Dialog für eine nachhaltige Entwicklung
Nachhaltigkeitsrat: Prof. Günther Bachmann fordert Zusammenarbeit von Regierung und Industrie in der Chemiepolitik
Politische Impulse, öffentlichkeitswirksame Projekte und ungewohnte Dialogformate – dafür steht der Rat für Nachhaltige Entwicklung (RNE). Zu den Aufgaben des unabhängigen Gremiums zählt, die politische Kommunikation zu fördern und damit die Grundlage für eine moderne Nachhaltigkeitspolitik zu schaffen. Den Rahmen dafür bilden die 17 Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen. Dr. Andrea Gruß sprach mit Prof. Günther Bachmann, Generalsekretär des RNE, über Hürden beim Dialog zwischen Politik und Industrie sowie wesentliche Hebel der Chemieindustrie für eine nachhaltige Entwicklung.
CHEManager: Herr Prof. Bachmann, seit wann gibt es den Rat für Nachhaltige Entwicklung?
Prof. G. Bachmann: Der Rat wurde 2001 von der rot-grünen Bundesregierung ins Leben gerufen. Grundlage dafür war ein Beschluss, den der Bundestag einige Jahre zuvor mit allen Parteien getroffen hatte. Danach sollte nachhaltige Entwicklung zu einem wesentlichen Ziel und Handlungsfeld der Politik werden und institutionelle Neuerungen sollten dazu beitragen, dass dies gelingt. Eine davon war der Nachhaltigkeitsrat.
Dieser wird von der Regierung finanziert; er hat einen unverstellten, direkten Zugang zu den Spitzen in der Bundespolitik und steht mit der Bundesregierung in einer Verantwortungsgemeinschaft. Wir tragen jedoch nicht die Verantwortung für einzelne Maßnahmen, die die Bundesregierung ergreift. Auch haben wir kein Vetorecht im Kabinett.
Wer gehört dem Nachhaltigkeitsrat an?
Prof. G. Bachmann: Das Gremium setzt sich zusammen aus 15 Persönlichkeiten aus dem öffentlichen Leben, alles keine aktuellen Mandatsträger in der Bundespolitik, sondern Menschen mit Verantwortung in Wirtschaft, Umweltschutz, Wissenschaft sowie Vertreter von Gewerkschaften und Kirchen. Sie werden für eine Zeit von drei Jahren von der Bundeskanzlerin berufen.
Was ist das Mandat des Gremiums?
Prof. G. Bachmann: Der Rat hat drei Aufgaben: Wir beraten die Bundesregierung zu Fragen der nachhaltigen Entwicklung. Gleichzeitig können wir auch eigene Projekte initiieren und durchführen, wie zum Beispiel die Entwicklung des Deutschen Nachhaltigkeitskodex, eines Referenzrahmens für nachhaltiges Wirtschaften für Unternehmen jeder Größe. Unsere dritte Aufgabe ist es, die öffentliche Diskussion über Nachhaltigkeit zu stärken.
Wie fördern Sie die Kommunikation?
Prof. G. Bachmann: Zum Beispiel durch Veranstaltungen mit bestimmten Kreisen der Fachöffentlichkeit, wie der Nachhaltigkeitsinitiative Chemie3. Wir entwickeln aber auch ganz neue Dialogformate. Der Open SDGclub.Berlin initiiert den Austausch von Meinungsführern aus mehr als dreißig Ländern. Wir haben auch schon einmal die 100 jüngsten Kommunalpolitiker Deutschlands nach Berlin geholt. Die Teilnehmer sind mit einem sehr unterschiedlichem Grad an Vorkenntnissen und an Neugier nach Berlin kommen. Nach der dreitägigen Veranstaltung sagten alle: Ja, das hat Sinn gemacht. Solche Dialoge führen wir, um zu zeigen – und auch uns selbst zu beweisen –, dass Nachhaltigkeit ein lebendiges, sinnvolles, nicht unstrittiges, aber konsensfähiges Thema ist. Das ermutigt zu weiteren Aktivitäten, hier und anderswo.
Welche Entwicklung beobachten Sie im Nachhaltigkeitsdialog zwischen Chemie, Politik und anderen Interessensgruppen?
