Weiße Biotechnologie – Potential für eine nachhaltige Chemieindustrie
Eine Chance für die Chemie
Wer Neues entdecken will, muss in die Zukunft investieren. Und das richtige Gespür für die Themen von morgen haben. Die Weiße Biotechnologie ist zweifellos ein Zukunftsthema, das Chancen für neue Produkte und umweltschonende Prozesse bietet. Mit anderen Worten: Potential für eine nachhaltige Chemieindustrie. Evonik, der kreative Industriekonzern, hat Kraft für Neues! Und setzt auf die Weiße Biotechnologie!
Bundespräsident Köhler hat das Nachhaltigkeitsprinzip als „Konzept der Zukunft" bezeichnet, „weil es eine Antwort darauf gibt, wie wir auch den kommenden Generationen - hier und anderswo in der Welt - ihre natürlichen, wirtschaftlichen und sozialen Lebensgrundlagen sichern helfen." Dieses Prinzip betrifft sämtliche Lebensbereiche, das Verhalten als privater Konsument ebenso wie das Handeln von staatlichen Institutionen und Wirtschaftsunternehmen.
Nachhaltigkeit beinhaltet die Kunst, das Morgen zu denken. Wer verantwortlich entscheidet und handelt, muss stets die Folgen für die Zukunft bedenken. Das bedeutet auch: Wir dürfen nicht auf Kosten unser Kinder und Enkelkinder leben. Jede Generation sollte ihre Aufgaben selbst lösen und die Probleme nicht den kommenden Generationen aufbürden. Ich bin überzeugt: Auch die Wirtschaft muss diesem Anspruch gerecht werden. Nicht nur aus ethischen Erwägungen. Sondern auch, weil gravierende Verstöße gegen das Nachhaltigkeitsprinzip auf lange Sicht gesehen schlecht für's Geschäft wären!
Die chemische Industrie in Deutschland ist ein bedeutender Teil der Wirtschaft. Wir wollen Geld verdienen, nicht auf einem fernen Planeten, sondern auf den Märkten dieser Welt. Gewinne sind nichts Anrüchiges, sondern die Voraussetzung, um die Interessen des Unternehmens, potentieller Investoren und der Mitarbeiter bedienen zu können.
Evonik gehört keiner „grünen" Branche an, aber auch für uns gilt: Nur durch dauerhaftes, möglichst umweltverträgliches und zukunftsfähiges Handeln können wir Gewinne erwirtschaften, die Wünsche unserer Kunden erfüllen und gleichzeitig künftigen Generationen eine lebenswerte Zukunft erhalten. Wer sich jetzt an die Quadratur des Kreises erinnert fühlt, dem stimme ich zu: Es bedarf schon eines gewissen Fingerspitzengefühls, um die Interessen der Stakeholder unter einen Hut zu bringen.
Vielfältige Chancen durch Weiße Biotechnologie
Eine der wichtigsten Erfolgsstrategien für eine nachhaltige Chemieindustrie ist die Weiße Biotechnologie. Sie hat das Potential, ökonomische und ökologische Belange zu einem vernünftigen Ausgleich zu bringen. Sie liefert Lösungen, mit denen wir auf die grundlegenden Herausforderungen des 21. Jahrhunderts reagieren können. Und sie sichert die Zukunft der chemischen Industrie in Deutschland und Europa, weil schon heute - aufgrund der fortschreitenden Globalisierung - abzusehen ist, dass einfache chemische Produkte verstärkt in den asiatischen Wachstumsregionen hergestellt werden.
Die Weiße Biotechnologie bietet vielfältige Chancen: Es werden weniger Rohstoffe, Materialien und Energie verbraucht und mehrstufige Produktionsschritte eingespart. Und es fallen geringere Entsorgungskosten durch umweltfreundlichere Reststoffe und Emissionen an. Daraus folgt: Unternehmen haben die Möglichkeit, Kosten zu reduzieren und neue Absatzmärkte durch innovative Produkte zu erschließen.
Bei der Weißen Biotechnologie geht es darum, fossile Brennstoffe durch Biomasse zu ersetzen bzw. auf der Basis nachwachsender Rohstoffe chemische Produkte effizienter, energiesparender und umweltschonender herzustellen. Die Weiße Biotechnologie gibt Antworten auf die Frage, wie die in der Natur vorkommenden Werkzeuge - optimierte Enzyme, Zellen oder Mikroorganismen - in der industrielle Produktion eingesetzt werden können.
