Innovationsmanagement: Kooperationen erschließen neue Potenziale
Neue Herausforderungen für das Innovationsmanagement in Zeiten sich verändernder Wertschöpfung
Die klassischen Methoden des F&E-Managements haben sich in der chemisch-pharmazeutischen Industrie seit Jahren bewährt: Zunächst lag das Augenmerk auf der Gestaltung der Prozesse und Werkzeuge für das operative F&E-Management, etwa in Form von Projektmanagement und Stage-Gate-Prozessen. In den letzten Jahren rückte dann auch das strategische F&E-Management (vor allem in Form des F&E-Portfoliomanagements) in den Blickpunkt.
Auch hier haben alle größeren Chemieunternehmen entsprechende Tools und Prozesse etabliert und wenden diese nun konsequent an. Die zunehmende Dynamik hinsichtlich geänderter Formen der Wertschöpfung - Open Innovation, Cluster oder hybride Wertschöpfung seien hier als Stichworte angeführt - führen jedoch zur Notwendigkeit, diese etablierten Methoden und Prozesse zu adaptieren bzw. um neue Methoden zu ergänzen.
Traditionelle Formen des F&E-Managements: Die Hausaufgaben wurden erledigt!
Kontinuierliche Innovation ist für alle Unternehmen der chemisch-pharmazeutischen Industrie nicht bloß ein Schlagwort, sie ist - dies belegen zahlreiche Beispiele aus der Vergangenheit - der entscheidende Schlüssel für den zukünftigen unternehmerischen Erfolg. Innovation will jedoch aktiv „gemanagt" werden.
"doing the things right"
Der klassische Kernbereich des Innovationsmanagements - das F&E-Management - basiert auf zwei Säulen: Da ist zum einen das „doing the things right" als operatives Projektmanagement. Wesentliche Aspekte der Projektorganisation, die zu Beginn des Projektes festgelegt werden, sind etwa
- die Aufbauorganisation des Projektes (Projektmanagement oder Matrixorganisation),
- die Definition des Projektziels und
- die Planung der Ablauforganisation mittels Phasen und Meilensteinen.
Vor Projektbeginn wird auch die Realisierungsplanung mittels Projektstrukturplan, Termin- und Kostenplanung in hinreichendem Detaillierungsgrad vorgenommen. Während des Projektverlaufs kommen dann Methoden der Projektabwicklung und -steuerung bzw. des Projektcontrollings zum Einsatz.
"doing the right things"
Dieses operative Projektmanagement wird ergänzt durch eine richtige strategische Auswahl der Forschungsprojekte, das „doing the right things". In den letzten Jahren hat sich hier das F&E-Portfoliomanagement als eines der wichtigsten Instrumente der strategischen Forschungsplanung etabliert.
Im Wesentlichen verfolgt man hierbei drei Ziele:
Zum einen geht es um die Maximierung des Wertes des gesamten Projektportfolios.
Daneben wird das Ziel verfolgt, ein „ausbalanciertes" Projektportfolio zu erhalten, wobei „Balance" in verschiedenen Dimensionen angestrebt werden kann, z.B. hinsichtlich einer ausgewogenen Mischung von langfristigen und kurzfristigen Projekten.
Die Beantwortung der Frage, welches denn die „ausgewogene" oder „angemessene" Balance ist, ist eng verwoben mit der dritten Zielstellung des Portfoliomanagements, dem Bestreben, das Projektportfolio in Einklang mit der Geschäftsstrategie zu gestalten. In der Regel - und hier bilden auch die Forschungsprojekte in der chemischen Industrie keine Ausnahme - korreliert die ökonomische Attraktivität eines Projektes mit seinem Risiko so dass man typischerweise im Rahmen der Projektauswahl vor der Frage steht, ob man - bildhaft gesprochen - eher „die Taube auf dem Dach" oder den „Spatz in der Hand" fangen möchte.
Branchengrenzen können sich ändern
Der rasante Wandel und die steigende Komplexität im Markt- und Wettbewerbsumfeld stellen die Unternehmen der chemisch-pharmazeutischen Industrie vor neue Herausforderungen: Die Grenzen traditioneller Branchen sind in Bewegung geraten, neue Branchen entstehen. Dies ist im Grunde nichts Neues für die chemisch-pharmazeutische Industrie - man erinnere sich etwa an die Entstehung der Biotech-Branche vor einigen Dekaden. Und auch in Zukunft wird die chemisch-pharmazeutische Industrie von solchen Transformations- und Konvergenzprozessen betroffen bleiben. Dies sei anhand von 2 Beispielen illustriert:
- Der mögliche Durchbruch für die Elektromobilität (z.B. beflügelt durch eine Weiterentwicklung der Lithium-Ionen-Batterie) könnte tiefgreifende Auswirkungen auf die Wertschöpfung, das Entstehen neuer Geschäftsmodelle und den Wettbewerb haben. Im Zuge einer solchen entwicklung könnten strategische Kooperationen zwischen OEMs und branchenfremden Anbietern aus der Energie- und IKT-Branche eine radikale Neuordnung des Mobilitätsmarktes zur Folge haben. Die Bedeutung der Zulieferer könnte steigen, da Hersteller im Wesentlichen noch als Systemintegratoren und Markeninhaber fungieren.