Prof. G. Bachmann: Beim Thema Nachhaltigkeit reden Politik und Chemie mit den gleichen Worten über sehr Unterschiedliches. Es gibt eine Kultur der Nichtverständigung. In den 1990er Jahren, als es um die Aufarbeitung von Chemieunfällen wie zum Beispiel Sandoz ging, gab es nicht nur der größten Streit, es gab auch die größte Bereitschaft, miteinander zu reden. So kam es zu vielen Verständigungsprozessen zwischen der Chemieindustrie und ihren Stakeholdern.
Das ist heute nicht mehr der Fall?
Prof. G. Bachmann: Heute baut jeder, die Regierung und die Chemieindustrie, eine eigene Stakeholder-Logik auf und diskutiert diese auf seiner eigenen Couch im eigenen Kreis. Man bewegt sich nicht mehr aufeinander zu, sondern geht eher in die Defensive. Und das ist fatal. Denn gerade die deutsche Chemieindustrie, die in einem hohen Maß international verflochten ist, müsste Nachhaltigkeits-Standards ausbauen. Sie hat doch ein Interesse, ein umweltverträgliches, fortgeschrittenes Chemikalienmanagement weltweit zu etablieren. Deutsche Umwelt- und Sozialmaßstäbe übertragen in andere Regionen der Welt würden zu erheblich mehr Nachhaltigkeit beitragen. Umgekehrt muss sich auch die Politik bewegen. Das ISC3 – International Sustainable Chemistry Collaborative Centre des Umweltbundesamtes muss im Zeitalter der Sustainable Development Goals verstärkt auch das einbeziehen, was Unternehmen in Deutschland tun. Deswegen empfehlen wir einen Verständigungsprozess neuer Art.
Wie könnte dieser wieder in Gang gesetzt werden?
Prof. G. Bachmann: Zunächst gilt es Verletzungen und negative Erfahrungen zu überwinden. Denn wer weiter im Graben sitzt und auf Stellungskrieg setzt, wird nichts bewegen. Und dann sind es oft ‚big hairy audacious goals‘, also große, scheinbar unerreichbare und kühne Ziele, die große Unternehmungen – egal ob privat oder staatlich – in Bewegung bringen – und nicht etwa die minutiöse Abrechnung von einzelnen Indikatoren.
Was den Dialog betrifft: Hier zählt die Sprache, mit der wir unser Anliegen ausdrücken. Wir müssen unsere codierten Sprachsilos verlassen. Darüber hinaus gehört zu einem Dialog, der seinen Namen verdient, auch die Bereitschaft, sich selbst zu überraschen und vom Dialogpartner das Gleiche erwarten zu können.
Im Gegensatz zur Politik führt der Nachhaltigkeitsrat einen intensiven Dialog mit der Chemie und hat schon zwei gemeinsame Veranstaltungen mit Nachhaltigkeitsinitiative Chemie3 ausgerichtet, zuletzt im November 2016 in Berlin.
Prof. G. Bachmann: Ja, in der Tat wurde darüber viel geargwöhnt. Etwa, warum der Nachhaltigkeitsrat der Großchemie eine politische Bühne gibt? Welcher Deal sich dahinter wohl verbergen könnte? Für uns ist Dialog normal. Dazu gehört auch aktives Zuhören bei nicht automatisch gleich gerichteten Interessen. Wir begrüßen die Initiative Chemie3. Der Chemieindustrie ist es dabei als erste Branche gelungen, einen übergreifenden Nachhaltigkeitsdialog zwischen Arbeitnehmern, Arbeitgebern und Industrieverband zu schaffen. Auch die Entwicklung der Nachhaltigkeitsstrategie für die Chemieindustrie und der branchenspezifischen Fortschrittsindikatoren bewerten wir in vielen Punkten als sehr positiv, auch wenn dabei einige Herausforderungen für die Zukunft noch nicht berücksichtig wurden.
Wo sehen Sie hier Handlungsbedarf?
Prof. G. Bachmann: Nachhaltige Chemie ist spätestens mit den 17 globalen Nachhaltigkeitszielen ein weltweites Thema. Deutschland ist in dieser Hinsicht auch ein Entwicklungsland. Dass die Chemie Lösungen zu vielen Sektoren der Nachhaltigkeitsziele beitragen kann und muss, steht außer Zweifel. Entscheidend ist aber das Ziel Nummer 12.4. Es formuliert den Kern von Verantwortung der Chemie: Bis 2020 einen umweltverträglichen Umgang mit Chemikalien und allen Abfällen während ihres gesamten Lebenszyklus in Übereinstimmung mit den vereinbarten internationalen Rahmenregelungen erreichen und ihre Freisetzung in Luft, Wasser und Boden erheblich verringern, um ihre nachteiligen Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit und die Umwelt auf ein Mindestmaß zu beschränken. Der Zielpunkt liegt – anders als bei vielen weiteren UN-Nachhaltigkeitszielen – nicht im Jahr 2030, sondern bereits in drei Jahren. Das liegt am Fehlen länger gültiger Rahmenwerke und Vereinbarungen.
