Gefahrgut sicher per Schiene
Interview mit Dr. Carsten Hinne, DB Schenker Rail zu Möglichkeiten und Hemmnissen im Kombinierten Verkehr
Die Schiene gilt als prädestinierter Verkehrsträger für Gefahrgut besonders in Bulkmengen. Auch aus ökologischer Sicht sollte sie die Nase vorn haben. Eine allgemein zunehmende Verlagerung von Verkehren auf die Schiene scheint dennoch nicht in Sicht. CHEManager fragte bei Dr. Carsten Hinne, dem Leiter Marktbereich Chemie/ Mineralöl/ Düngemittel bei DB Schenker Rail nach wie es generell um den Kombinierten Verkehr steht und welche Strategien das Unternehmen fährt, um Chemiecluster weiter intermodal zu vernetzen. Die Fragen stellte Dr. Sonja Andres.
CHEManager: Wie schätzen Sie die künftige Entwicklung des Bahnverkehrs für chemische Produkte im Güterverkehr ein?
Dr. C. Hinne: Obwohl die Schiene als Verkehrsmittel für chemische Produkte ideal ist, wächst der Bahnverkehr für diese Produkte nur marginal - bei den Mineralölen ist sogar ein Rückgang zu verzeichnen. Grund ist einerseits die europaweit angespannte Situation des Schienengüterverkehrs, andererseits das Stichwort „Global sourcing“, welches die Branche derzeit prägt. Wir erleben in der chemischen Industrie eine globale Konsolidierung, welche zu einer Verlagerung von Verkehren führt. Das erfordert natürlich auch von uns, dass wir ständig am Puls der Zeit sind.
Bis auf einige, wenige Ausnahmen, leiden alle Schienengüterverkehrsunternehmen in Europa unter negativen strukturellen Rahmenbedingungen, die sie im Wettbewerb mit LKW und Binnenschifffahrt stark benachteiligen. Steigende Trassengebühren, die EEG-Umlage sowie die Kosten durch die Umrüstung der Güterwagen auf Flüsterbremsen belasten den Schienengüterverkehr überproportional. Gleichzeitig verbessert der stark gesunkene Diesel- bzw. Ölpreis die Wettbewerbsposition von LKW und Binnenschifffahrt. Solche Rahmenbedingungen konterkarieren das erklärte politische Ziel, mehr Verkehr auf die umweltfreundliche Schiene zu verlagern.
Gibt es aktuelle Trends im Schienengüterverkehr?
Dr. C. Hinne: Der heutige Schienengüterverkehrsmarkt wird von den Trends der Containerisierung und Standardisierung geprägt. In der Chemiebranche spielt insbesondere der Einzelwagenverkehr eine herausragende Rolle – zirka zwei Drittel aller Sendungen erfolgen per Einzelwagen, nur ein Drittel sind Ganzzüge.
Mit der DB Schenker BTT, einer Gesellschaft von DB Schenker Rail, als Branchenkorridor-Operator im Wagenladungsverkehr und im Kombinierten Verkehr bieten wir Produkte in hoher Frequenz, zuverlässig und stabil an.
DB Schenker Rail hat ein großes europäisches Netzwerk aufgebaut. Provokativ gefragt: Sind überall genügend Kesselwagen- und Schienenkapazitäten vorhanden, um auch Gefahrgüter schnell und sicher ans Ziel zu bringen?
Dr. C. Hinne: DB Schenker Rail bzw. DB Schenker BTT ist ja weder Infrastrukturbetreiber wie DB Netz noch ein Wageneinsteller à la GATX. Insofern wäre diese Frage nicht an uns zu stellen. Aber aus unternehmerischer Sicht wäre im konventionellen Wagenladungsverkehr an Kesselwagenkapazitäten noch viel herauszuholen, wenn man die aktuell entstehenden Leerkilometer der Wagen durch geschickteres Pooling reduzieren würde. Bezüglich der Infrastruktur: Wenn wir besser planen und die vorhandene Infrastruktur besser auslasten sowie Engpässe umgehen, dann können wir auch hier das vorhandene System clever nutzen und neue Synergien schöpfen.
Ihr Unternehmen hat sich in seiner Strategie 2020 vorgenommen, dem Kombinierten Verkehr (KV) einen hohen Stellenwert einzuräumen. Wie wird das in der Praxis aussehen?
Dr. C. Hinne: Durch die zunehmende Containerisierung rechnen wir bis 2030 mit einem Wachstum von bis zu vier Prozent pro Jahr. Somit ist der Kombinierte Verkehr einer der wichtigsten Wachstumshebel für DB Schenker Rail und wir versuchen natürlich auch in der Chemiebranche durch verschiedene Initiativen aktiv zu sein.
Im Chemiebereich bildet das Kombiterminal Burghausen (KTB) und der Ausbau seiner Verbindungen einen Baustein unserer KV- und Terminalstrategie der nächsten Jahre. Geplant ist die Anwendung des Modells auf weitere Terminals. Wichtig für uns ist, dass wir die Korridore der Zukunft gemeinsam mit unseren Kunden diskutieren – wie zum Beispiel zuletzt geschehen im Workshop „Intermodale Transporte“ bei unserem Branchenkongress 2015.
Wie sehen Sie generell die Entwicklung des Kombinierten Verkehrs für den Bereich chemische Produkte?
