Anlagensicherheit: Kommunikation muss spezifische Anforderungen berücksichtigen
02.08.2011 -
Anlagensicherheit: Kommunikation muss spezifische Anforderungen berücksichtigen Die Explosionsgefahr in Produktionsanlagen der chemischen und verarbeitenden Industrie erfordert die Einhaltung höchster Sicherheitsstandards. Denn hier werden brennbare Gase, Flüssigkeiten und Feststoffe in vielfältigen Prozessen umgewandelt und verarbeitet. Da der Einsatz von Lösungsmitteln unabdingbar ist, können explosionsfähige Gemische entstehen. Von explosionsfähigen Atmosphären sind immer mehr Bereiche betroffen – Raffinerien, Chemie- und Kunststoffwerke, Pharmaindustrie, Gasversorger, Energieerzeuger u.a. Sie alle müssen strenge Richtlinien für die eingesetzten Geräte, inklusive der Kommunikationsmittel, erfüllen.
Bidirektionale Kommunikationsgeräte verbieten sich in Bereichen, in denen hochempfindliche Maschinen und Anlagen durch deren Strahlungen gestört werden können. Das gilt z. B. für Serverräume, Kernkraftwerke, Raffinerien, Anlagen der chemischen Industrie und Kunststoffproduktion. Handys sind hier in vielen Bereichen tabu. Deshalb werden vorzugsweise strahlungspassive Pager als One- Way-Kommunikationsmittel genutzt, die Nachrichten über ein satellitengestütztes Paging- Netz empfangen, wahlweise regional oder national. Paging (Funkruf) bietet darüber hinaus den Vorteil einer sehr guten Gebäudedurchdringung und Inhouse-Versorgung. Im Gegensatz zu GSM funktioniert es auch in Hochlastzeiten und bei Großschadenslagen, etwa dem Unglück von Enschede, dem Orkan Kyrill oder dem Elbe- und Donau-Hochwasser. Entsprechend der ermittelten explosionsgefährdeten Zone, in der Pager oder andere Geräte eingesetzt werden sollen, wird die Gerätekategorie abgeleitet. Geräte der Kategorie 1 sind so zu gestalten, dass sie ein sehr hohes Maß an Sicherheit gewährleisten. Sie müssen auch bei selten auftretenden Störungen das erforderliche Maß an Sicherheit gewährleisten, um in Zone 0 eingesetzt zu werden.
Hintergrund: Anforderungen an Einrichtungen und Betriebsmittel, von denen eine Zündgefahr ausgehen kann, sind europaweit harmonisiert worden und in der ATEX Produktrichtlinie 94/9/EG (ATEX 95) aufgeführt. Diese Richtlinie beschreibt das Konformitätsbewertungsverfahren für elektrische und nicht-elektrische Geräte, die in explosionsgefährdeten Bereichen eingesetzt werden können. Betriebsvorschriften für den Explosionsschutz sind in der seit dem 1. Januar 2003 geltenden Betriebssicherheitsverordnung festgelegt, in der auch die ATEX Betriebsrichtlinie 1999/92/EG (ATEX 137) in nationales Recht umgesetzt wurde. Anlagen in explosionsgefährdeten Bereichen, die Geräte und Schutzsysteme nach der Produktrichtlinie 94/9/EG sind oder enthalten, sind überwachungsbedürftige Anlagen im Sinne der Betriebssicherheitsverordnung. Sie unterliegen damit der Prüfung vor Inbetriebnahme und wiederkehrenden Prüfungen.
Ein absolutes Muss: sofortige Erreichbarkeit
Höchste Sicherheitsstandards und Explosionsschutz sind das eine, die sofortige Erreichbarkeit zuständiger Personen vor allem in zeitkritischen Situationen das andere. Nicht von ungefähr wurden die Bereitschaftsmitarbeiter der Exxonmobil Production Deutschland im norddeutschen Schneiderkrug mit explosionsgeschützten Cityruf-Pagern ausgestattet. Der Funkrufdienst sichert die lückenlose Erreichbarkeit in dem Flächenbetrieb. Aus teilweise großen Bohrtiefen wird hier Sauergas gewonnen, der darin enthaltene Schwefelwasserstoff herausgewaschen und als Elementarschwefel an die chemische Industrie geliefert. Ein weitverzweigtes Netz von Pipelines, Speichern und Messwarten ermöglicht die unterbrechungsfreie Versorgung der Gas-Kunden mit dem umweltschonenden fossilen Brennstoff. „Sicherheit steht für uns an erster Stelle, deshalb haben wir uns für Ex-Pager entschieden“, betont Michael Zastrow, in der Leitzentrale zuständig für die Kommunikationstechnik.
Gleiches gilt für die zur Gasag gehörenden NBB Netzgesellschaft Berlin-Brandenburg und den Energieversorger Avacon. Maximal 30 Minuten gibt das Regelwerk der Deutschen Vereinigung des Gas- und Wasserfaches (DVGW) als Reaktionszeit im Störungsfall vor. Spätestens dann müssen erste Sicherungsmaßnahmen vor Ort greifen. Um die hundertprozentige Erreichbarkeit der Techniker zu gewährleisten, werden mehrere Kommunikationswege genutzt. Während der Rufbereitschaft ist der ex-geschützte Cityruf-Pager für die Monteure Pflicht. „Cityruf ist flächendeckend verfügbar und funktioniert unabhängig von öffentlicher Netzlast, wie wir sie von GSM-Anbietern kennen. Auch die Versorgung in geschlossenen Räumen und Kellern ist besser“, erläutert Stephan Boy, Leiter des NBBEntstörungsdienstes.
