Der Reinraum als Kostentreiber?
Deutliche Energie- und Kosteneinsparungen oft mit geringen Veränderungen realisierbar
Wenn dem Controller beim Blick auf die Energierechnung die Gesichtszüge entgleisen, dann dauert es nicht lange, bis der Ruf nach Kostensenkung laut wird. Leider erfordert das Erzeugen und Aufrechterhalten bestimmter Reinraumklassen viel Energie in Form von Wärme, Kälte und Strom. Doch dagegen lässt sich etliches unternehmen. Experten warnen allerdings vor blindem Aktionismus. „Eine Energiesparmaßnahme darf nicht so viel kosten, dass sie sich auch in 30 Jahren noch nicht rechnet", mahnt Steffen Röhm. Er ist Projektleiter im Competence Center Engineering der Pharmaserv im hessischen Marburg.
Das Vor-Engineering
Wer mit seinem Reinraum sozusagen auf der weißen Leinwand beginnt, der kann mit dem Energiesparen bereits im Lastenheft anfangen. Denn darin werden die wirtschaftlichen, technischen und organisatorischen Erwartungen des Auftraggebers an seine Anlage festgehalten. „Im Lastenheft steht aber oft nur drin, was man mit der Anlage machen will, nicht wie die Energieplanung aussehen soll", verweist Steffen Röhm auf ein häufiges Manko. Wer also einen Reinraum neu konzipiert, der sollte die Energieplanung beziehungsweise den energetisch sinnvollen Betrieb mit ins Lastenheft aufnehmen. Die technischen Möglichkeiten reichen von einer energetisch optimierten Gebäudehülle über hohe Umluftanteile, Entfeuchtung mit Direktverdampfung und Nachheizung über die Heißgasnutzung oder auch das Heizen und Kühlen mit Wärmepumpe bis hin zum Absenkbetrieb nach Produktionsschluss.
Ist der Reinraum bereits errichtet, lassen sich die laufenden Kosten für Betrieb, Wartung, Schulung und Betreuung oft durch das Drehen an bestimmten Stellschrauben deutlich reduzieren. „Muss ich wirklich 50 +/- 5 % Luftfeuchte einhalten und damit über einen langen Zeitraum im Jahr viel Energie zum Be- und Entfeuchten aufwenden, oder genügt auch der für Menschen behagliche Bereich von 35 bis 65 %, wenn es keine Vorgaben für das Produkt gibt, so dass ich weniger nachregeln muss und Energie sparen kann", nennt Qualifizierungsingenieur Steffen Röhm ein Beispiel. Weitere prozessbezogene Einsparmöglichkeiten böten das Anpassen von Kanaldruck und Raumtemperatur, die Festlegung tatsächlich notwendiger Reinraumklassen und -größen sowie das Minimieren der Luftwechselraten auf ein sinnvolles Niveau.
Die Filtermaterialien
Großen Einfluss auf die Betriebskosten haben auch die Filter. „Die Krux hierbei ist: Eine hohe Abscheideleistung erfordert zunächst einmal einen hohen Energieaufwand", sagt Frank Spehl, Vertriebsleiter der AAF Lufttechnik im nordrhein-westfälischen Oberhausen. „Der Energiebedarf der Filter soll aber reduziert werden - hier standen wir bisher vor einem Dilemma." Neue Entwicklungen brachten die Lösung. Wurden die Filter zuvor aus einem groben Vorfiltermedium mit dahinter liegendem feineren Material hergestellt, stehen heute neuartige Nanowave-Strukturen zur Verfügung. „Diese Materialien bewirken nahezu eine Verdopplung der abscheidewirksamen Filterfläche bei gleichzeitiger Halbierung des Druckverlustes", betont Frank Spehl. Mit anderen Worten: Die neuen synthetischen Luftfiltermedien bieten eine viel höhere Abscheideleistung bei wesentlich effizienterem Energieeinsatz. Positiver Nebeneffekt: Auch die Prozesssicherheit steigt und damit die Qualität der im Reinraum hergestellten Produkte.
Doch selbst die besten Filter müssen eines Tages ausgetauscht werden. Für den Reinraumbetreiber ist das ist ein teures Vergnügen, denn das Öffnen der Decke bedeutet nicht nur Produktionsstillstand, sondern auch eine große Verschmutzung des Reinraums. Frank Spehl sagt hierzu: „Den Aufwand des Filterwechsels haben Sie sowieso irgendwann. Aber das Wann können Sie beeinflussen. Darum ist es sinnvoll, teure, aber gute Filter mit langer Standzeit zu kaufen. Dann müssen Sie die Filter seltener austauschen und sparen Geld."
