Nachhaltigkeit und Gestaltung durch Sozialpartnerschaft
Der Strukturwandel in den Unternehmen und in der Gesellschaft wird sich weiter beschleunigen
Zunächst einmal herzliche Glückwünsche zu 25 Jahren CHEManager von der IG BCE. Der CHEManager hat auch die IG BCE in all diesen Jahren begleitet. Ihre Zeitung und deren Inhalte haben immer wieder wichtige Impulse für die politischen und strategischen Diskussionen und Entscheidungen unserer Gewerkschaft erbracht.
Zu erwähnen sind da bspw. die fundierten Analysen über die ökonomischen und technologischen Entwicklungstrends in der chemisch-pharmazeutischen Industrie, die ja in der Regel immer auch beschäftigungs- und arbeitspolitische Implikationen haben. Sie werden bis zum heutigen Tag von uns aufmerksam verfolgt und mit großem Interesse gelesen.
Es ist aber nicht nur die Generierung von ökonomischem und technischem “Wissen“, die es für mich und meine Gewerkschaft lohnenswert macht, zur Lektüre des CHEManager zu greifen. Wichtig ist auch, dass hier Themen aufgegriffen werden, die sich nicht nur an hochqualifizierte Techniker und Ingenieure, sondern auch an „Entscheider“ in den Unternehmen richten.
Immer wieder berichtet der CHEManager über Themen der Sozialpartner in der Chemie- und Pharmaindustrie. Wahrscheinlich spiegelt die Bereitschaft Themen aufzunehmen, die man üblicherweise nicht unbedingt in Fachzeitschriften für Führungskräfte erwarten wird, die entwickelte Sozialpartnerschaft in der Chemie- und Pharmaindustrie wieder.
So wie sich die Themen und Inhalte des CHEManager sich in den letzten 25 Jahren geändert und vor allem erweitert haben, so sind auch die Aufgaben und Herausforderungen für die Sozialpartner gewachsen. Zu den unerlässlichen traditionellen Handlungsfeldern, wie die Tarif- und Sozialpolitik, gesellen sich neue.
Herausforderung Nachhaltigkeit
Eine dieser neuen aber zentralen Herausforderungen ist die Nachhaltigkeit – eine Aufgabe für die nächsten Dekaden. Das ist längst nicht mehr nur den verantwortlichen politischen und ökonomischen Akteuren, sondern auch weiten Teilen der Bevölkerung bewusst. Insbesondere im globalen Kontext brauchen wir eine neue Balance zwischen wirtschaftlichem Wachstum und dem Verbrauch natürlicher Ressourcen – aber auch sozialen Ausgleich. Diese Balance zu finden wird eine große Aufgabe der nationalen und internationalen Politik sein. Es ist aber genauso eine Aufgabe der Unternehmen und der Sozialpartner.
In der Chemieindustrie haben sich die Sozialpartner bereits 2013 auch „institutionell“ auf den Weg gemacht, für diese „Balance“ zu streiten. Mit dem Start der Nachhaltigkeitsinitiative „Chemie3“ im Mai 2013 haben sich VCI, IG BCE und BAVC gemeinsam das Ziel gesetzt, Nachhaltigkeit als Leitbild in der deutschen Chemiebranche zu verankern und ihre Beiträge zu einer nachhaltigen Entwicklung auszubauen. VCI, BAVC und IG BCE sehen in nachhaltigem Wirtschaften eine Voraussetzung für eine erfolgreiche Zukunft der chemischen Industrie. Wichtig ist das gemeinsame Verständnis, dass Nachhaltigkeit aus mehreren Dimensionen besteht. Die Initiative spricht sich daher dafür aus, Entscheidungen und Handeln der Branche nicht nur nach Umweltaspekten zu bewerten, sondern auch danach, ob sie zu mehr Wettbewerbsfähigkeit, guten Arbeitsbedingungen und positiven Beiträgen für die Gesellschaft führen.
Leitlinien zur Nachhaltigkeit
Dazu haben sie zwölf „Leitlinien zur Nachhaltigkeit für die chemische Industrie in Deutschland“ entwickelt. Diese Leitlinien sollen den Unternehmen als Orientierungshilfe bei der Entscheidung dienen, welche Themen für eine nachhaltige Entwicklung besonders wichtig sind. Aus meiner Sicht aber noch bedeutender ist, dass die drei Partner ein Indikatoren-Set entwickelt haben, mit der die Branche und die Unternehmen ihren Stand überprüfen können, in welchen Bereichen sie bereits nachhaltig wirtschaften und in welchen Bereichen sie weitere Verbesserungen realisieren müssen.
