Revolution in der chemischen Produktion
Automatisierung und Digitalisierung haben die Welt der Chemieproduktion revolutioniert.
In den zurückliegenden 25 Jahren haben sich Produktionsprozesse von Chemieanlagen so radikal verändert wie nie zuvor. Aus analogen Regelkreisen und voneinander isolierten Prozesssteuerungen wurden vollautomatisierte und integrierte Prozessleitsysteme. Die Effizienz von Anlagen hat sich substantiell erhöht, gleichzeitig reduzierte sich ihr ökologischer Fußabdruck deutlich. Dieser technologische und ökologische Standard in der deutschen chemischen Produktion ist heute ein zentraler Wettbewerbsvorteil gegenüber der Konkurrenz aus Schwellenländern. Und die Entwicklung ist noch lange nicht zu Ende.
Als der CHEManager 1992 das erste Mal erschien, war die Welt der chemischen Produktion im Wortsinn noch Hand-Werk. Anlagen wurden über riesige Wände in Messwarten überwacht und manuell gesteuert. Man stand vor mehreren 100 analogen Anzeigen für Temperaturen, Drücke, Durchflüsse oder anderen Instrumenten, übertrug die Werte immer wieder von Hand in Bücher. Um einen abweichenden Parameter wieder einzufangen, musste der Anlagenfahrer häufig an ganz verschiedenen Stellen eingreifen. Mitunter wurden die Anlagen auch über mehrere isolierte Messwarten gesteuert. Die Komplexität im operativen Betrieb war enorm.
Seitdem haben Automatisierung und Digitalisierung in den Betrieben Einzug gehalten und das Produktionsgeschehen revolutioniert: Leistungsfähige IT sorgt heute dafür, dass Anlagen mit Hilfe moderner, zum Teil modellbasierter Prozessführungskonzepte zuverlässig in die optimale Produktionssituation gebracht werden. Auch die Anlagenfahrer werden heute mit Hilfsmitteln unterstützt, von denen ihre Vorgänger vor 25 Jahren nicht zu träumen wagten – etwa durch Aggregation der Daten in einer leicht zu erfassenden Anlagenvisualisierung auf PC-Monitoren sowie durch optimierte Bedien- und Beobachtungskonzepte.
Mehr Effizienz und Flexibilität durch Digitalisierung
Die Digitalisierung der Produktionsanlagen in der chemischen Industrie wurde bereits in den Neunziger Jahren von den IT-Innovationen des Silicon Valley vorangetrieben. Mit immer günstigeren und leistungsfähigeren Prozessoren sowie der Entwicklung grafischer Benutzeroberflächen wurden in kurzer Zeit viele Anlagen umgerüstet. Gerade in den großen Konti-Betrieben forcierten die Unternehmen die Automatisierung, versprachen sie sich doch erhebliches Potential davon. Und dies zu Recht: Moderne Chemieanlagen haben bei gleichen Ausmaßen ihren Output gegenüber 1990 teilweise verdreifacht. Die Automatisierung und Digitalisierung haben hier einen entscheidenden Anteil. Verschiedene Prozessstufen „kommunizieren“ heute untereinander. So werden etwa Änderungen in einzelnen Anlagenstufen direkt an nachfolgende Stufen gemeldet, die darauf automatisch reagieren und so Störungen vermeiden. Die von immer mehr Sensoren erfassten Daten machen die Lebensdauer der Maschinen vorhersehbarer, unplanmäßige Produktionsstopps sind deutlich seltener geworden als früher. Letztlich stabilisieren die gewonnenen Informationen die gesamte Produktion, arbeits-, zeit- und kostenintensive Unregelmäßigkeiten gehen zurück. Die Anlagen sind ein Stück weit „selbstständiger“ und verlässlicher geworden.
In einem zyklischen Industriezweig wie der Chemie geht es aber nicht nur um reibungslosen Dauerbetrieb. Bei Lanxess etwa widmen wir uns auch systematisch der Flexibilisierung der Produktionsprozesse. Auf Basis der gewonnenen digitalen Daten unserer Anlagen führen wir bereits seit mehr als zehn Jahren ganzheitliche und computergestützte Prozesssimulationen für unterschiedliche – auch extreme – Betriebszustände durch. Weitere Parameter zu Rohstoff, Energieeinsatz, Infrastrukturdienstleistungen oder Logistik komplettieren unsere Simulationen auf der ökonomischen Seite. Der „digitale Zwilling“, das virtuelle Modell der realen Anlage, existierte also bereits in der Konti-Produktion, bevor er in den Fokus der aktuellen Diskussion um Industrie 4.0 rückte.
