Interview mit Christina Thurner/Loxxess: Lean lohnt sich immer
Veränderungsprozesse in den Köpfen aller Mitarbeiter auslösen
Die höchstmögliche Effizienz durch Optimierung der Wertschöpfungskette zu schaffen, ist das Ziel von Lean Management. Dies gelingt mit Hilfe eindeutig definierter Prozesse und Abläufe, z.B. durch Eliminierung von überflüssigen Tätigkeiten. Wie wichtig es dabei ist, bei allen, in die Wertschöpfungskette eingebundenen Mitarbeitern eine positiv aktive Grundhaltung zu wecken, erzählt Christina Thurner, Mitglied der Geschäftsführung von Logistikdienstleister Loxxess, im Interview mit CHEManager. Die Fragen stellte Dr. Sonja Andres.
CHEManager: Frau Thurner, Sie haben sich sehr intensiv mit Lean Management befasst. Was ist für Sie das Faszinierende bzw. die Quintessenz dieser Management-Strategie?
C. Thurner: Aus Loxxess-Sicht gibt es drei entscheidende Vorteile: Erstens können wir alle Mitarbeiter in Verbesserungsprozesse einbinden. Unabhängig von ihrem Einsatzort oder von ihrer Hierarchiestufe erhalten sie durch Lean-Methoden sehr konkrete Möglichkeiten, sich kritisch mit ihrem Tun auseinanderzusetzen, Schwachstellen aufzudecken, Verbesserungsvorschläge zu entwickeln, umzusetzen und sich auch persönlich zu qualifizieren. Das schafft Motivation von der Sache her und gibt den Teams neuen Schub. Zweitens schaffen wir höhere Transparenz. Wir erkennen, wo Optimierung möglich ist und wissen ganz genau, wie lange welche Prozesse dauern. Dadurch gewinnen wir drittens eine höhere Flexibilität. Wir können Spitzen wie Täler besser managen, weil wir den Personalbedarf für jede Auftragsmenge exakt kennen und die Kapazität entsprechend frühzeitig steuern können.
Beim Begriff Lean Management denkt man zunächst an Reduzierung und hierbei vor allem an Personalreduzierung. Weshalb ist das der falsche Ansatz?
C. Thurner: Ganz einfach: Niemand nimmt gerne an einem Workshop teil, wenn es darum geht, den eigenen Arbeitsplatz zu kannibalisieren. Wer so beginnt, hat von vorneherein verloren. Bei Loxxess geht es nicht darum, Mitarbeiter zu entlassen, sondern Wachstum zu beherrschen. Wenn Sie neue Aufgaben und höhere Stückzahlen haben, können Sie nicht einfach so weiter machen wie vorher. Die Gefahr, dass dabei ihre Produktivität sinkt, ist sehr groß. Wir wollen im Wachstum effizienter werden und damit die Weichen für weiteres Wachstum stellen: Weniger verschwenden, die Dinge richtig tun und die richtigen Dinge tun. Es hat sich herausgestellt, dass die Motivation steigt, wenn die Kollegen sehen, dass sie aktiv Einfluss auf ihren Arbeitsplatz und ihre Arbeit haben. Auch, wenn sie sehen, ob sie gut oder schlecht gearbeitet haben.
Sie sagen, dass Lean Management, richtig angewandt, zu mehr Transparenz und höherer Produktivität führt. Können Sie dies bitte erläutern?
C. Thurner: Durch Lean-Analysen gewinnen wir beispielsweise klare Zykluszeiten, sprich Zeitangaben für sich wiederholende Tätigkeiten. Dadurch sind wir zum einen in der Lage, unseren Personaleinsatz besser zu planen. Zum anderen können wir Abweichungen transparent machen und gemeinsam auf einer fundierten Basis über Abweichungen oder Störungen sprechen. Damit lösen wir die Herausforderungen nachhaltig, so dass unsere Produktivität steigt.
Wie kann durch derartige Maßnahmen sogar Personal weiter entwickelt werden?
C. Thurner: Gerade bei Lean Workshops tun sich schnell einige hervor, sei es mit Ideen, kritischen Anmerkungen, Erkennen von Verschwendung und so weiter. Hier schälen sich künftige Führungskräfte heraus. Sie erkennen auch, welche Leute Veränderungen mögen: die können Sie als Lean Manager gebrauchen. Andere tun sich als zahlenaffin oder als Bastler hervor. Sie können beide gut einsetzen. Zahlenaffine können die Kennzahlen für die tägliche Besprechung vorbereiten, Bastler werden bei einer Kartonage-Simulation auf ihre Kosten kommen oder können einen Arbeitsplatz mit einfachen Mitteln so gestalten, dass die Arbeit leichter wird.
Wir haben zudem innerhalb des Lean-Prozesses drei Qualifizierungsstufen eingeführt: Lean Warehouse Basic, Professional und Executive. Das sind Entwicklungsmöglichkeiten vom Teamleiter über Standortleiter bis in die Geschäftsleitung, die den erfolgreichen Abschluss von aufeinander aufbauenden und sich ergänzenden Schulungen voraussetzen.
Loxxess hat bereits an zehn Standorten Lean Management-Projekte eingeführt. Wie gehen Sie im Allgemeinen dabei vor?