Die Luftwechselrate
Weitere kostensenkende Tipps hat Jürgen Blattner parat. Der Inhaber des BSR Ingenieur-Büros im baden-württembergischen Oberhausen-Reinhausen ist auf Qualifizierung und Monitoring von Reinräumen spezialisiert. Der studierte Verfahrenstechniker verweist darauf, dass nirgends vorgeschrieben sei, wie oft die Luft in einem Reinraum gewechselt werden müsse. „Es ist ja schließlich ein Unterschied, ob zwei oder zehn Leute im Raum sind", nennt Blattner den Grund. Er empfiehlt Betreibern, die Partikelkonzentration im Reinraum über einen gesamten Arbeitstag hinweg messen zu lassen. So werde sichtbar, wie hoch die Partikelkonzentration nach Arbeitsbeginn durch das Einschleusen von Personen und Material ansteige, wie weit sie danach wieder absinke, wie hoch sie nach der Frühstückspause wieder ansteige und bis zur Mittagspause wieder absinke und so weiter. Wer seine typischen Verläufe kenne, der könne die Luftwechselraten optimal an die Prozesse anpassen. „Auf diese Weise konnten wir z. B. bei einem Kunden die Luftwechselrate um 20 % reduzieren", beziffert Jürgen Blattner den Lohn der Mühe.
Bei der Auslegung eines Reinraumes sollten Betreiber auch darauf achten, dass sie diesen nicht überdimensionieren. Denn je mehr Technik sie einbauen lassen, desto aufwendiger werden Wartung und Instandhaltung. Und da kommt mehr zusammen, als es auf den ersten Blick scheint. Denn regelmäßig gewartet werden müssen nicht nur die Prozessmaschinen im Reinraum, sondern z. B. auch die Elektro-, Lüftungs-, Heizungs- und Kältetechnik, die Anlagen für technische Gase, Wasseraufbereitung und Druckluft, die MSR-Technik und das GMP-Monitoring. Neben diesen Arbeitsumfängen an sich sei auch der richtige Zeitpunkt einer Wartung oder Instandhaltung von betriebswirtschaftlicher Relevanz, betont Jürgen Blattner: „Warten Sie mit einem Filteraustausch nicht so lange, bis 90 % der Standzeit erreicht sind. Irgendwann ist ein neuer Filter günstiger als der Energieaufwand für den Leistungsverlust des alten Filters."
Die Requalifizierung
Wurden Änderungen an einer Anlage vorgenommen, muss der Betreiber sicherstellen, dass sie sich anschließend weiterhin im qualifizierten Zustand befindet. Zahlreiche Normen, Richtlinien und Verordnungen beschreiben zwar die Notwendigkeit und Vorgehensweisen bei einer Requalifizierung, enthalten aber oft keine Hinweise auf deren Häufigkeit. Dr. Lothar Gail, Berater und Experte für Reinraum- und Steriltechnik, empfiehlt Reinraumbetreibern darum, die Zuverlässigkeit ihres Prozesses für die Qualität des Produktes als Maßstab zu nehmen. Hilfreich hierfür sei das Hinterfragen der Messungen. „Sind diese angemessen, dann kann ich entscheiden, ob eine erneute Prüfung in 24 Monaten ausreichend ist, oder ob ich alle sechs Monaten prüfen muss", erklärt Dr. Gail.
Die Verbrauchsmaterialien
Hinterfragen sollten Reinraumbetreiber auch ihre Kosten für Verbrauchsgüter wie Handschuhe, Kleidung, Tücher, Swabs und Reinigungsmittel. Genauer gesagt: nicht die Kosten, sondern das Kosten-Nutzen-Verhältnis. „Es bringt Ihnen nichts, wenn die Verbrauchsgüter nur aufgrund des günstigsten Preises bestellt werden und Ihnen dadurch Mehrkosten in der Produktion entstehen", sagt Carsten Moschner. Er ist Geschäftsführer der dastex Reinraumzubehör in Muggensturm am Fuße des Schwarzwaldes. Fast noch harmlose Beispiele für solche Opportunitätskosten sind unter anderem schlechte Bekleidung, die vorzeitig ausgetauscht werden muss, oder ungeeignete Tücher, die durch ihre geringere Reinigungsleistung mehr Arbeit verursachen. Richtig teuer wird es dagegen, wenn nach der Geiz-ist-geil-Methode eingekaufte Verbrauchsgüter die eigenen Produkte schädigen. Carsten Moschner kennt solche Fälle zur Genüge. Eine Firma im Halbleiterbereich etwa sparte durch den Einkauf von Nitrilhandschuhen einen fünfstelligen Eurobetrag im Jahr ein, erlitt aber einen deutlich höheren Schaden in der Produktion, weil die Handschuhe zu Korrosion auf den Wafern führten. In einem Unternehmen der Optikindustrie zerstörte ein „falsches" Reinraumtuch durch Ausgasung vollständig die optische Oberfläche eines sehr teuren Objektes, ohne dieses überhaupt berührt zu haben.