Um dieses Ziel zu erreichen, sollten die Initiative Chemie3, die Plattform Nachhaltige Chemie des Bundesumweltministeriums und Umweltbundesamts sowie die Initiative Together for Sustainability stärker aufeinander Bezug nehmen und gemeinsame Strategien entwickeln. In einem verbesserten Chemikalienmanagement, das ähnlich wie REACh eine Selbstkontrolle der Industrie bezüglich ihrer Produkte erlaubt, sehe ich kurzfristig den größten Hebel für die Chemieindustrie einen Beitrag für die UN-Nachhaltigkeitsziele zu leisten.
Betrachtet über einen Zeitraum von zehn bis 15 Jahren liegen die größten Hebel für einen Beitrag zu nachhaltigen Entwicklung sicherlich da, wo die deutsche Chemieindustrie sogenannte schwarze Schwäne schafft, wie zum Beispiel eine nicht fossile Basis- oder Kunststoffchemie. Auch wenn man dieses Ziel nur ansatzweise angeht, weckt dies Interesse im Ausland – ähnlich wie die Energiewende 2011 – und verändert weltweit den Blickwinkel.
Was könnten freiwillige Selbstverpflichtungen der Chemiebranche zur Zielerreichung beitragen?
Prof. G. Bachmann: Das Instrument der freiwilligen Selbstverpflichtung stammt aus dem vorherigen Jahrtausend. Dahinter steckt die Idee, die Industrie oder eine bestimmte Branche kommt durch Wohlverhalten dem Staat zuvor und umgeht dadurch gesetzliche Regelungen. Das ist meines Erachtens nicht mehr zeitgemäß – weil Nachhaltigkeit heute den Kern des Geschäftes betreffen muss, und weil daher gute Lösungen immer auch Teil des Wettbewerbes sind. Wann ein Unternehmen zum Beispiel seinen Anteil an nachwachsenden Rohstoffen von 1 % auf 10 % steigert, kann weder eine Branche noch der Staat exakt vorgeben. Unternehmen, egal ob groß oder klein, sind für ihre Zukunftsfähigkeit selbst verantwortlich. Aber klar ist auch, dass orientierende Standards her müssen. Wer heute nicht an Alternativen für Palmöl oder zur tiefschwarzen Kohlechemie arbeitet, hat dies wohl noch nicht verstanden.
Welchen Beitrag leistet die Bundesregierung, um die UN-Nachhaltigkeitsziele umzusetzen?
Prof. G. Bachmann: Im Januar 2017 wurde eine Neuauflage der deutschen Nachhaltigkeitsstrategie veröffentlicht. Darin hat die Regierung für jedes der 17 UN-Nachhaltigkeitsziele definiert: Was ist unsere Priorität in Deutschland? Was tun wir national, was international dafür? Zu jedem Ziel wurde ein korrespondierendes nationales Ziel formuliert mit konkreten Vorschlägen für Maßnahmen und Indikatoren. Zudem wurde festgelegt, welche Ziele künftig gemessen werden. Wir begrüßen diesen Schritt.
Was uns allen jedoch noch fehlt, sind Ziele bezüglich skalierbarer Lösungen und Produkte aus Deutschland, die weltweit zur Erreichung der UN-Ziele beitragen können. Wie können wir zum Beispiel mit unseren Produkten geschlossene Kreisläufe zwischen Agrarproduktion und Fischproduktion schaffen und so skalieren, dass wir weltweit zwei Drittel aller Aquakulturen ersetzen können? Oder wie können wir Fotovoltaik im Haus- oder Automobilbau nutzen, um weltweit den Energieverbrauch zu senken? Diese Art der Skalierung von Nachhaltigkeitslösungen fehlt bislang in der nationalen Strategie. Hier könnte sich die deutsche Wirtschaft einbringen und das subsidiäre Versatzstück zur staatlichen Nachhaltigkeitsstrategie schreiben, mit Zielen, für die die deutsche Industrie einsteht.