Von diesen Simulationen haben wir in der Wirtschafts- und Finanzkrise 2009 besonders profitiert. Angesichts einer stark sinkenden Nachfrage konnten wir innerhalb kürzester Zeit die Anlagen auf die reduzierten Lastpunkte einstellen. Das hat – in Verbindung mit weiteren Maßnahmen wie etwa angepassten Wartungszyklen – einen guten Teil der zeitweise massiv eingebrochenen Nachfrage aufgefangen.
Auch der Betrieb von Batch-Anlagen kann heute deutlich flexibler erfolgen als damals. Modularisierung und leicht konfigurierbare Prozessleittechnik haben die Kosten für Produktionswechsel deutlich gesenkt. Dafür braucht man heutzutage nur wenig mehr als den Start eines neuen Programms in der Leitstelle, das die Anlage von Anfang an auf ressourceneffiziente Fahrweisen einstellt. Gleichzeitig ist die Produktivität der Anlagen gestiegen, indem etwa durch bessere Sensorik die Taktzeiten der Produktion reduziert werden konnten.
Gesellschaftliche Legitimation gestärkt
Die Entwicklung der chemischen Produktionstechnologie in den vergangenen 25 Jahren umfasst aber mehr als „höher, schneller, weiter“. Seit Anfang der Neunziger Jahre hat die Industrie mit Programmen wie Responsible Care und anderen Initiativen einen Schwerpunkt auf die Reduktion ihres „ökologischen Fußabdrucks“ gesetzt. Ob biologische Kläranlagen, thermische Abluftreinigungsanlagen oder Systeme zur Kraft-Wärme-Kopplung – die Industrie investierte kräftig in modernste und umweltfreundliche Technik. Sie nimmt heute ihre gesellschaftliche Verantwortung für Natur und Mensch stärker wahr denn je. Lanxess etwa halbierte die spezifischen Treibhausgasemissionen in den vergangenen 10 Jahren – und hat sich auch für die Zukunft anspruchsvolle Ziele gesetzt: Gegenüber 2015 streben wir bis 2025 eine 25%ige Senkung des spezifischen Energieverbrauchs sowie spezifischer CO2- und VOC-Emissionen an.
Nachhaltiges Handeln hat inzwischen auch eine deutlich breitere Verankerung bekommen. Ging es früher vor allem um gesellschaftliche Legitimation gegenüber Umweltorganisationen, rücken heute mehr und mehr weitere Stakeholder in den Fokus. Dazu zählen etwa Kunden oder Investoren, die ihre Entscheidungen für oder gegen einen Chemieproduzenten zunehmend von dessen Nachhaltigkeits-Performance abhängig machen. Das bietet freilich auch Chancen – gerade für die oftmals vorbildlichen deutschen Unternehmen: In den Wachstums- und Schwellenmärkten werden die hohen Umwelt- und Sicherheitsstandards der westlichen Unternehmen zunehmend zu einem echten Wettbewerbsvorteil.
Beispiel China: Zahlreiche lokale Wettbewerber verlieren ihre Betriebslizenzen, weil sie die steigenden Umweltauflagen der Regierung nicht mehr erfüllen können. Davon profitieren Unternehmen wie das unsrige, die sich mit State-of-the-art-Technologien und -Standards derzeit zusätzliche Marktanteile sichern.
Die Zukunft: Industrie 4.0 und verfahrenstechnische Fortschritte
Wie lässt sich in Zukunft die Produktivität von Chemieanlagen weiter steigern? Die viel zitierte Industrie 4.0 wird neue Potenziale in der gesamten Wertschöpfungskette freisetzen. Innerhalb der Anlagen hat die Digitalisierung in den vergangenen Dekaden bereits zu erheblichen Effizienzsteigerungen geführt. Zukünftiges Potential liegt z.B. in der weiteren Vernetzung von Anlagen und Systemen, im Einsatz moderner Sensortechnik und in Big-Data-Analysen, etwa zur Trenderkennung. Das erhöht den Nutzen von Simulationsmodellen über den kompletten Lebenszyklus einer Anlage.
Auch durch weitere verfahrenstechnische Fortschritte sind künftig Produktivitätssteigerungen zu erwarten. Hier kommt es vor allem auf die Entwicklung neuer Katalysatoren, innovativer Technologien sowie leistungsfähigerer Maschinen und Apparate an.
Fazit
Hinter uns liegt ein spannendes Vierteljahrhundert in der Entwicklung der chemischen Produktion, das vor allem aufgrund von Automatisierung und Digitalisierung erhebliche Fortschritte hervorgebracht hat – bei der Produktivität genauso wie bei der Nachhaltigkeit. Und auch in Zukunft ist bei der Entwicklung der Anlagentechnologie sprichwörtlich noch „viel Dampf im Kessel“.