C. Thurner: Wir machen nicht Lean Management mit der Gießkanne, sondern starten stets ein konkretes Projekt, bei dem Optimierungspotential offensichtlich oder sehr wahrscheinlich ist. Oft sind das Verbesserungen an Schnittstellen zum Kunden. Da nehmen Sie dann direkt Mitarbeiter des Kunden in den Lean-Management-Prozess mit hinein. Ein Kunde, mit dem wir das sehr erfolgreich gemacht haben, ist Bode Chemie.
Immer starten wir dabei vor Ort mit einem Workshop. Teilnehmer sind in der Regel acht Leute, die an einem Prozess aus unterschiedlichen Bereichen beteiligt sind, beispielsweise Key Account, Schichtführer oder Lagerfachkräfte. Hinzu kommt immer ein Spezialist für Lean Warehouse, der die Teamleitung übernimmt. Ergänzt wird das Projektteam gegebenenfalls durch Mitarbeiter des Kunden.
...und im Detail?
C. Thurner: Im Einführungsworkshop geht es um grundlegende Dinge wie: Was bedeutet Lean Management? Was ist ein Wertstrom? Was sind die sieben Verschwendungsarten? In weiteren Workshops geht man das Projekt konkret an. Weil die Teilnehmer in der Regel unterschiedliche Qualifikationen und Kenntnisse auch im Hinblick auf ökonomische und betriebswirtschaftliche Zusammenhänge haben, nutzen wir sehr oft Planspiele. Die Teilnehmer versetzen sich dabei in eine alltägliche oder intuitiv verständliche Situation. Dabei lassen sich Lean Warehouse Prinzipien für alle Teilnehmer gleichwertig vermitteln, zudem wird eine höhere Teilnahmebereitschaft und Identifikation mit dem Projekt geschaffen.
Welche Vorteile bringt dies am Ende Ihren Kunden, wie beispielweise Bode Chemie, die Loxxess in Lean Management-Maßnahmen eingebunden hat?
C. Thurner: Gerade die gemeinsamen Lean-Projekte bringen auch Verbesserungen bei den Kunden selbst. Und natürlich profitiert der Kunde auch von den Optimierungen beim Dienstleister, weil dadurch die Qualität gesichert oder erhöht wird und ein dauerhaft gutes Preis-Leistungsverhältnis erzielt wird. Das ist besonders wichtig in langfristigen Kundenbeziehungen, in denen wir beispielsweise in große Lager investiert und der Kunde sich über mehrere Jahre gebunden hat.
Das ist nicht nur bei Bode, sondern etwa auch bei Wacker Chemie der Fall. Wir kontrollieren die Einhaltung und Aktualität der gefundenen Standards mit regelmäßigen Prozessbestätigungen. Treten Abweichungen auf, wird automatisch ein PDCA-Zyklus angestoßen: Plan, Do, Check, Act. So halten wir optimale Prozesse auf Dauer stabil und können sie an veränderte Bedingungen anpassen.
Welche Risiken sind bei der Einführung von Lean Management-Maßnahmen zu beachten?
C. Thurner: Lean Management ist ein Veränderungsprozess der in den Köpfen aller Mitarbeiter ankommen muss. Damit sind aus Sicht von Loxxess vier große Herausforderungen verbunden. 1. Mitarbeiter müssen „Sehen lernen". Nicht nur stumpfsinnig das tun, was man immer gemacht hat, sondern das eigene Tun analysieren. Dazu gibt Ihnen Lean Management etwa in der „Verschwendungsanalyse" konsequent Gelegenheit, aber man muss auch bereit sein, sie zu ergreifen. Um ein Bild zu benutzen: Man muss auch beim Rudern darauf achten, wenn der Wind auffrischt. Ansonsten heißt es: Wir können keine Segel setzen, wir müssen ja Rudern. 2. Probleme nicht unter den Teppich kehren, sondern zu einer Problemlösungskultur finden. Probleme sind willkommen, denn sie geben mir die Möglichkeit für Verbesserungen. 3. Prozesszeiten dynamisieren. Bei Nachfragespitzen gilt es oft, die Gesamtzahl der Aufträge pro Stunde ohne Qualitätseinbußen um den Faktor fünf bis zehn zu erhöhen. Das können Sie nicht nur mit mehr Personal machen, sondern sie brauchen auch Prozessveränderungen. 4. Nachhaltigkeit. Es reicht nicht, Prozesse einmal zu optimieren, sondern Sie müssen für langfristige Prozessstabilität sorgen, indem Sie Standards regelmäßig kontrollieren und an veränderte Umstände anpassen. Es ist wie eine Wohnung zu putzen: wenn Sie im letzten Zimmer fertig sind, können sie im ersten Zimmer wieder anfangen.
Wann sollte man nach Ihrer Einschätzung auf andere Methoden bauen?
C. Thurner: Lean lohnt sich immer, egal ob Sie ein wachsendes Unternehmen sind oder in einer Schieflage stecken. Allerdings sollte man es nicht übertreiben und anfangen, mit Kanonen auf Spatzen zu schießen. Denn generell ist es ja so, dass Lean Prozesse durch die Einbeziehung aller Mitarbeiter zunächst viel Zeit kosten. Wenn eine sehr schnelle Veränderung notwendig ist, dann braucht es natürlich eine Entscheidung von oben. Lean Management entlässt Führungskräfte ja nicht aus ihrer Verantwortung.