Industrielle Produktion im Reinraum
20.06.2011 -
In der Life-Science-Industrie ist eine hygienische Fertigungsumgebung Voraussetzung im Bestreben nach geringen kontaminationsbedingten Ausschüssen und die Einhaltung der Sterilität von Medizinprodukten.
Die Produktqualität wird vor allem durch Mikroorganismen, aber auch andere Verunreinigungen wie Partikel und chemische Rückstände negativ beeinflusst. Um die Gefahr der Verunreinigung während des Produzierens zu minimieren, muss bereits die Planung einer Produktionsstätte so erfolgen, dass in der späteren Fertigung keine Kontaminationsquellen auftreten können.
Bei den Ursachen für Verunreinigungen ist ein Wandel zu beobachten: Der Reinraum als Grundvoraussetzung besitzt selbst nur noch einen geringen Einfluss auf Kontaminationen in der Fertigung. Im Gegenzug wächst das von Produktionsanlagen ausgehende Kontaminationsrisiko durch deren vermehrten Einsatz stark an und wird gegenwärtig auf über 40 % geschätzt.
Produktionsanlagen und damit die in ihnen verbauten Werkstoffe avancieren zunehmend zum wichtigsten, beeinflussbaren Kontaminationsfaktor einer reinen Produktion. Diese Tendenz spiegelt sich auch in einer vom Fraunhofer IPA durchgeführten Umfrage wieder: 91 % der Betreiber reiner Produktionen halten die Reinheitstauglichkeit von Werkstoffen für die wichtigste zu kontrollierende Größe.
Werkstoffe müssen für den Einsatz in der Life-Science Industrie beständig gegen die eingesetzten chemischen Reinigungs- und Sterilisationsmittel sein. Sie dürfen von Mikroorganismen nicht besiedelt und verstoffwechselt werden. Die Oberflächenbeschaffenheit muss so gestaltet sein, dass eine einwandfreie Reinigung gewährleistet ist. Von den Materialien dürfen keine Substanzen in das Produkt migrieren. In verschiedenen Bereichen können antimikrobiell ausgestattete Materialien und Oberflächen eingesetzt werden. Auch hier ist neben dem Funktionsnachweis der antimikrobiellen Beschichtung auch die gesundheitliche Unbedenklichkeit
des eingesetzten Materials von entscheidender Wichtigkeit. Meist kommen bekannte Materialien, wie Edelstahl, eloxiertes Aluminium, verschiedene geprüfte und zugelassene lebensmittelunbedenkliche Elastomere und Kunststoffe zum Einsatz. Neue Werkstoffe mit entsprechender Qualifizierung werden die aktuelle Werkstoffauswahl entscheidend erweitern.
Die Werkstoffauswahl für Produktionsanlagen hinsichtlich minimaler Kontaminationen ist für die Industrie ein äußerst wichtiges, bisher allerdings kaum erforschtes Anliegen. Für über 85 % der teilnehmenden Firmen besteht ein Bedarf an einer Werkstoff- und Produktdatenbank mit Angaben über deren Reinheitstauglichkeit.
Nicht nur die Verwendung geeigneter Werkstoffe ist in hygienekritischen Bereichen unabdingbar. Auch die geometrische Gestaltung von Betriebsmitteln trägt wesentlich zur deren hygienischen Einsatzfähigkeit bei. In schwer zugänglichen Bereichen können sich Mikroorganismen leicht etablieren und entziehen sich den gängigen Reinigungs- und Desinfektionsverfahren. Totwassergebiete sowie Spalten und Fugen sind zu vermeiden. Das Anlagendesign sollte bereits während der Planung beachtet werden. Konstruktionsfehler sind im Nachhinein nur sehr schwer zu beheben. Betriebsmittel, welche hinsichtlich des Einsatzes in Reinräumen der Halbleiterindustrie auf Minimierung der Partikelemission getrimmt wurden, können oft unter leichter Modifikation u.a. des Gehäusedesigns auch im Life-Science-Bereich eingesetzt werden. Reinräume werden nach ISO 14644-1 in ISO 1 bis 9 klassifiziert, wobei die ISO-Klasse 5 weitgehend der GMP-Reinraumklasse A entspricht. Hinsichtlich der Partikel sind die Anforderungen der Halbleiterindustrie somit oft weitaus höher.
Die Berücksichtigung unterschiedlicher Reinheitsaspekte in der hygienischen Produktion setzt ein umfangreiches Know-how in der Reinheitstechnik voraus. Zur Unterstützung der Industrieunternehmen bietet das Fraunhofer IPA in diesem Bereich verschiedenste Dienstleistungen zur Qualifizierung von Betriebsmitteln auch für hygienekritische Bereiche an. Unter www.tested-device.com wurde die weltweit erste öffentlich verfügbare Datenbank reinraumtauglicher Betriebsmittel vom Fraunhofer IPA etabliert.