Denn Nachhaltigkeit ist messbar. VCI, BAVC und die IG BCE haben dazu 40 Indikatoren entwickelt, um die ökonomischen, ökologischen und sozialen Voraussetzungen nachhaltigen Wirtschaftens zu erfassen. Ihre Spannweite reicht von der Wettbewerbsfähigkeit der Chemie auf den globalen Märkten, über den Ausstoß von Treibhausgasen bis hin zur Übernahmequote von jungen Menschen nach ihrer Ausbildung. Mit der Verständigung auf allein 17 Indikatoren, die den sozialen Fortschritt abbilden, übernimmt die Chemie in der deutschen Industrie eine Voreiterrolle – wie schon vor drei Jahren mit der Einführung der Branchenleitlinien zur Nachhaltigkeit. Wenn man so will, lässt sich erstmals der Fortschritt nachhaltiger Entwicklung der Branche messen.
Herausforderung Digitalisierung
Eine zweite aktuelle Herausforderung, der sich die Sozialpartner, aber auch die Politik stellen müssen, ist die Digitalisierung. Wir stehen am Anfang einer weiteren und auch neuartigen Informatisierung und Automatisierung unserer Wertschöpfungsketten. Beschaffung, Produktion und Absatz und die dazu gehörenden Wertschöpfungsteile dürften noch stärker informatorisch miteinander verknüpft werden. Neue digitale Konzepte wie „Industrie 4.0“ und „Smart Factory“ führen zu weitreichenden Veränderungen. Man muss dabei nicht so weit gehen, von einer „vierten industriellen Revolution“ zu sprechen. Auch gibt es keinen Grund davon auszugehen, dass unserer Gesellschaft die Arbeit ausgeht. Aber die weitere Digitalisierung von Arbeitsprozessen wird die Branche und Unternehmen verändern. Darum erwachsen neue Anforderungen an die Sozialpartner, aber auch an die Politik. Wenn auch noch kaum die Umrisse der Veränderungen für die Arbeit und den Arbeitsmarkt zu erkennen sind, haben wir davon auszugehen, dass sich Berufe, Arbeitsinhalte und die Qualifikationsanforderungen erheblich verändern werden.
Die Sozialpartner in Chemie- und Pharmaindustrie haben bereits begonnen, sich diesen Herausforderungen in ihrer sozial- und tarifpolitischen Arbeit anzunehmen. Die IG BCE hat den festen Willen, den zu erwartenden digitalen Transformationsprozess im Sinne der Beschäftigten aber auch der Unternehmen zu gestalten. Wahrscheinlich müssen die Sozialpartner dabei Neuland betreten, wenn sie diesem Anspruch gerecht werden sollen. Dies gilt nach meiner Überzeugung auch für die staatliche Arbeitsmarkt- und Bildungspolitik. Eine aktive und innovative Arbeitsmarktpolitik kann und muss die Sozialpartner in ihrer Gestaltungsaufgabe unterstützen.
Gesellschaftliche Verantwortung
Die unumkehrbare Entwicklung zu nachhaltigem Wirtschaften und zur Digitalisierung wird den Strukturwandel in den Unternehmen und in der Gesellschaft weiter beschleunigen. Damit entstehen nicht nur neue strategische Fragen für die Unternehmen, sondern auch arbeitsmarkt- und sozialpolitische Herausforderungen. Diese sollten auch von den Unternehmen, ihren Verbänden und dem Sozialpartner mitgedacht und im Zusammenwirken mit der Politik gestaltet werden.
Der „Brexit“ oder das Wahlergebnis in den USA beruhen nicht allein auf populistischer Politik oder „Fake News“. Viele Menschen in Großbritannien haben für den Austritt aus der EU gestimmt, weil sie wirtschaftlich abgehängt geworden sind und sich von der Politik allein gelassen fühlen. Auch in den USA ist die Zustimmung zur Politik Trumps nicht allein mit seiner Art der „Politikinszenierung“ zu erklären. Vom ökonomisch und technisch getriebenen Strukturwandel und der Globalisierung haben auch dort längst nicht alle Menschen profitiert. Im Gegenteil. Für die politische, aber auch ökonomische Stabilität ist es deshalb vorteilhafter, den sich vollziehenden Strukturwandel aktiv zu gestalten und den Beschäftigten in den Veränderungsprozessen Perspektiven zu geben. Dies wird eine der Aufgaben sein, denen sich auch die Unternehmen und die Sozialpartner zu stellen haben.
In diesem Sinne kommt der gesellschaftlichen Verantwortung der Unternehmen eine neue Bedeutung und Qualität zu. Ich bin mir sicher, dass auch der CHEManager diese Entwicklung aufgreifen und darüber in bewährter Weise berichten wird.