- Die „personalisierte Medizin" würde die Konvergenz von Medizin und Informationstechnologie beschleunigen, auch hier könnten sich neue Geschäftsmodelle etablieren. Vielfältige IT-Support-Services und wissensbasierte Systeme könnten entscheidend zum Erfolg der „personalisierten Medizin" beitragen, z. B. bei der Erforschung und Realisierung von Biomarkern, medizinisch relevanten Zielstrukturen in der Zelle und von Zellfunktionen sowie beim Aufbau von Datenbanken.
Durch derartige Veränderungen - wie anhand der beiden aufgeführten Beispiele skizziert - entsteht hierbei nicht nur ein neues Branchenverständnis, sondern gerade die Vernetzung mit neuen Branchen und innerhalb traditioneller Branchen führt zu Innovationsschüben und neuen Geschäftsmodellen.
Darüber hinaus wächst die Bedeutung sogenannter hybrider Wertschöpfungsstrukturen, welche Produktherstellung und Dienstleistung kombinieren (z.B. durch die Kombination unterschiedlicher Fähigkeiten zur Gestaltung von Produkt-Service-Innovationen).
Kooperationen - in altem und neuem Gewand
Vor dem Hintergrund dieser Entwicklungen sind Kooperationen das zentrale Schlüsselelement für die globale Innovationsfähigkeit. Kooperationsformen außerhalb der unternehmensinternen F&E-Abteilungen helfen maßgeblich, den Innovationsprozess zu beschleunigen und erschließen dadurch im internationalen Innovations- und Standortwettbewerb weitere Potenziale. In einer vernetzten Gesellschaft steht Wissen heute weltweit, umfassend und disziplinübergreifend zur Verfügung. Erfolgreiche Unternehmen sind in der Lage, die für den Innovationsprozess benötigten Kompetenzen gezielt und flexibel zu bündeln.
Traditionelle Strategien zur Nutzung des innovativen Potentials Dritter sind etwa die Auftragsforschung, die Einlizenzierung oder Kundenbefragung. Über diese althergebrachten Methoden hinaus geht der von Henry Chesbrough geprägte Begriff „Open Innovation":
Hierunter versteht man die Öffnung des Innovationsprozesses von Unternehmen im Sinne einer aktiven strategischen Nutzung der Außenwelt zur Vergrößerung des eigenen Innovationspotentials. „Open Innovation" beruht hierbei auf zwei Kernprozessen: Zum einen auf dem Outside-In-Prozess als Integration externen Wissens in den Innovationsprozess.
Hier wird das Know-How von Kunden, Lieferanten und externen Partner (z.B. Universitäten) genutzt, um so Qualität und Geschwindigkeit des Innovationsprozesses zu erhöhen. Zum anderen basiert „Open Innovation" auf einem Inside-Out-Prozess als Externalisierung von internem Wissen. Unternehmen nutzen diesen Prozess zum Beispiel, um solche Patente auszulizenzieren, die nicht für die Kernbereiche der operativen Geschäftstätigkeit notwendig sind.
Cluster
Ohne jeden Zweifel haben in den letzten Jahren Cluster - als ein Sonderfall multilateraler und polyzentrischer Kooperationen - zunehmend an Zahl und Bedeutung zugenommen. Solche strategischen Partnerschaften entlang der gesamten Wertschöpfungskette in neuen Wertschöpfungs-Clustern werden mehr und mehr zu einem Garanten für den ökonomischen Erfolg, denn immer seltener sind Unternehmen alleine fähig, die entscheidenden Innovationen im Markt durchzusetzen.
Die Treiber, welche Cluster zu einem wichtigen Aspekt der wirtschaftlichen Realität gemacht haben, werden in ihrem Gewicht eher noch zunehmen. Globalisierung erhöht den Wettbewerbsdruck und schafft neue Möglichkeiten, unterschiedliche Standorte zu nutzen. Unternehmen fokussieren auf Kernkompetenzen und brauchen damit starke Partner - Partner in der geografischen Nähe eines Clusters bieten dabei oft entscheidende Vorteile.