Doppelt hält besser: redundant alarmieren
Für die Bereitschaftstechniker bei B. Braun Melsungen und der Borealis in Burghausen gelten ähnliche Regeln. Ihnen bleibt ebenfalls nur ein Zeitfenster von 30 Minuten, um einen Fehler zu beheben. Neben einem Handy trägt jeder deshalb auch einen Cityruf-Pager bei sich. B. Braun versorgt den Gesundheitsmarkt weltweit mit medizinischen Produkten und Dienstleistungen. In Melsungen laufen alle Drähte zusammen: Über die hier installierten Rechner und eine spezielle SAP-Software werden die Transaktionen der in 50 Ländern angesiedelten Niederlassungen abgewickelt. Für den reibungslosen Betrieb der SAP-Basis sorgt ein spezielles Team, das während der 24- stündigen Bereitschaftsdienste sicher erreichbar sein muss.
Auch Borealis Polymere hat sich für diesen redundanten Alarmierungsweg entschieden. Sie produziert Granulat für Getränkeflaschen, Stoßstangen, Folien, Kabel, Rohre usw. Damit die Produktion nicht stoppt, müssen die Mechaniker sämtliche Anlagen ständig kontrollieren. Bei einer Störung oder einem Defekt werden sie über ihre ex-geschützten Cityruf- Pager benachrichtigt. Beide Unternehmen heben die hohe Empfangssicherheit des Funkrufdienstes und die flächendeckende Netzversorgung auch in ländlichen Gebieten hervor. Besondere Maßstäbe gelten für Notfallszenarien und Krisenmanagement in der chemischen, pharmazeutischen und kunststoffproduzierenden Industrie. Denn der Umgang mit Chemie- und Mineralölprodukten verlangt in jedem Stadium der Lagerung, der Produktion oder des Transports besondere Vorsicht. Als Ergänzung zu den Sicherheits- und Unfallverhütungsmaßnahmen kommen die daraus resultierenden Alarmpläne mit den verschiedenen Alarmstufen und der Katastrophenschutz hinzu. Neben den unentbehrlichen Präventivmaßnahmen, wie Brandverhütungsschau und fest installierte Brandschutzeinrichtungen, spielen die Werkfeuerwehren eine entscheidende Rolle. Für sie zählt jede Sekunde.
Sekundenschnell: Text-Alarme
Aus gutem Grund benachrichtigt die Bayer Schering Pharma alle Mitarbeiter der Bereiche Standortsicherheit und Brandschutz mit einer Alarmierungslösung für Feuerwehren, Rettungsdienste und Hilfsorganisationen. Auch die Werkfeuerwehren von BMW, der Thyssenkrupp Steel, Infraserv Höchst u. a. nutzen das nicht-öffentliche, digitale Alarmierungsnetz, um ihre Einsatzkräfte schnell zu alarmieren. Im Industriepark Höchst – mit rund 22.000 Beschäftigten einer der größten Chemie- und Pharmastandorte Europas – geschieht dies von der Gefahrenabwehr-Meldezentrale aus. Sie koordiniert nicht nur die Aktivitäten am Stammsitz Frankfurt, sondern auch im nahegelegenen Ticona-Werk Kelsterbach. In dem Werk wird der technische Kunststoff Hostaform, ein Acetalpolymer, produziert. „Wir haben ein ausgeklügeltes Notfall- und Krisenmanagement zur Prävention und Intervention bei Schadensereignissen“, erläutert Thomas Krüger, Leiter der Gefahrenabwehr Meldezentrale und Lagedienstleiter. „Unsere Meldezentrale ist eine anerkannte Notruf- und Serviceleitstelle der Klasse A, B und C mit integrierter Interventionsstelle. Wir alarmieren, informieren, warnen und überwachen.“ Nicht nur Notrufe, auch Störmeldungen – etwa aus der Kanal- und Luftwerteüberwachung – gehen hier ein und werden sofort ausgewertet. Für Schadensereignisse existiert eine konkret festgelegte Einsatzund Meldestufenbestimmung, die ohne absolut zuverlässige Kommunikationsmittel nicht umsetzbar wäre.
„Bis Mitte 2005 haben wir noch analog alarmiert und waren zunehmend unzufrieden“, so Thomas Krüger. „Deshalb entschieden wir uns nach genauer Prüfung aller Alternativen für die neue Alarmierung, die sich unkompliziert in unsere Meldezentrale integrieren ließ. Seit der Inbetriebnahme im September 2005 sind unsere Erfahrungen durchweg positiv, auch mit der Inhouse-Versorgung. Über den Industriepark hinaus erreichen wir die Kräfte der Werkfeuerwehr sekundenschnell im gesamten Rhein- Main-Gebiet. Bei jedem Einsatz werden aus dem Einsatzleitsystem vordefinierte Text-Alarme gesendet. Das ist vor allem für den Rettungsdienst von Vorteil, denn er spart wertvolle Zeit, weil er Ort und Einsatzstichwort sofort erfährt. Natürlich sind ca. 80 % der Alarm-Meldeempfänger – wie an Chemiestandorten vorschrieben – explosionsgeschützt.“