Die Bezeichnung „Weiße Biotechnologie" ist zwar relativ jung, aber es sei daran erinnert, dass bereits lange vor Entdeckung von Mikroorganismen Menschen in die Werkzeugkiste der Natur gegriffen haben. Beispiele für die jahrtausendelange Nutzung von Methoden der Weißen Biotechnologie sind die Produktion von Wein, Bier, Käse oder Joghurt durch Fermentation.
In der industriellen Produktion nutzte man biotechnologische Anwendungen erstmals bei der Ledergerbung. Es waren die Chemiker Röhm und Haas, die bereits im Jahr 1909 am heutigen Evonik Standort Darmstadt das erste industriell verwendete Enzym Oropon produzierten. Dieses Produkt hat die Ledergerbung entscheidend verbessert. Oder denken Sie an Sir Alexander Fleming, der vor 80 Jahren die keimtötende Wirkung von Schimmelpilzen entdeckte. Erst als das Penicillin im industriellen Maßstab hergestellt werden konnte, stand es in ausreichender Menge zur Verfügung.
Wie aber decken wir künftig die Nachfrage nach klassischen petrochemischen Produkten wie Antiklopfmittel, Lacke, Weichmacher, Polymere und Beschichtungsmaterialien, wenn die Erdölquellen versiegen? Und wie erfüllen wir die ambitionierten Ziele des Klima- und Umweltschutzes, ohne die ökonomischen Grundregeln aus den Augen zu verlieren?
Schlüssel für die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands
Alternative Herstellungsverfahren sind gefragt, die auf natürliche Kohlenstoffquellen zurückgreifen, beispielsweise auf Sonnenblumen, Raps, Hölzer, Faserpflanzen und Getreide. Die moderne Biotechnologie verzeichnet enorme wissenschaftliche und technische Fortschritte. Mikroorganismen oder deren isolierte Bio-Katalysatoren - die Enzyme - können schnell und effektiv für leistungsfähige Prozesse optimiert werden. Damit ist die Weiße Biotechnologie ein entscheidender Schlüssel für die Wettbewerbsfähigkeit des Industriestandorts Deutschland, für den Erhalt bestehender und die Schaffung neuer Arbeitsplätze.
Nachwachsende Rohstoffe geraten auch deshalb in das Blickfeld der chemischen Industrie, weil ihre landwirtschaftliche Herstellung CO2 bindet und somit zu Verfahren und Produkten mit günstiger CO2-Bilanz führen kann. Schon dieses Merkmal ist in der aktuellen Klimadebatte ein bedeutender Wettbewerbsfaktor, der den Anteil der Weißen Biotechnologie an Verfahren der chemischen Industrie wachsen lassen wird.
Mit weltweit rund 77 Mrd. US-$ im Jahr 2005 hat die Weiße Biotechnologie bereits ein beachtliches Umsatzvolumen erreicht: Nicht nur in der Chemie, auch in Abnehmerindustrien wie der Futter- und Lebensmittelindustrie, der Kosmetik-, Leder-, Textil- und Hygieneindustrie kommt sie zunehmend zum Einsatz. Experten prognostizieren, dass bereits im Jahr 2010 zwischen zehn und 20% aller chemischen Stoffe biotechnologisch hergestellt werden. In der Spezialchemie, die mit 40% den größten Anteil an der Chemiebranche hat, rechnet man im gleichen Zeitraum sogar mit einem deutlich überproportionalem Wachstum.
Gleichwohl sollten wir die Weiße Biotechnologie nicht als Allheilmittel für sämtliche Probleme dieser Welt propagieren. Das wäre keine realistische, sondern eine ideologische Betrachtungsweise. Auch die Weiße Biotechnologie stößt an Grenzen, hat Vor- und Nachteile. Gefordert ist deshalb in jedem Einzelfall zu prüfen, welches Verfahren die besseren Ergebnisse erzielt - hinsichtlich Kosten, Energieverbrauch, Ressourcenschonung und Emissionen.
Vieles, was heute schon theoretisch denkbar ist, ist noch lange nicht umgesetzt Bis zur Marktreife von Produkten mit hohem Wertschöpfungspotential vergehen oft etliche Jahre intensiver Forschung und Entwicklung. Deshalb benötigen wir für einen unbestimmten Zeitraum beides: sowohl die klassischen chemischen Verfahren und Produkte als auch innovative biotechnologische Ansätze.
