Chemielogistik: Charakter und Makroökonomische Bedeutung
Aktuelle BVL-Studie gibt umfassende Einblicke in die Chemielogistik (Teil 2)
Die Logistik für die Chemiebranche weicht von der anderer Wirtschaftszweige ab, wie bereits Teil 1 unserer Reihe zur aktuellen Studie zur Chemielogistik gezeigt hat, die im Auftrag der Bundesvereinigung Logistik BVL von der Kompetenzgruppe Chemielogistik durchgeführt wurde.
Der vorliegende Beitrag befasst sich nun mit der Charakterisierung und Makroökonomie der Chemielogistik.
Teil 3 der Reihe folgt in CHEManager 21-22/2013.
Die Chemiebranche gilt als Schlüsselindustrie und zählt hinsichtlich der Umsätze und der Bedeutung in der Wirtschöpfungskette zu den wichtigsten Industriebranchen in Deutschland. Das quantifizierte Marktvolumen für die Chemielogistik in Deutschland betrug im Jahr 2011 30,8 Mrd. €. Dies entspricht rund 14% des gesamten Logistikmarktes und verdeutlicht die hohe Relevanz dieses Branchensegments für die Logistikwirtschaft.
Die Beschäftigungswirkung der Chemielogistik beläuft sich auf ca. 83.000 erwerbstätige Personen in Deutschland. Auffällig ist dabei die vergleichsweise geringe Beschäftigungsdichte im Vergleich zu den in der Chemielogistik erwirtschafteten Umsätzen aufgrund der hohen Produktionsautomatisierung und Massengutaffinität. Andererseits treiben die hohen Kostenanteile für Sicherheit und Lagerhaltung den Umsatzwert hoch, nicht aber den Personaleinsatz
Die Charakterisierung der Chemielogistik-Branche erfolgt anhand folgender acht Kriterien und hat Auswirkungen auf die Logistik-Strategie des Produzenten und das Geschäftsmodell des Dienstleisters:
- Produktionsspektrum Chemie: Branchencodes 19.1-19.2, 20.1.-20.6
- Kostenfaktor Produktion: chemische Verfahrensweisen, „push" auf Lager
- Stellenwert der Chemielogistik: operativer Erfüllungsgehilfe, strategischer Bestandteil der Wertschöpfungskette oder Teilleistung eines Chemiemoduls
- Spezielle Behältnisse und Gebinde
- Gefahrenpotential: verschiedene Gefahrgut-/stoffklassen, hoher Anteil Nicht-Gefahrgüter
- Aggregatzustände: flüssig, fest, rieselförmig, gasförmig
- Verkehrsträger: von See-/Binnenschiff über Bahn/Lkw bis Pipeline
- Heterogene Perspektiven: Produzent (Einkäufer, Produzent, Supply Chain Manager, Händler), Logistikdienstleister, Standort-/Hub-Logistiker, Standortmanager
Gütervolumen und Verkehre
Ein Blick auf das durch die Chemielogistik abgewickelte Gütervolumen zeigt: Im Jahr 2011 wurden in Deutschland 154 Mio. t an für die Chemielogistik relevanten Gütern produziert (chemische Produkte, Mineralölprodukte, Rohöl). Hiervon stellen die Mineralölerzeugnisse mit knapp 100 Mio. t den größten Einzelposten dar. Unter den chemischen Produkten stehen organische Stoffe sowohl mengen- als auch wertmäßig an erster Stelle. Spezialchemikalien machen zwar nur rd. ein Drittel der Produktionstonnage aus, sind aber aufgrund der höheren Wertdichte für gut 40% des Gesamtwerts der hergestellten Chemieprodukte verantwortlich.
Insgesamt wurden 2011 in Deutschland 501 Mio. t relevanter Güter durch deutsche Unternehmen transportiert, wobei die Verkehrsträger Schiene und Binnenschiff überdurchschnittlich häufig genutzt wurden. Dennoch bleibt die Straße mit insgesamt 46% am gesamten Transportaufkommen der wichtigste Verkehrsträger.