Dr. C. Hinne: Im Zuge der Globalisierung gehen wir von einem Wachstum des Bedarfes an Containertransporten aus, insbesondere in der chemischen Industrie. Das Umladen der Produkte wird meist vermieden, daher bietet der Transport via Tankcontainer die Lösung – auch auf die durch den Güterstruktureffekt veränderten Warenströme. Gemeinsam mit unseren Kunden entwickeln wir Lösungen für die sich ändernden Anforderungen der Transportbranche.
Mittelfristig werden wir neue Produkte bereitstellen, die die Chemiecluster weiter intermodal vernetzen. So sehen wir gerade im Chemiebereich ein Wachstum auf den Achsen von Deutschland Richtung Südeuropa, aber auch Richtung Südosteuropa.
Dem wachsenden Bedarf an Tragwagen, Tankcontainerlösungen, etc. begegnen wir über unser eigenes Equipment hinaus mit Miet- und Kooperationsmodellen.
In Ihrer KV- und Terminal-Strategie bildet z.B. das KT Burghausen einen Knotenpunkt. Zurzeit ist Hamburg/Bremerhaven fest eingebunden. Sukzessive soll das KTB an weitere zentrale Schwerpunkte der chemischen Industrie angebunden werden, wie z.B. die Häfen Rotterdam und Antwerpen, aber auch Ludwigshafen, Moskau oder Tarragona/Barcelona sind offenbar angedacht. Ist dieses (ehrgeizige) Ziel in absehbarer Zeit zu stemmen – was sind die größten Hürden?
Dr. C. Hinne: Im Oktober 2015 hat unser Chemielogistiker BTT durch ein neues Shuttleprodukt bereits eine Verbindung zwischen dem KTB und den Häfen Rotterdam und Antwerpen via Köln-Niehl CTS geschaffen. Zwischen Köln und Rotterdam bestehen zusätzliche Gateway-Verbindungen per Binnenschiff und Bahn.
DB Schenker BTT ermöglicht damit Spediteuren, Logistikern und Reedereien die lokale Industrie des bayerischen Chemiedreiecks schnell, zuverlässig und intermodal an die Rhein-Ruhr-Region und die internationalen Drehpunkte anzubinden.
Zu Ihrer Frage nach Ludwigshafen, Moskau oder Tarragona/Barcelona: Eine direkte Anbindung dieser Chemieregionen mit eigenen Zügen ist derzeit zwar nicht geplant, aber es ist heute schon sehr gut möglich, bereits bestehende Operatornetze zu nutzen. Damit rückt das bayerische Chemiedreieck noch näher an die Vorteile des intermodalen europäischen Netzwerks heran.
An Hürden sind die derzeitigen Öl- und Dieselpreise, sowie ein stagnierender Markt zu nennen. Die Schiene hat im Modal Split leicht zugunsten des LKW verloren. Die Güterbahn war 2015 durch Sonderfaktoren wie Wetter und Streik geprägt, steuert aber dagegen: Transporte werden noch stärker priorisiert gesteuert und Ressourcen für Regionen mit hohem Bedarf bereitgestellt.
Schienentransporte laufen gerade in der Chemieindustrie unter dem Aspekt Sicherheit. Einige Produkte dürfen in Bulkmengen nur per Bahnkesselwagen oder Binnenschiff transportiert werden. Wie ist DB Schenker Rail zum Thema Sicherheit aufgestellt?
Dr. C. Hinne: Die Schiene erweist sich nachweislich und objektiv betrachtet als sicherster Verkehrsträger: Im Vergleich zur Straße ist sie dabei 40 Mal sicherer. Jede siebte Tonne bei DB Schenker Rail stellt Gefahrgut dar, in der EU summiert sich das auf 17% des Gesamtvolumens.
Die Entwicklung einer grenzübergreifenden Sicherheitskultur ist die Aufgabe, die sich DB Schenker Rail setzt. Besonders im Industry Sector Chemicals ist Sicherheit das oberste Gebot, für das wir uns über die gesetzlichen Vorschriften hinaus einsetzen, etwa mit den Rail Safety Days. Zu diesem Schulungs- und Übungsprogramm bringt DB Schenker Rail alle Stakeholder an einen Tisch: Vertreter der europäischen Chemieindustrie, der Sicherheitsbereiche sowie dazugehörige Einsatzkräfte, Infrastrukturbetreiber und Behördenvertreter.
Ganz allgemein: Wie nahe sind wir zwischenzeitlich dem Ziel einer Harmonisierung des Schienen(güter)verkehrs in Europa gekommen?
Dr. C. Hinne: Zur Stärkung des Einzelwagenverkehrs in Europa betreiben wir mit unseren europäischen Partnerbahnen die Allianz Xrail.
Die Harmonisierung schreitet im Vergleich zur Straße jedoch langsam voran. Derzeit ist nur ein Straßenführerschein für alle europäischen Länder erforderlich, hingegen werden diverse Lokführerscheine gefordert. Es sind unterschiedliche Lokausrüstungen für verschiedene Länder nötig, während ein und derselbe LKW in allen Ländern fahren kann. Der LKW-Fahrer muss nur Englisch können, der Triebfahrzeugfahrer die jeweilige Landessprache. Fazit: Eine Harmonisierung ist noch ein weiter Weg.