Bedarfsgenaue Brenngaslieferungen in Chemieparks
Kalorimetrie ermöglicht Konditionierung von Prozessgasen für Weiternutzung als Brenngase
Prozessgase aus Chemieanlagen werden heute als wertvolle Energieträger betrachtet und als Brenngase weiter genutzt. In Chemieparks sind demzufolge Dienstleister als Gaslieferanten entstanden, welche vor Ort anfallende Prozessgase auf ihren Energieinhalt analysieren, ggf. aufbereiten und dann an ansässige Betriebe liefern und verrechnen. Grundlage für diesen Ablauf ist eine prozesstaugliche Gerätetechnik auf Basis direkt messender Verbrennungskalorimeter.
Die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Chemieunternehmen ist nicht zuletzt eine Folge des Strukturwandels dieser Branche innerhalb der letzten zwei Dekaden. Was vor knapp 20 Jahren mit der Aufgliederung des Unternehmens Hoechst begann, hat in Deutschland bis heute zum Aufbau von über 50 Chemieparks geführt. Diese bieten - von einem Betreiberunternehmen geführt - anderen auf dem Gelände angesiedelten Unternehmen ein Paket aus moderner Infrastruktur, Dienstleistungen aller Art und Vernetzung in einem Stoff- und Energieverbund. Dadurch werden diese Unternehmen zu Kunden des Betreibers und können auf Errichtung und Betrieb eigener Versorgungsaggregate oder den Aufbau eigener Fachabteilungen verzichten, was die Kosten senkt und die Effizienz steigert.
Dienstleistung im Chemiepark Marl
Einer der größten deutschen Chemieparks ist der von Evonik Industries und ihren Tochtergesellschaften und Beteiligungen sowie zahlreichen anderen Unternehmen belegte Standort Marl mit rund 100 Produktionsanlagen. Diese stehen in einem engen stofflichen und energetischen Verbund. Betreiber des Chemieparks Marl ist die breit aufgestellte Evonik Technology & Infrastructure, welche alle Dienstleistungen rund um den Betrieb chemischer Prozessanlagen anbietet. Das reicht von Ver- und Entsorgung aller Art, technischem Service, Logistik und Verfahrenstechnik bis zum Engineering von neuen messtechnischen Lösungen, wie nachfolgend am Beispiel der Nutzung von Prozessgasen gezeigt wird.
Nutzung von Prozessgasen
Im Energieverbund von Chemieparks spielen heute energiehaltige brennbare Prozessgase eine zunehmende Rolle. Es wurde ein eindrucksvoller Wandel von ungenutzten Prozessgasen zu einem attraktiven Energieträger vollzogen, der vor Ort zur Wärme- oder Elektrizitätserzeugung eingesetzt werden kann. Das reduziert oder erübrigt den sonst erforderlichen Zukauf von Erdgas. Die für Prozessgase typische Schwankung ihrer stofflichen Zusammensetzung und damit ihres Energieinhaltes kann mit der heute verfügbarer Messtechnik zuverlässig erfasst und ggf. korrigiert werden. Zugleich liefert die Messtechnik auch die für die Verrechnung der gelieferten Energiemenge erforderlichen Daten und sorgt so für die geforderte Kostentransparenz.
Investition in Messtechnik
Der Gaslieferant bezieht die Prozessgase aus verschiedenen Anlagen des Standortes und sorgt dafür, dass deren Brennwerte kontinuierlich ermittelt und, wenn erforderlich, durch Zumischung von Erdgas an die von den Abnehmern vorgegebene Spezifikation angepasst werden. Für diese Aufgabe musste als Ersatz für ältere Geräte eine prozesstaugliche, schnell reagierende Messtechnik mit Eignung zur Anbindung an ein Leitsystem angeschafft werden. Mit deren Auswahl, Engineering, Installation und Inbetriebsetzung wurde der Bereich Prozessanalytik von Evonik Industries beauftragt. Das Messverfahren der Wahl war die Kalorimetrie; die alternativ denkbare Prozess-Gaschromatographie wurde wegen ihrer wesentlich höheren Zykluszeiten nicht in Betracht gezogen.