„Der Einkauf von Reinraumprodukten nur aufgrund des günstigsten Preises kann in der Reinraumtechnik teuer werden", warnt Carsten Moschner. „Ich sage: Kosten sparen ja, aber in Relation." Bei Handschuhen zum Beispiel sollten Reißfestigkeit, Dichtheit und Beständigkeit gegen Chemikalien kaufentscheidend sein und nicht der beste Preis. „Wenn ich beim Anziehen schon jeden zweiten Handschuh zerreiße, dann spare ich nichts", sagt Moschner. Ähnliches gelte für die Auswahl von Tüchern. „Wenn Sie Ihren Fingerprint auf dem Handy mit einem Zellstofftaschentuch wegwischen wollen, dann brauchen Sie recht lange. Aber mit einem Mikrofasertuch geht das sehr schnell", verdeutlicht Moschner das Optimierungspotenzial. Wer sich vorab damit auseinandersetze, ob er Plexiglas- oder Edelstahloberflächen zu reinigen hat, ob er Öl, Fett, lose Partikel oder chemische Verbindungen entfernen muss, der könne treffsicher entscheiden, mit welchem Tuch er den größten Effizienzvorteil erzielt.
Vom Einfluss der Einkäufer kann auch Dietmar Pfennig ein Lied singen. „Wenn für die Reinraumreinigung kein geeignetes, geprüftes oder nicht zertifiziertes Equipment gekauft wird, dann kann das dazu führen, dass sie im Reinraum etwas vorfinden, was sie dort nicht vorfinden wollen", sagt der Geschäftsführer der Pfennig Reinigungstechnik im süddeutschen Durach. Baumwollfaser-Mopps zum Beispiel gäben bis zu 100.000 mal mehr Partikel ab, weil Baumwolle keine Endlosfaser sei, sondern eine kurze Faser. Schon dieses Beispiel zeige, welches Effizienzpotenzial in der Verwendung von optimierten Systemen liege. Mopps sollten aus Textilfasern bestehen, die die mechanische Belastung des Reinigens und die thermische Belastung des Autoklavierens aushalten und trotzdem noch gut reinigen. Für Reinigungswagen und Geräte sollte unbedingt Edelstahl verwendet werden, weil dieser sterilisierbar ist. Auch sollten die manuellen Systeme immer über offene Abschlüsse und abgerundete Kanten verfügen, weil diese leicht zugänglich und daher gut zu reinigen sind. Die Verbindungen an Geräten sollten entweder fest und ohne Fugen oder zum Abnehmen gestaltet sein, um Ansammlungen von Partikeln und Mikroorganismen zu vermeiden. Letztere lagern sich auch an unebenen Schweißnähten und in Haarrissen ein. Allein ein Haarriss von nur drei Millimeter Länge und drei Hundertstel Millimeter Tiefe bietet Platz für 100.000 Mikroorganismen.
Die Reinigung
Neben der Auswahl reinraumoptimierter Produkte haben auch die Reinigungsmethoden einen Einfluss auf den effizienten Betrieb von Reinräumen. „Das Problem ist: Menschen arbeiten verständlicherweise niemals exakt gleich, dadurch sind Vorgänge nicht reproduzierbar. Ein Mopp beispielsweise könnte folglich nach dem Tränken entweder zu trocken oder zu nass sein", sagt Dietmar Pfennig. Ist der Mopp zu trocken, frohlocken die Keime. „Das Wasser, das wir auf den Boden bringen, ist wie eine Straßenbahn, mit der das Desinfektionsmittel zu den Keimen kommt", erklärt Pfennig. Ein Filmabriss bedeutet somit: keine Desinfektion. Ist der Mopp hingegen zu nass, kommt es zum Schichtaufbau. Man kennt dieses Phänomen von den klebenden Krankenhaus-Fußböden.
Pfennig löste das Zu-nass-zu-trocken-Problem durch die Entwicklung eines geschlossenen Systems, in dem der Mopp von selbst immer mit derselben Lösungsmenge durchtränkt wird. Damit lässt sich in der manuellen Reinigung eine reproduzierbare Qualität erzielen. Und allen Kunden, die da geringschätzig sagen, es gehe doch nur ums Putzen, entgegnet Dietmar Pfennig: „Reinigung und Desinfektion beeinflussen eine Reinraum-Produktion genauso wie eine lufttechnische Anlage. Die Anlage wird einmal konzipiert, dann läuft sie - richtige Wartung vorausgesetzt. Reinigung und Desinfektion aber sind individuell und werden von Menschen ausgeführt, darum ist eine reproduzierbare Qualität so wichtig."