Neue Herausforderungen in der Praxis
Welche möglichen Anpassungen und Ergänzungen ergeben sich nun in der unternehmerischen Praxis - vor dem Hintergrund der skizzierten Entwicklungen - für Methoden und Prozesse des Innovationsmanagement?
Unternehmen, welche externe Partner im Sinne einer aktiven strategischen Nutzung in ihre Innovationsprozesse einbeziehen, benötigen vor allem eine klare interne wie externe Strategie. Auf dieser Grundlage lässt sich dann die Frage beantworten, welche Felder man überhaupt mit der Hilfe Externer erschließen möchte. Erst dann lassen sich Prioritäten setzen und Ziele formulieren. Open Innovation setzt zudem voraus, dass tragfähige Geschäftsmodelle für die Öffnung von Innovationsprozessen entwickelt sowie entsprechende Arbeitsweisen und Organisationsprinzipien etabliert werden. Neue Geschäftsmodelle könnten die Verteilung der Wertschöpfung ändern. Denkbar ist oft eine breitere Streuung von Gewinnen, aber auch von Risiken. Entsprechend werden sich auch neue Finanzierungsinstrumente und -kriterien durchsetzen, die diesen neuen Umständen Rechnung tragen.
Open Innovation setzt vor allem eine veränderte Kommunikations-, Kooperations- und Innovationskultur voraus, die alle Bereiche der Unternehmensorganisation durchdringen muss. Kreativität und Engagement für den offenen Innovationsprozess sind zu fördern. Zentrale Katalysatoren für den Open-Innovation-Prozess sind dabei das Internet sowie moderne Informations- und Kommunikationstechnologien, die die soziale Präsenz und Reichhaltigkeit der Kommunikation in virtuellen Teams enorm erhöht haben.
Insbesondere in Clustern angesiedelt bietet Open Innovation enorme Potenziale. Ein aktives Clustermanagement trägt hier dazu bei, diese Potenziale zu heben, etwa indem sie Unternehmen für die Chancen von Open Innovation durch gezielte Kommunikationsaktivitäten sensibilisieren, Vorurteilsbarrieren ab- und Vertrauen aufbauen oder indem es Unternehmen hilft, Partner für offene Innovationsprozesse zu gewinnen. Unternehmen, die in Netzwerken und Clustern engagiert sind, wissen, dass ein wichtiger Faktor für eine erfolgreiche Zusammenarbeit die richtige Balance von Geben und Nehmen ist. Ein aktives Clustermanagement kann hier helfen, diese Balance herzustellen.
Auch und insbesondere das Forschungscontrolling muss sich den neuen Herausforderungen stellen: Drei Beispiele sollen dies exemplarisch beleuchten:
- Beispiel 1: Dem Paradigma „Open Innovation" folgend wird Innovation zunehmend in die Hände von Dritten gelegt. Wie kann man sicherstellen, dass das Controlling hier kontinuierlich belastbare Innformationen erhält?
- Beispiel 2: Solange man sich - folgend dem traditionellen Modell der „Closed Innovation" ausschließlich auf interne Ideengeber stützte, waren früher vielleicht 100 Ideen pro Jahr zu bewerten. Heute - im Zuge „offener Ideenwettbewerbe" - sind es dann vielleicht einige tausende. Wie skalierbar sind in diesem Zusammenhang die klassischen Scoring-Verfahren der Ideen-Bewertung?
- Beispiel 3: Im klassischen Technologie- und Innovationsmanagement gelten eigene Patente und große Patentportfolios immer noch - dogmatisch und unreflektiert - als alleinige Richtschnur zur Bewertung unternehmerischer Innovationstärke. Im Kontext „Open Innovation" werden Patentlandschaften zweifelsohne komplexer und erfordern ein umfassendes strategisches und taktisches Patentmanagement.
Infokasten:
Der Autor ist Referent des GDCh-Kurses „Management von Forschung und Entwicklung in der Chemie - Eine praxisnahe Einführung in Methoden und Tools", der am 28. und 29. September 2011 in Frankfurt am Main stattfindet.
Bei dem Kurs der Gesellschaft Deutscher Chemiker (GDCh) geht es vor allem darum, Methoden des wirkungsvollen F&E-Managements vorzustellen: Portfoliomanagement, Meilensteinplanung (Stage-Gate-Process), F&E-Projektmanagement, -bewertung und -controlling werden im Kontext ihrer spezifischen Anwendungen der Chemieforschung präsentiert und mit den Teilnehmern unter dem Aspekt ihrer Praxistauglichkeit diskutiert.
Informationen:
Gesellschaft Deutscher Chemiker, Fortbildung
Tel.: +49 69 7917 291
fb@gdch.de
www.gdch.de/vas/fortbildung.htm