Entwicklungsgrad und Verbesserungspotentiale
Chemische Logistik: Zusammenarbeit von Produzent und Dienstleister (Teil 5)
Welcher Entwicklungsgrad ist für die Chemielogistik anstrebenswert und wie weit ist sie generell vom „Idealzustand" erfolgreich umgesetzter „Best Practices" entfernt? Diese Fragestellungen beantwortet und bewertet Teil 5 der Artikelserie der hier betrachteten BVL-Studie zur Chemielogistik. Drei Indikatoren in den Kategorien Abwicklung, Planung und Gestaltung der chemischen Supply Chains wurden herangezogen, um den gesamten Entwicklungsstand der Chemielogistik differenziert zu bewerten.
Potentiale in der operativen Abwicklung
Gegenstand der Automatisierung im Rahmen der Studie sind nicht nur die physischen Prozesse, sondern auch Informations- und Geldflüsse. Entsprechend werden neben automatischen Materialflusssystemen auch bspw. die beleglose Beschaffung oder das „Automated Billing" betrachtet. In der Basischemie ist der Automatisierungsgrad gegenüber anderen Branchen relativ groß. So liegt es nahe, dass auch die logistischen Prozesse einen hohen Grad an automatisierten Arbeitsschritten haben.
Grundsätzlich ist es richtig, dass zahlreiche operative Logistikprozesse bereits automatisiert wurden. So können in der Speziallogistik für die Chemieindustrie Silos und Tanks ohne manuellen Eingriff gefüllt und in vollautomatisierten Waschanlagen wieder gesäubert werden. Ebenso findet sich in der „konventionellen" Chemielogistik der Einsatz von modernen und automatischen Hochregallagern für Palletten ähnlich weit verbreitet wie in anderen Branchen. Auch die RFID-Technologie wird in einigen Bereichen der Chemielogistik, z.B. zur Gewährleistung des korrekten Befüllens von Silos, eingesetzt.
Potentiale in der taktischen Planung
Logistikketten können umso besser geplant werden, je transparenter die Mengendurchflüsse sind. Entsprechend kann der Entwicklungsgrad der taktischen Planung über die Ausprägung der Transparenz ermittelt werden. Zusammenfassend werden unter der Supply Chain Transparenz insbesondere die Art der Erfassung von logistischen Informationen, die Kenntnisse über Bestände entlang der Logistikkette und die Art der Überbrückung der Schnittstellen zwischen IT-Systemen verstanden.
In der Praxis der Chemielogistik zeigt sich, dass viele Unternehmen nicht nur gegenüber ihren Wertschöpfungskettenpartnern ihre logistischen Prozesse aufgrund später und unzureichender Information planen, auch innerhalb der Unternehmen agiert die Logistik oft isoliert von anderen Bereichen. Die Transparenz der (logistischen) Prozesse verspricht damit in vielen Fällen erhebliche Optimierungspotentiale. Aussagen der Interviewpartner zu diesem Thema: „Potentiale liegen im unternehmensübergreifenden Austausch von Produktions- und Kapazitätsdaten sowie von Prognosen und Planungskennzahlen." oder „Eine Supply-Chain-übergreifende Steuerung der Kapazitäten und Ressourcen bietet große Potentiale in der Auslastung und der Vermeidung von Fehlplanungen."
Potentiale in der strategischen Gestaltung
Hier steht im Mittelpunkt, dass der Grad der Arbeitsteilung optimal ausgestaltet ist - also alle Supply Chain Partner sich bestmöglich auf ihre Kernkompetenzen fokussieren. Um eine funktionierende Zusammenarbeit zu gewährleisten, sollte jedes Chemieunternehmen auch die passende Logistik-Kompetenz selbst vorhalten. Grundsätzlich ist festzuhalten, dass die Chemielogistik ein deutliches Defizit in der Integration der Partner in der Wertschöpfungs- bzw. Logistikkette zeigt. Ein, wenn auch kleines Indiz, ist der sehr gering ausgeprägte Outsourcinggrad in der Kontraktlogistik auf industrieller Seite.
Sicherlich ist es nicht per se notwendig, eine möglichst hohe Outsourcingrate zu erreichen. Dennoch legt der im Vergleich zu anderen Branchen geringere Outsourcinggrad den Schluss nahe, dass hier in vielen Fällen noch nicht ausreichend über Potentiale nachgedacht wurde. Ein Grund liegt in der prinzipiellen Vorsicht, Prozesse an externe Unternehmen zu vergeben, die in der chemischen Industrie nicht zuletzt durch die hohen Anforderungen an die Sicherheit besonders ausgeprägt ist. Insbesondere Logistikdienstleister werden in vielen Fällen zumindest als „Junior-", aber (noch) nicht als gleichberechtigter Partner auf Augenhöhe anerkannt.
