Factoring - die Chemie muss stimmen
26.01.2015 -
Mit dem Verkauf von Rechnungen lassen sich Engpässe überbrücken und Investitionen schneller schultern. Dafür muss aber erst einmal ein passender Anbieter gefunden werden.
Die Zinsen sind so niedrig wie nie zuvor, doch nur 12% der benötigten Gelder werden von den Unternehmen laut einer Studie der EBS Universität für Wirtschaft und Recht, Wiesbaden über den Bankkredit beschafft. Der Trend zur Innenfinanzierung manifestiert sich z.B. in der starken Zunahme des Forderungsverkaufs im Mittelstand. Inzwischen gehören laut dem Deutschen Factoring Verband 87,7% der insgesamt 17.770 Factoringkunden der Umsatzklasse bis zu 10 Mio. EUR an, 19,4% der Umsatzklasse 10 - 50 Mio. EUR. Diese nutzen Factoring aus unterschiedlichen Gründen: um akute Liquiditätsprobleme zu überbrücken, Kontokorrentzinsen zu sparen, kurzfristig Investitionen zu realisieren oder um die Bilanzsumme zu verkürzen, wodurch sich die Eigenkapitalquote erhöht.
Wenn Firmenleitungen Factoring ins Auge fassen, unterschätzen sie oft den „Faktor Zeit". Das kann gefährlich werden, wenn sich bereits erste Liquiditätsengpässe abzeichnen. Nur ganz selten findet man einen passenden Anbieter von heute auf morgen. Es gibt in Deutschland über 200 Factoringunternehmen. Viele sind auf große Umsatzvolumen spezialisiert und nicht selten auch auf bestimmte Wirtschaftszweige. Für eine erfolgreiche Zusammenarbeit kommt es aber nicht nur auf Branchen- und Mittelstandserfahrung an. Von der Organisationsstruktur, den Abläufen und Kommunikationswegen bis hin zu den in einem Konfliktfall greifenden Mechanismen hängt es ab, ob die Chemie stimmt.
Auch die Antragsprüfung braucht einige Zeit. In der Regel vergehen sechs bis acht Wochen, bis man die ersten Rechnungen verkaufen kann. „Factoringgesellschaften prüfen ebenso gründlich wie eine Bank", weiß Susanne Lechner Finanzierungsspezialistin beim Deutschen Industrie- und Handelskammertag (DIHK).
Es sei keineswegs sicher, dass ein Factoringantrag am Ende positiv beschieden werde. „Die wenigsten Firmen haben die erforderlichen Unterlagen griffbereit in der Schublade", so Gerd Georg, Geschäftsführer von Close Brothers Factoring, eines auf mittelständische Firmen spezialisierten Anbieters. Dazu gehörten Informationen zum Unternehmen im Allgemeinen, zu den Produkten und Dienstleistungen, der letzte Jahresabschluss, eine aktuelle Betriebswirtschaftliche Auswertung (BWA), Informationen über die Außenstände und Verbindlichkeiten sowie eine Übersicht über den Auftragsbestand und Planzahlen. Erst wenn die Informationen komplett vorlägen, könne eine seriöse Prüfung erfolgten. Der Experte empfiehlt, sich nach potenziellen Factoringpartnern bereits dann umzusehen, wenn noch kein akuter Bedarf bestehe.
Die Chemieindustrie ist gemessen an fakturierten Branchenumsätzen beim Forderungsverkauf unterrepräsentiert. Bei einem Umsatz von rd. 144 Mrd. EUR (2012) hatte sie am gesamten Factoringvolumen einen Anteil von nur 2,99%. Hersteller von Gummi- und Kunststoffwaren kamen bei einem Branchenumsatz von 75 Mrd. EUR auf einen Anteil von 3,82%, Metallerzeuger und -verarbeiter (108 Mrd. EUR) auf 5,44%. Produzierende Gewerbe eigenen sich neben Handelsunternehmen gerade für ein Factoring. „In der Regel sind bei der der Rechnungsstellung die Leistungen ausweislich der Lieferscheine vollständig und Einrede frei erbracht", so Experte Gerd Georg, die Forderungen seien also besonders sicher.
Unternehmen mit Factoringerfahrung empfehlen diese Finanzierungsform als Bestandteil eines langfristigen Finanzierungskonzepts (siehe Zitate). „Die Forderungsabtretung ist eine strategische Option, die unabhängig von der wirtschaftlichen Situation ausgeübt werden kann; auch in Wachstumsphasen kann erhöhter Finanzbedarf bestehen", betont auch Susanne Lechner vom DIHK.