Wenn die Kartellbehörde anklopft
29.07.2013 -
Wenn die Kartellbehörde anklopft – Durchsuchungen durch Kartellbehörden: Worauf Unternehmen achten sollten.
Kartellbehördliche Durchsuchungen stellen eine außergewöhnliche Krisensituation dar. Allerdings nicht aus Sicht der Kartellbeamten, die in Begleitung der Kriminalpolizei unangemeldet „im Morgengrauen" (daher die Bezeichnung Dawn Raid) die Unternehmenszentrale oder eine Vertriebsniederlassung stürmen, um eine Razzia durchzuführen.
Denn die Beamten haben ihren Einsatz bis ins Einzelne vorbereitet. Sie verfügen über viel Erfahrung aus vorangegangenen Ermittlungen und wissen genau, wonach sie suchen.
Anders die anwesenden Unternehmensvertreter. Sie müssen in einer Situation, auf die sie meist nicht vorbereitet sind, unter sehr hohem Zeitdruck Entscheidungen treffen.
Was tun, um sich auf eine solche Situation einzustellen? Es vergeht kaum eine Woche, in der in der Presse nicht über Durchsuchungen oder die Verhängung von Bußgeldern durch die Kartellbehörden berichtet wird.
Wegen Kartellverstößen hat allein die Europäische Kommission in Brüssel im Jahr 2007 Geldbußen in Höhe von insgesamt 3,3 Mrd. € verhängt. Betroffen sind sowohl Großkonzerne als auch mittelständische Unternehmen. Auch der Chemie- und Pharmasektor ist hiervon nicht verschont geblieben.
Im Januar 2008 hat die Europäische Kommission z. B. ein Preiskartell von Synthetikkautschuk-Herstellern mit einem Bußgeld von 34,2 Mio. € geahndet. Die Geldbußen der Europäischen Kommission seit 1998 betrafen in den meisten Fällen (42 %) den Chemiebereich.
Die durchschnittliche Geldbuße für ein Unternehmen betrug in diesem Zeitraum 23 Mio. €. Verhängt werden können Geldbußen bis zu einem Maximalbetrag von 10 % des weltweiten Konzernumsatzes. Anlass genug, sich auf den Ernstfall vorzubereiten.
Wie läuft ein Dawn Raid ab und welche grundlegenden Verhaltenspflichten sollten von den Unternehmensmitarbeitern beachtet werden?
Zunächst muss das Unternehmen herausfinden, worum es überhaupt geht. Die Beamten sollten also nicht nur nach ihrer Legitimation (Dienstausweis) gefragt werden. Vielmehr ist auch der Durchsuchungsbeschluss vorzulegen, um Adressat und inhaltlichen Vorwurf zu prüfen.
Nur so kann sichergestellt werden, dass die Kartellbeamten später nicht Räume betreten oder Dokumente einsehen, für die der Durchsuchungsbeschluss überhaupt nicht gilt.
Noch wichtiger ist aber, die Kartellbeamten zu keinem Zeitpunkt unbeaufsichtigt zu lassen. Jeder Kartellbeamter sollte durch einen geschulten Mitarbeiter des Unternehmens oder einen externen Anwalt (der ohnehin sobald wie möglich herbeigerufen werden sollte) begleitet werden.
Nur so ist später feststellbar, über welche Informationen die Behörde verfügt, d.h. welche Dokumente mitgenommen wurden und welche mündlichen Auskünfte erteilt worden sind.
Ist dies nicht rekonstruierbar, wird eine Erfolg versprechende Verteidigungsstrategie entscheidend erschwert. Die elektronische Datenverarbeitung erleichtert den Kartellbeamten ihre Aufgabe.
Während früher Papierakten durchgesehen werden mussten und stets das Risiko bestand, dass die entscheidende Unterlage nicht aufgefunden wird, eröffnen die vernetzten Datensysteme den Kartellbehörden heute einen sehr viel breiteren Zugriff.
Zwar werden nach wie vor Büros, Aktentaschen, Kalender, Handschuhfächer von Autos oder Handtaschen von Sekretärinnen inspiziert.
Angesteuert wird regelmäßig aber zuerst die IT-Abteilung. Die Beamten spielen dann eine Filtersoftware auf die Unternehmensrechner auf und durchsuchen sämtliche Dateien nach bestimmten Schlüsselworten, z. B. den Namen der Hauptwettbewerber in Verbindung mit bestimmten Zusatzbegriffen.