Während bei den Produktionsprozessen und der Wertschöpfungstiefe klare Vorstellungen bestehen, liegt die Verlagerung begleitender Prozesse wie der Logistik oft noch im Bereich der Unsicherheit. Bisher werden Logistikdienstleister vielfach als reine Auftragsempfänger gesehen und weniger als Partner. Den strategischen Kern mit Entscheidungsgewalt über die Gestaltung der Logistikprozesse, die insbesondere in der Kontraktlogistik möglich wären und dem Dienstleister entsprechende Optimierungsmöglichkeiten bieten könnten, behalten sich die Hersteller zumeist noch selbst vor.
Zusammenfassung der Potentiale:
Abwicklung:
- Standardisierung des Güterflusses
- Standardisierung des Informationsflusses
- RFID-Einsatz in den Prozessen
- Automatisiertes Abfüllen/ Mischen/ Reinigen
- Kontinuierlicher Verbesserungsprozess (KVP) in der Zusammenarbeit mit dem Logistikdienstleister
Transparenz
- Prognose zur Planung kritischer Ressourcen
- Internationale Informationsplattform zu Vorschriften
- Integration aller involvierter LDL
- Supply Chain Event Management System
- Unternehmensübergreifende SC-Steuerung
Kollaboration
- Produktionssynchrone Beschaffung/ Vendor Managed Inventory (VMI)/ Vendor Owned Inventory (VOI)
- Collaborative Planning, Forecasting and Replenishment
- Umsetzung der Pull-Steuerung
Studie: Chemielogistik - Bedeutung, Strukturen, Dynamik
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Mehr Prozesssicherheit durch Standardisierung
Interview mit Prof. Dr. Christian Kille, Hochschule Würzburg-Schweinfurt
CHEManager: Worin liegt begründet, dass logistische Prozesse der chemischen Industrie vielfach nur wenig Transparenz zeigen? Welche Vorteile würden aus mehr Transparenz erwachsen?
C. Kille: In der Chemieindustrie haben bisher die Produktionsprozesse im Mittelpunkt gestanden. Dies liegt an der traditionell hohen Wertschöpfungstiefe, wodurch wenig logistische Schnittstellen vorherrschten. Dies hat sich in den letzten Jahren geändert. Mittlerweile werden nicht wenige Produktionsprozesse auch arbeitsteilig organisiert, wodurch der Logistikanteil steigt. Dies führt zu höherer Komplexität, wodurch eine größere Transparenz notwendig ist.
Wie lässt sich in der Chemielogistik ein Königsweg für das Outsourcing finden, ohne die Sicherheitsaspekte vernachlässigen zu müssen?
C. Kille: Outsourcing ist immer kritisch, wenn es um sensible Prozesse geht. Da die Chemieindustrie besondere Güter - Gefahrgüter - verlädt, ist besonderes Vertrauen in die Leistungsfähigkeit des Outsourcingpartners notwendig. Drei Kernvoraussetzungen sollten damit vom Logistikunternehmen geboten werden: Erfahrung in der Branche inkl. des notwendigen Equipments, eine Transparenz über den verantworteten Logistikprozess sowie ein Plan B im Falle des Falles. Seitens des Chemieunternehmens sollte ebenfalls entsprechende Transparenz, Planungssicherheit und der Wille für partnerschaftliche Zusammenarbeit geboten sein. Der Königsweg bedeutet damit, den Logistikpartner sorgfältig auszusuchen und mit ihm das Logistikprojekt zu entwickeln. Eine dominante Abnehmer-Lieferanten-Beziehung ist bei dieser Zusammenarbeit nicht ratsam.
Weshalb wäre es gerade für die logistischen Prozesse der chemischen Industrie von großer Bedeutung, in diversen Bereichen Standardisierungen zu erreichen?
C. Kille: Standardisierung bedeutet Prozesseffizienz und Prozesssicherheit. Da die Chemieindustrie eine Produktion mit hocheffizienten Prozessen besitzt, sollten die Logistikprozesse dem nicht nachstehen. Und dass bei Gefahrgütern eine Prozesssicherheit gewährleistet sein sollte, versteht sich von selbst.