Lager-Benchmarking für die chemische Industrie
Lager-Leistungsfähigkeit kann für den Unternehmenserfolg entscheidend sein
Lager sind wichtige Bestandteile in der Supply Chain der Chemieindustrie. Es gibt sie auf vielen Stufen von der Grundstofflagerung bis zur Erzeugnislagerung nah am Endkunden. Die Leistungsfähigkeit der Lager kann bei einem Logistikvolumen in der Chemieindustrie von 13,6 Mrd. € (laut der Studie Chemielogistik der Bundesvereinigung Logistik BVL) entscheidend für den Unternehmenserfolg sein. Es lohnt sich deshalb diese ins Visier zu nehmen.
In einer langjährigen Benchmarking-Studie hat die Fraunhofer- Arbeitsgruppe für Supply Chain Services SCS mittlerweile über 160 Lager aus diversen Branchen untersucht. Die Leistung der beteiligten Lager wird dabei anhand von drei Zielgrößen zu Produktivität, Qualität und Kosten gemessen und in einem PQK-Portfolio dargestellt (vgl. Abbildung):
- die Produktivität auf der X-Achse: Je mehr Positionen im Warenausgang pro Mannstunde abgewickelt werden, desto weiter rechts ist das Lager positioniert.
- die Kosten auf der Y-Achse: Je niedriger die Kosten pro Warenausgangs-Position, desto weiter oben erscheint das Lager.
- die Qualität durch die Größe der Blase: Je besser die Qualität (also je geringer der Anteil der fehlerhaften Warenausgangs-Positionen), desto kleiner ist die Fläche.
Demnach ist eine Position im rechten oberen Bereich des Portfolios bei kleiner Fläche der Blase erstrebenswert.
Die Ergebnisse der 23 beteiligten Chemieunternehmen sehen auf den ersten Blick beunruhigend aus: Sowohl bei den Kosten pro abgewickelter Warenausgangs-Position im Lager als auch bei der Produktivität schneiden die Chemielager im Durchschnitt schlechter ab als die anderen Branchen. Pro Mannstunde werden knapp vier Positionen abgewickelt, bei Lagern anderer Branchen ca. zehn. Bei den Kosten ist der Abstand noch deutlicher: Die Abwicklung einer Position in den Chemielagern kostet im Durchschnitt fast 55 € bei den übrigen Lagern ca. 8,70 €. Die Qualität der Lagerabwicklung ist bei den Chemielagern mit 0,16 % hingegen besser als bei den übrigen Lagern (im Durchschnitt 0,23%).
Wie kommen diese auffälligen Leistungsunterschiede zustande?
Es liegt an den Lagerstrukturen. Die untersuchten Chemielager unterscheiden sich in ihren Strukturen deutlich von den Lagern anderer Branchen. Sie führen im Durchschnitt deutlich weniger verschiedene Artikel (ca. 1.200 versus ca. 12.000) und bewegen pro ausgehender Handlingseinheit deutlich mehr Gewicht (ca. 440 kg versus ca. 110 kg). Ihre Warenausgangs-Positionen bestehen zudem aus deutlich mehr Handlingseinheiten (ca. 11,5 versus ca. 2,5). Sie wickeln lediglich ein Drittel der Positionen pro Lieferschein und wesentlich weniger Sendungen pro Jahr ab (ca. 44.000 versus ca. 151.000).
Aus diesen Fakten könnte man den Schluss ziehen, dass es grundsätzlich nicht sinnvoll ist, Chemielager mit Lagern anderer Branchen zu vergleichen. Dies wäre jedoch voreilig.
Chemielager zeigen strukturelle Unterschiede
Bei genauerer Betrachtung zeigt sich nämlich, dass Chemielager enorm unterschiedlich strukturiert sein können. In der vorliegenden Untersuchung stammte der überwiegende Teil der Chemielager aus dem Segment der Grundstoffchemie, was die Strukturabweichungen erklärt. Einige der untersuchten Chemielager weisen allerdings Strukturen auf, die denen von Lagern anderer Branchen deutlich mehr ähneln. Diese Chemielager zeigen auch bzgl. Produktivität und Kosten Leistungswerte, die denen anderer Branchen gleichen.
Es lassen sich also zwei Lehren ziehen:
1. Chemielager ist nicht gleich Chemielager.
2. Für einen sinnvollen Leistungsvergleich ist es unabdingbar die zugrundeliegenden Strukturen zu berücksichtigen.
Praktisch bedeutet dies, dass in der Untersuchung der Fraunhofer SCS jedes beteiligte Lager anhand seiner Strukturfaktoren einem Cluster zugeordnet wird. In einem solchen Cluster können sich viele Unternehmen derselben Branche befinden (z. B. bei Lagern der Grundstoffchemie). Es können jedoch auch Lager aus ganz verschiedenen Branchen in einem Vergleichscluster landen, wenn ihre Strukturen ähnlich genug sind. Die Beurteilung von Produktivität, Qualität und Kosten erfolgt dann innerhalb des Vergleichsclusters, denn erst auf dieser Ebene lässt sich ein sinnvolles Ranking durchführen.
Auf dieser Grundlage kommt man zum nächsten Schritt des Benchmarkings: der Aufdeckung der Ursachen von Leistungsunterschieden jenseits der Strukturfaktoren. Woran liegt es, dass einige Lager höhere Leistungen erbringen als andere Lager mit vergleichbaren Strukturen? Was machen diese Lager anders? Setzten Sie andere Technikkomponenten ein? Gelingt es ihnen, ihr Personal besser zu motivieren? Wenn ja, mit welchen Maßnahmen? Organisieren Sie ihre Lagerprozesse auf besondere Weise?
Die Antworten auf diese Fragen über bessere Abläufe und Herangehensweisen sind die „Best Practices". Mit ihrer Hilfe lässt sich das Leitungspotential eines Lagers erschließen und so der Unternehmenserfolg steigern.
Die „offene Lagerhaustudie" der Fraunhofer SCS ist ein laufendes Projekt. Interessierte Unternehmen können sich jederzeit beteiligen. Wie hier dargestellt werden sie anhand ihrer Strukturdaten einem passenden Vergleichscluster zugeordnet und können so sichergehen, dass nicht die berühmten Äpfel mit Birnen verglichen werden.