Die Kalorimetrie ist ein seit über 100 Jahren bekanntes Messverfahren zur Vermessung brennbarer Gase, welches heutige Gerätehersteller in moderne Technik umsetzen. Das Maß für den Energieinhalt eines Gases und damit für seinen prozesstechnischen und fiskalischen Wert ist der Wobbe-Index mit der Dimension kWh/m3. Die heutigen Kalorimeter bestimmen diesen Wert je nach Bauart direkt (als unmittelbaren Messwert) oder indirekt (mit Hilfe eines Korrelationsverfahrens aus einem anderen Messwert). Angesichts der Aufgabenstellung mit stark schwankenden Gaszusammensetzungen wurde hier das Verfahren der direkten Messung als deutlich vorteilhafter beurteilt, da Korrelationsverfahren bei stark wechselnder Zusammensetzung grundsätzlich Unsicherheiten bergen. So fiel die Entscheidung auf das kontinuierlich messende Verbrennungskalorimeter CWD2005 Plus von Union Instruments mit seiner direkten Wobbe-Messung. Es wurden drei Geräte angeschafft, welche mit Blick auf die Anforderungen der Gaskunden auf einen Wobbe-Bereich von 5 bis 15 kWh/m3 eingestellt sind.
Messkonzept und Ergebnisse
Die kontinuierlich im 24-Stunden-Betrieb anfallenden Mess- und Statuswerte werden über eine 4-20 mA und eine Modbus-Schnittstelle ausgegeben und einem Leitsystem zugeführt. Sie dienen der Regelung der ggf. erforderlichen Zumischung von Erdgas zur Einstellung des spezifizierten Energieinhaltes ebenso wie der Verrechnung der gelieferten Energiemenge an den Kunden sowie zur Qualitätssicherung. Die gemäß den Spezifikationen maximal zulässige Messunsicherheit des Brennwerts des gelieferten Gases liegt unter einem Prozent. Diese wird von der gesamten Messeinrichtung erreicht. Seitens des CWD tragen dazu sowohl dessen Unabhängigkeit von thermischen Umgebungsbedingungen als auch eine manuell angestoßene automatisch ablaufende Kalibrierung mit Kalibriergas bei. Mit Testgas wird im Folgenden der Messbereichsanfang verifiziert.
Der Einsatz von kontinuierlich arbeitenden Verbrennungskalorimetern und deren Einbindung in eine Mischungsregelung ermöglicht die Konditionierung und damit die Weiternutzung von Prozessgasen aus Chemieanlagen. Das erschließt weitere Energiequellen und eröffnet besonders für Chemieparks neue Möglichkeiten zur Steigerung der Energieeffizienz im Anlagenbetrieb. Das im Chemiepark Marl hierfür realisierte Konzept liefert ein überzeugendes Beispiel.
Kalorimetrie
Die Kalorimeter CWD2005 von Union Instruments (CWD: Calorimetry, Wobbe-Index, Specific Density) bestimmen direkt den Wobbe-Index als typische Regelgröße für den Brennwert. Das Messverfahren basiert auf der kontinuierlichen Bestimmung der Temperaturerhöhung eines Trägermediums (Luft) durch die freigesetzte Energie bei der Verbrennung eines definierten Gasstroms. Separat dazu wird die relative Dichte gemessen, woraus der Heizwert und der Brennwert berechnet werden. Bei der Verbrennung werden auch unbekannte bzw. unerwartet auftretende brennbare Komponenten des Prozessgases erfasst und in der Messung berücksichtigt. Diese Eigenschaft des CWD ist bei rasch wechselnder Gaszusammensetzung von z.B. Prozessgasen aus chemischen Prozessen oder bei Ersatzgasen in der Stahlindustrie Voraussetzung für zuverlässige Messergebnisse.