Reach: Compliance-Management sorgt für Kostensenkung
20.09.2011 -
Reach: Compliance-Management sorgt für Kostensenkung
Im kommenden Sommer setzt die europäische Chemikaliengesetzgebung Reach einen weiteren Meilenstein: Ab Juni 2008 müssen die in der EU ansässigen Hersteller und Importeure alle Phase-in-Stoffe innerhalb von sechs Monaten vorregistrieren. Um dies tun zu können, brauchen die Verantwortlichen ein präzises Bild davon, wo im Unternehmen welche Stoffmengen anfallen. So einfach diese Aufgabe klingt, so komplex und aufwändig erweist sie sich in der Umsetzung. Einerseits verlangt sie die umfassende Transparenz aller Bestandteile der IT-Architektur, mit denen Reach-relevante Geschäftsprozesse organisiert werden. Andererseits gilt es die in den Steuerungssystemen vorherrschende materialbezogene Sicht durch eine stoffliche Perspektive zu ergänzen.
Sind alle Vorarbeiten geleistet, so können SAP-Anwender die gewünschten Stoffmengendaten automatisiert aus bestehenden Informationen ermitteln. Hierzu steht ihnen mit dem Substance Volume Tracking (SVT) eine Standardkomponente zur Verfügung, die in SAP Environment, Health & Safety (SAP EH&S) integriert ist. Im ersten Schritt ermittelt SVT die in den SAP-Anwendungen vorhandenen Materialinformationen. Einkaufsbelege und Produktionsaufträge stehen im Mittelpunkt des Interesses. Aus den darin ausgewiesenen Materialmengen leitet SVT dann im zweiten Schritt die Stoffmengen ab.
Prozesslandschaft
Als Ausgangsbasis für die Implementierung von SVT dient die Analyse aller Einkaufs- und Produktionsprozesse, in denen Reach-relevante Stoffe anfallen. Eine solche Analyse steht und fällt mit dem Engagement von kompetenten Mitarbeitern aus Produktion, Logistik und IT. Geeignete Mitstreiter zu finden, erweist sich in der Regel als erste große Herausforderung. Denn zum einen sind sich längst noch nicht alle Akteure der Tragweite der neuen Gesetzgebung bewusst. Und zum anderen bleibt im Tagesgeschäft oft nur wenig Zeit, um grundlegende Fragen zu den eigenen Abläufen zu erörtern.Zumal die Fragen ja unmittelbar darauf abzielen, wie transparent man seine bisherige Arbeit dokumentiert hat. Insbesondere soll nun ans Tageslicht, ob tatsächlich alle Prozessschritte nachvollziehbar in den Steuerungs- und Planungssystemen abgebildet sind und ob die zugehörigen Datenobjekte systematisch gepflegt wurden.
Prozessanalysen decken präzise auf, dass in der Praxis längst nicht alles nach Lehrbuch abläuft. Denn verständlicherweise haben sich die einzelnen Abteilungen und Mitarbeiter eigene „Best Practices“ geschaffen, die zwar nicht immer ganz den strengen Vorgaben eines ERP-Ablaufs entsprechen, die aber dennoch zum Ziel führen.
Nicht selten kommt es zum Beispiel in mehrstufigen Produktionsprozessen vor, dass bestimmte, für die kaufmännische Sicht eines ERP-Systems unerhebliche Zwischenschritte zusammengefasst werden, wodurch diese Schritte dann anschließend nicht mehr in den Stücklisten auftauchen. In der Folge sind die dabei verbrauchten beziehungsweise entstandenen Materialien nicht mehr auswertbar. Demgegenüber gilt es nun im Hinblick auf Reach alle Schritte lückenlos zu analysieren und die darin vorkommenden Stoffmengen angemessen zu aggregieren.
IT-Architektur
In einer zweiten Arbeitsgruppe setzen sich die Implementierer mit der IT-Abteilung zusammen, um diejenigen Elemente der IT-Architektur zu identifizieren, in denen SVT die Stoffmengendaten ermitteln soll. Wie schon die Analyse der Geschäftsprozesse erweist sich auch die Untersuchung der IT-Strukturen als hochkomplexe Aufgabe. Zwar lassen sich SAP EH&S und das darin integrierte SVT-Werkzeug als Stand-alone-Lösung implementieren. Jedoch kommen bei den bereits vorhandenen operativen Systemen zahlreiche Einzelsysteme ins Spiel, die historisch gewachsen sind.
Nicht zuletzt hat die in der Prozessindustrie immer noch anhaltende Marktkonsolidierung dafür gesorgt, dass vor allem in größeren Chemieunternehmen eine Vielzahl unterschiedlicher Logistik- und Produktionssysteme gleichzeitig im Einsatz sind, in der Regel mit unterschiedlichen Release-Ständen und so gut wie immer mit einer bereichsspezifischen Prozessabbildung. Damit SVT dennoch unternehmensweit konsistent arbeiten kann, gilt es ein systemübergreifendes Datenmodell zu entwickeln.
Eine zusätzliche Herausforderung ergibt sich immer dann, wenn Unternehmen mit mandantenübergreifenden Kostenkreisen arbeiten, die sich über mehrere Logistiksysteme hinweg erstrecken. Denn sobald sich die Tonnagen zwischen den einzelnen Kostenkreisen nicht mehr sauber trennen lassen, kann ein Konzernverbund nicht mehr den Reach-Vorgaben entsprechen.