Der Resonanz, die diese im Rahmen einer Marktanalyse durchgeführte Umfrage in der Industrie erzeugte, ist es schließlich zu verdanken, dass das Fraunhofer IPA den Industrieverbund (Cleanroom Suitable Materials CSM) ins Leben rief. Übergeordnetes Ziel des Industrieverbunds CSM ist es, den Konstrukteuren von Anlagen für reine Produktionsumgebungen Hilfsmittel an die Hand zu geben zur Auswahl reinheitstauglicher Werkstoffe. Grundvoraussetzung hierfür ist eine enge Kommunikation zwischen den Endanwendern der Produktionsanlagen und den Anlagenbauern. Eine geeignete Plattform bildet der Industrieverbund: Key Player aus den relevanten Industrien sitzen an einem Tisch und entwickeln gemeinsam mit dem Fraunhofer IPA aussagekräftige Verfahren zur Prüfung und Bewertung der Reinheitstauglichkeit von Werkstoffen. Besonders nachhaltig wird die Arbeit des Industrieverbunds durch seine Mitarbeit an aktuell entstehenden Standards und Richtlinien, in welche die Prüfverfahren des Industrieverbunds einfließen. Der Gründruck der VDI-Richtlinie 2083 Blatt 17 wird am 16. März auf der Reinraum-Lounge vorgestellt.
Durch eine Vielzahl von Werkstoffprüfungen aus Keramik-, Metall-, Beschichtungs- sowie Kunststoffwerkstoffen und deren Kombinationen, welche die einzelnen Teilnehmer frei nach ihren Bedürfnissen auswählen können, entsteht ein exklusiver und umfangreicher Wissenspool über die Reinheitstauglichkeit von Werkstoffen. In Form einer weltweit einmaligen internetbasierten Ergebnisdatenbank erhalten die Teilnehmer unter www.ipa-csm.com Zugriff auf alle im Industrieverbund untersuchten Werkstoffe und profitieren so von den Synergieeffekten des großen Teilnehmerkreises, der einen schnell wachsenden Werkstoffdatensatz mit sich bringt. Die benutzerfreundliche graphische Oberfläche der Datenbank mit diversen Abfragefunktionen ermöglicht es den Teilnehmern, die Ergebnisse der Werkstoffprüfungen gezielt und auf diese Weise gewinnbringend für die Entwicklung, Planung und Optimierung ihrer Fertigungsanlagen einzusetzen. Aktuell werden die im Industrieverbund vorgenommenen Werkstoffuntersuchungen und Klassifizierungen für den Life-Science Bereich erweitert.
Einsatzbeispiel: Bei der Entwicklung eines hygienegerechten Türscharniers wurde auf das Wissen des Industrieverbunds zurückgegriffen. Zur Vermeidung überhöhter Partikelemissionswerte beim späteren Einsatz wurden Vorversuche mit möglichen Werkstoffen durchgeführt. Durch das im Industrieverbund entwickelte Prüf- und Bewertungsverfahren konnte die Anzahl in Frage kommender Werkstoffe bereits vor der Anlagenrealisierung eingegrenzt und bewertet werden. Ergebnis ist eine reinheitsgerecht nahezu maßgeschneiderte Materialpaarung des Scharniers.
Aufgrund der kooperativen Arbeit im Industrieverbund ist es möglich, Werkstoffe hinsichtlich deren Eignung für Reinraumanwendungen zu untersuchen. Die Ergebnisse der zahlreichen Prüfungen stehen den Partnern des Industrieverbunds exklusiv online im Internet zur Verfügung. Die gezielte Auswahl von Werkstoffen für reinheitsgerechte Produktionsanlagen wird damit bereits in der Konzeptionsphase von Anlagen ermöglicht. Die aktuelle Erweiterung des Industrieverbunds für den Life-Science-Bereich ermöglicht teilnehmenden Anlagenbauern schon in der Konzeptionsphase die Auswahl der geeigneten Werkstoffe. Der Industrieverbund freut sich über die Aufnahme neue Partner, die ihre Anliegen und spezifischen Werkstoffe in die Untersuchungen mit einbringen, um auch in Zukunft am Puls der Industrie zu bleiben. Ein kostenloses öffentliches Statustreffen des Industrieverbunds findet anlässlich der Reinraum-Lounge am 17. März 2010 in Karlsruhe statt.
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