Oft werden auch komplette Festplatten kopiert und diese dann in den Wochen oder Monaten nach der Durchsuchung sorgfältig ausgewertet. Personen, die im Mittelpunkt des Interesses der Kartellbehörden stehen, z. B. Vertriebsmitarbeiter mit häufigem Kontakt zu Wettbewerbern, müssen damit rechnen, dass die Beamten ihre Laptops, Blackberries und Handys mitnehmen.
Während der Durchsuchung stellen sich schwierige Fragen: Ist die Kartellbehörde berechtigt, ein Originaldokument, z. B. einen Originalvertrag, mitzunehmen?
Dies hängt davon ab, wer für die Durchsuchung zuständig ist. Das deutsche Bundeskartellamt ist berechtigt, Originaldokumente zu beschlagnahmen.
Die Europäische Kommission (die bei Durchsuchungen von nationalen Beamten der Kartellbehörde und der Polizei im Wege der Amtshilfe unterstützt wird) darf demgegenüber nur Kopien fertigen.
Oder: Ist die Behörde berechtigt, einen verschlossenen Schrank aufzubrechen (u. U. ja)?
Schließlich: Muss ein Mitarbeiter Fragen der Beamten beantworten, z. B. wann er zuletzt einen Wettbewerber getroffen hat und worüber gesprochen wurde (u. U. ja)?
Als Vorbereitung auf einen möglichen Dawn Raid sollte im Unternehmen ein Durchsuchungsteam gebildet werden, dessen Mitglieder so auszuwählen sind, dass ständig eine Person im Ernstfall vor Ort anwesend ist.
Auch bieten sich Schulungsveranstaltungen an, in denen die wichtigsten Regeln erläutert werden. Zudem sollten möglichst knapp und einprägsam formulierte Leitfäden verteilt werden.
Bewährt haben sich auch sog. Mock Dawn Raids. Dabei schlüpfen Anwälte in die Rolle von Kartellbeamten und führen - in Abstimmung mit der Unternehmensleitung - eine Scheinrazzia durch, ohne dass die Mitarbeiter vorgewarnt werden.
Wenn die Dame am Empfang dann erfolglos versucht, einen geeigneten Ansprechpartner im Unternehmen herbeizutelefonieren und dabei hilflos zusieht, wie die Kartellbeamten sich unbeaufsichtigt im Gebäude verteilen, ist es besser, dass es sich um schauspielerisch begabte Anwälte und keine Beamten handelt.
Die wichtigste Entscheidung bei einem Dawn Raid wird oft ganz am Anfang getroffen. Kartellbehörden führen Durchsuchungen bei allen betroffenen Unternehmen an sämtlichen relevanten Standorten durch, und zwar zeitgleich.
Dies hat einen guten Grund. Natürlich sollen sich die Unternehmen nicht gegenseitig warnen. Vor allem geht es aber darum, Chancengleichheit im Hinblick auf das sog. Bonusprogramm (Leniency) sicherzustellen.
Wer gegenüber der Kartellbehörde seine Bereitschaft zur Kooperation erklärt, d. h. die Beteiligung an einem Kartell einräumt und sämtliche verfügbaren Beweismittel übergibt, kann in den Genuss einer vollständigen Immunität oder zumindest einer erheblichen Bußgeldreduktion (Bonus) kommen.
Dies hängt auch davon ab, wie schnell ein Unternehmen reagiert. Einen vollständigen Bußgelderlass kann von vornherein nur dasjenige Unternehmen erlangen, das sich als erstes offenbart.
Die „Nr. 2" kann maximal eine Bußgeldreduktion von 50 % erzielen. Minuten können hier über mehrere Millionen € entscheiden. Auch deshalb ist es für Unternehmen wichtig, sich auf den Ernstfall vorzubereiten. Am zielführendsten ist es allerdings, durch interne Compliance-Maßnahmen sicherzustellen, dass erst gar keine Kartellrechtsverstöße begangen werden. Dann verlieren auch Dawn Raids ihren Schrecken.
Kontakt:
Dr. Thorsten Mäger
Hengeler Mueller, Düsseldorf
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