen, werden von IPA-Mitarbeitern unterstützt, gleichgültig, ob es um das Design eines Reinraums oder um die Klassifikation von Oberflächenreinheit geht. Und manchmal stellt das IPA dafür auch eigens Konsortien aus Industrie und Forschungspartnern zusammen, um die Anforderungen aus dem Produktionsumfeld in nationale und internationale Regelwerke umzusetzen.
Bei einer der neueren Initiativen geht es um Verbrauchsmaterialien, die in Reinräumen verwendet werden, etwa Overalls, Handschuhe oder Wischtücher. Obwohl diese Wegwerfartikel durch Abrieb oder Ausgasungen Verunreinigungen verursachen können, fehlen bisher verlässliche Regelwerke, wie sie beschaffen sein müssen. Der Industrieverbund Cleanroom Suitable Consumables soll das ändern. Ein weiterer, 2015 gestarteter Industrieverbund beschäftigt sich mit medizintechnischen Produkten wie Implantaten und chirurgischen Instrumenten. Durch einheitliche und sinnvolle Vorgaben, die im Verbund ­»MediClean« mit den betroffenen Medizitechnikunternehmen diskutiert werden, kann hier sowohl für die Medizintechnikunternehmen, die für die Unbedenklichkeit ihrer Produkte haften, als auch den Patienten Sicherheit geschaffen werden.

Schulungen
Nicht zuletzt gibt das Fraunhofer IPA sein Know-how mit Schulungen weiter. Seit 2005 wurden rund 2500 Personen mit Reinheitstechniken vertraut gemacht, teilweise in den Stuttgarter Institutsräumen, teilweise bei Vorort-Schulungen in den jeweiligen Unternehmen. Seit 2011 bekommen die erfolgreichen Absolventen ein QMC-Zertifikat (Qualitäts Management Center), das der VDA vergibt.
IPA-Experte Gommel ist überzeugt: Die zunehmende Miniaturisierung macht die Reinraumtechnik immer wichtiger und führt zu immer höheren Anforderungen. „Wir sehen kein Ende der Entwicklung“. Auch die Herausforderungen, die mit Industrie 4.0 einhergehen, sind ohne die Hilfe der Saubermänner nicht zu stemmen.

Kontakt

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