Schließlich sind unter der neuen Gesetzgebung alle rechtlichen, sprich bilanzierenden Unternehmenseinheiten berichts und gegebenenfalls dann auch registrierungspflichtig. Werden nun die Informationen eines einzelnen Kostenkreises in einer mandantenübergreifenden Lösung zusammengefasst, so müssen die Reach-Verantwortlichen die Informationskette posthum wieder aufbrechen, um für jede einzelne rechtliche Einheit an die erforderlichen Informationen zu gelangen.
Stoffwelt
Es führt zu weit, wenn das Substance Volume Tracking den gesamten Materialstamm untersucht und Auswertungen dazu liefert. Gerade Großunternehmen der Prozessindustrie arbeiten mit Hunderttausenden, wenn nicht Millionen von unterschiedlichen Materialien. Vor dem Hintergrund eines solchen Materialstamms empfiehlt sich ein pragmatisches Konzept, anhand dessen sich die Reach-relevanten Materialien automatisiert identifizieren lassen. Einer der einfachsten Wege besteht zum Beispiel darin, ausschließlich diejenigen Materialien anzusprechen, die einen oder mehrere der in SAP EH&S hinterlegten Stoffe beinhalten. Ein anderer Weg führt über die Vorauswahl von Materialgruppen, bei denen eine Reach-Relevanz plausibel ist, so zum Beispiel bei Schmierstoffen oder Reinigungsmitteln.
Spätestens an diesem Punkt, der stoffspezifischen Eingrenzung des Materialstamms, sind auch die Fachabteilungen in das Implementierungsprojekt mit einzubinden. Mit ihrem Fachwissen erfolgt nun die Definition des Stoffdatenmodells, das die Reach-relevante Stoffwelt eines Unternehmens nachzeichnet. Ist die Compliance-Management- Komponente SAP EH&S bereits im Einsatz, so gilt es, das darin angelegte Datenmodell auf Reach hin anzupassen
. Hier ist Expertenwissen schon allein deshalb erforderlich, um die Reach-relevanten von den nicht relevanten Stoffinformationen zu trennen. Beispielsweise brauchen Unternehmen bestimmte Verunreinigungen oder auch Lösemittel nicht berücksichtigen. Doch ganz unabhängig von solchen Ausnahmen müssen sich die Verantwortlichen auf eine gemeinsame Sichtweise einigen, welche Aspekte ihrer Stoffwelt sie in welcher Granularität abbilden wollen. Von daher kommt es in der Praxis zwangsläufig zu unternehmens- und zum Teil sogar zu bereichsspezifischen Modellen.
Darüber hinaus sollten die Verantwortlichen bei der Definition der Stoffdatenmodelle darauf achten, dass die Modelle keineswegs nur als Erfassungsgrundlage für das Substance Volume Tracking dienen. Zu einem späteren Zeitpunkt lassen sie sich auch zur Erstellung der Reach-spezifischen Sicherheitsdatenblätter heranziehen. Ein weiterer zentraler Einsatzzweck liegt in der Übergabe der Stoffdaten an die Europäische Chemikalienagentur. Somit hat das Datenmodell nicht nur die Anforderungen der Stoffmengenverfolgung, sondern auch die Bedürfnisse einer Reihe von nachgelagerten Aufgaben zu erfüllen. Entsprechend schafft das Modell auch die Ausgangsbasis für SAP Reach Compliance, der SAP-Anwendung für das Reach-bezogene Compliance- Management.
Monitoring
Nach erfolgreicher Einführung gibt das SVT darüber Auskunft, welche Mengen eines Stoffes von welchen Unternehmenseinheiten in welchen Zeiträumen importiert oder produziert wurden. Um Überraschungen wie das ungeplante Über- und Unterschreiten von Stoffmengengrenzen zu vermeiden, analysieren Unternehmen aber nicht nur rückwirkend, sondern auch prognostizierend. Somit laufen in der Praxis mindestens zwei Untersuchungen parallel, zum einen die Auswertung der bestätigten Belege und zum anderen die der geplanten Aufträge.
Anhand dieser Basisauswertungen lässt sich ein Online-Monitoring aufsetzen. Die Idee dahinter ist es, die Stoffmengenverfolgung und den aktuellen Geschäftsprozessfortschritt miteinander zu verzahnen: Erstellt zum Beispiel der Vertrieb eine zusätzliche Auftragsanfrage, so prüft das SVT für alle der darin enthaltenen Reach-Stoffe, ob das gesamte Unternehmen mit dem zusätzlichen Auftrag unter Umständen in das nächst höhere Mengenband eintritt. Wenn ja, so lässt sich die Weiterbearbeitung der Order aufhalten und eine entsprechende Nachricht an das verantwortliche Management absetzen. Dieses kann rechtzeitig entscheiden, ob sich der betreffende Auftrag mit einem wirtschaftlichen Regulierungsmanagement vereinbaren lässt. Auf diese Weise entwickelt sich das Substance Volume Tracking zu einem dynamischen Frühwarnsystem.