Vernetzung beschleunigt Innovation
Bei Evonik haben Forschung und Innovationsmanagement einen herausragenden Stellenwert. Wenn es um die Erschließung neuer Geschäftsfelder und Märkte geht, ist die Creavis, die konzerneigene Gesellschaft für Technologie und Innovation am Zuge. Am Standort Marl sind etwa 60 hoch qualifizierte Mitarbeiter damit beschäftigt, neue biotechnologische Produkte und Prozesse auf der Basis nachwachsender Rohstoffe zu entwickeln. Das Science-to-Business Center Biotechnologie bietet optimale Voraussetzungen, um Innovationsprojekte erfolgreich umzusetzen.
„Zeit ist Geld", hat schon Benjamin Franklin gewusst. Deshalb ist es wichtig, bei Forschung und Entwicklung schneller als die Konkurrenz zu sein. Die gezielte Kooperation mit Partnern in Industrie, Mittelstand und Hochschulen bringt Zeitvorteile, weil unterschiedliche Kernkompetenzen zusammengeführt und Erfolg versprechende Ideen zügiger umgesetzt werden können.
Das Erfolgskonzept Science-to-Business beruht auf der vertikalen Integration aller Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten entlang der gesamten Wertschöpfungskette - von der Grundlagenforschung über die Produktentwicklung bis hin zur Pilotproduktion. Dadurch können wir die Zeitspanne zwischen Grundlagenentwicklung und verkaufsfähigem Produkt signifikant verkürzen. Ergebnisse aus der universitären Grundlagenforschung und Umsetzungs-Know-how koppeln wir mit der Dynamik von Start-up-Unternehmen.
Die Forschung für Oberflächenbeschichtungen und die Entwicklung hochspezifischer Drug-Delivery-Systeme gehören bei Evonik zu den Schwerpunkten im Bereich der Biotechnologie. Außerdem wird an Pharmawirkstoffen und schonenden Inhaltsstoffen für Crèmes und Lotionen geforscht. Weit sind wir bereits beim Einsatz von Bioprozessen, um Pharma-Aminosäuren für Infusionslösungen, Aminosäuren für die Tierernährung oder auch spezielle Bausteine für Medikamente herzustellen.
Kommunikation für eine breite Akzeptanz
Die Weiße Biotechnologie hat allen Grund, ihre Leistungen selbstbewusst darzustellen - gegenüber Politik und Öffentlichkeit. Aber auch gegenüber dem Kapitalmarkt, der von dem strategischen Wert der Weißen Biotechnologie für den Industriestandort Deutschland überzeugt werden muss. Deshalb ist es wichtig, Beispiele erfolgreicher Innovationen nach außen zu transportieren, in einer Sprache, die auch von Nichtchemikern verstanden wird. Dazu bedarf es einer Kommunikationsstrategie, die - über die Zielgruppe der Kunden und Fachexperten hinaus - gezielt fachfremde Kreise anspricht und informiert: Investoren, Politiker und nicht zuletzt die Bürgerinnen und Bürger, die sich verstärkt am Prinzip der Nachhaltigkeit orientieren.
Das Werben um eine breite Akzeptanz der Weißen Biotechnologie in der Bevölkerung ist unverzichtbar. Auch deshalb richtet sich der diesjährige Science-to-Business Award von Evonik an talentierte Spitzenforscher und junge Unternehmer, die auf dem rasant wachsenden Markt der Weißen Biotechnologie hervorragende Ergebnisse vorweisen können.
In diesem Zusammenhang verdient auch die Arbeit des Vereins Industrielle Biotechnologie 2021 (CLIB2021) Aufmerksamkeit. Das Netzwerk wurde im März vergangenen Jahres gegründet - auf der Basis eines zukunftsweisenden Clusterkonzeptes. Ihm gehören neben Evonik über 40 weitere Mitglieder an, darunter auch Bayer Technology Services, Cognis oder Henkel. Der Clusteransatz ist erfolgreich und wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung mit rund 20 Mio. € im Rahmen der Initiative „Bioindustrie 2021" gefördert.
Die Fortschritte in der Weißen Biotechnologie stimmen optimistisch. Sie belegen auf eindrucksvolle Weise, dass der „Griff in die Werkzeugkiste der Natur" nicht nur ökologisch vorteilhaft, sondern auch zunehmend ökonomisch konkurrenzfähig ist. Bei Evonik sind die Weichen für eine nachhaltige Entwicklung und damit für eine gute Zukunft gestellt!