Um eine Verortung der Chemielogistik innerhalb Deutschlands zu ermöglichen und die wichtigsten Standorte aufzuzeigen, wurde eigens für diese Studie ein „Intensitätsindex" entwickelt. Einige Regionen erreichen sowohl bei der Stärke als auch bei der Dichte von chemielogistischen Aktivitäten herausragende Werte. Diese regionalen Cluster decken sich mit den großen Produktionsstandorten der chemischen Industrie, wie die Regionen Rhein-Neckar, Rhein-Main und das nordrhein-westfälische Rheinland, aber auch die Region Hamburg, das mitteldeutsche Chemiedreieck um Halle und das bayerische Chemiedreieck um Burghausen.
Hoher Konzentrationsgrad
Die insgesamt rund 1.500 Unternehmen in Deutschland, die sich primär mit der Herstellung chemischer Güter befassen, erwirtschafteten im Jahr 2011 einen Umsatz von 144 Mrd. €, wovon rd. 60 Mrd. € auf die zehn größten Unternehmen entfallen. Dieser hohe Konzentrationsgrad innerhalb der Branche führt zu einer vergleichsweise hohen Abhängigkeit der auf chemische Güter spezialisierten Logistikdienstleister von den großen Produzenten.
Die Fokussierung auf einzelne Wertschöpfungsstufen ist bei den Top-20 Unternehmen sehr unterschiedlich ausgeprägt. Die Anforderungen an das Know-how der Logistikdienstleister reichen dementsprechend von temperierten Gefahrguttransporten mit deutlich erhöhten Sicherheitsanforderungen bis hin zu standardisierten Paletten ohne besondere Ansprüche an das Güterhandling.
Eine weitere wichtige Nachfrage für Logistiklösungen im Chemiebereich entsteht durch die Mineralölindustrie sowie durch die über 2.100 Unternehmen des Großhandels mit chemischen Erzeugnissen.
Chemielogistikanbieter
Auch von Seiten der Chemielogistik-Dienstleister lassen sich, je nach Spezialisierung auf dem Chemiemarkt und das im Vordergrund stehende Geschäftsmodell, mehrere Gruppen bilden. Den höchsten Spezialisierungs- und Integrationsgrad bei den operativen Prozessen der chemischen Industrie weisen die logistischen Standortdienstleister auf. Sie übernehmen in Chemieparks logistische Aufgaben der Lagerung, des Güterhandlings und -umschlags sowie der direkten Produktionsver- und -entsorgung. Den Markt für Chemielogistik über die Chemieparks hinaus bedienen spezialisierte Logistikdienstleister, die sich mit eigenem Fuhrpark und spezifischen Transportmitteln auf Kunden aus dem Chemiebereich konzentrieren. Die hier tätigen Unternehmen in Deutschland sind allesamt dem Mittelstand zuzuordnen.
Die Anbieter ganzheitlicher Lösungen sind meist stärker in die operativen Prozesse der Industriekunden eingebunden. Das breite Dienstleistungsportfolio führt zu einer erhöhten beiderseitigen Abhängigkeit zwischen Verlader und Dienstleister, ermöglicht aber auch Effizienzsteigerungen und birgt Synergieeffekte. Angesichts des noch relativ geringen Outsourcinggrades in der Chemielogistik sind im Bereich dieser integrierten Dienstleistungen Wachstumspotentiale zu erwarten.
Die letzte Gruppe auf der Angebotsseite bilden schließlich die „Generalisten", Logistikdienstleister, die sich zwar nicht ausschließlich auf die Chemieindustrie fokussiert haben, die aber dennoch als Lösungsanbieter auf diesem Markt auftreten und einen nennenswerten Anteil an chemischen Gütern transportieren, lagern und umschlagen.
Die Marktstrukturen zeigen einen höheren Konzentrationsgrad bei den Nachfragern nach Chemielogistik-Leistungen. Die Marktmacht liegt somit auf Seiten der Industrie. In diesem Logistiksegment sind große, internationale Konzerne auf der Verladerseite und meist mittelständisch geprägte, stark spezialisierte Anbieter üblich. Diese Konstellation bringt angesichts der hohen gegenseitigen Abhängigkeit Herausforderungen bezüglich des gewählten Integrationsgrads und der zugrundeliegenden Geschäftsmodelle mit sich.
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Studie: Chemielogistik - Bedeutung, Strukturen, Dynamik
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