Innovationsmanagement in der chemisch-pharmazeutischen Industrie
05.06.2012 -
Innovationsmanagement in der chemisch-pharmazeutischen Industrie
Kontinuierliche Innovation ist für alle Unternehmen der chemisch-pharmazeutischen Industrie nicht bloß ein Schlagwort, sie ist der entscheidende Schlüssel für den zukünftigen unternehmerischen Erfolg. Der Begriff Innovation wird gemeinhin und durchaus berechtigterweise mit Kreativität verbunden und für das Gelingen sind gerade in ihrer frühen Phase der Exploration Freiräume unabdingbar.
Diese Bedingungen alleine sind zwar notwendig, aber nicht hinreichend. Denn Innovation endet nicht bloß bei der puren Erfindung, sondern umfasst auch die erfolgreiche Einführung auf dem Markt. Außerdem beansprucht sie knappe Ressourcen des Unternehmens, birgt Risiken und schafft zukünftige Potentiale. Innovation will also aktiv „gemanagt“ werden. So sind eine stringente Planung, Organisation und Kontrolle aller unter dem Begriff Innovation zusammengefassten Aktivitäten und Projekte unabdingbar für den unternehmerischen Erfolg.
Innovationsmanagement im erweiterten Sinne beschränkt sich nicht bloß auf das Management von Forschung und Entwicklung, sondern umfasst auch die Bereiche Technologiebeschaffung und Markteinführung. Zudem beinhaltet es Aspekte wie die innerbetriebliche Organisation oder die Schaffung einer „Innovationskultur“.
Operativ und strategisch
Der traditionelle Kernbereich des Innovationsmanagements für forschende Unternehmen der chemisch-pharmazeutischen Industrie ist das F&EManagement. Dieses sollte zwei Dimensionen gleichermaßen adressieren: die operative und die strategische, also vornehmlich Projekt- und Portfoliomanagement.
Projektmanagement wird in der chemischen Industrie zur Projektabwicklung seit Jahren mit Erfolg eingesetzt. Wesentliche Aspekte der Projektorganisation sind die Aufbauorganisation, die Definition des Ziels und die Planung der Ablauforganisation mittels Phasen und Meilensteinen. Sie sollten zu Beginn des Projektes festgelegt werden. Vor Projektbeginn wird außerdem die Realisierungsplanung mittels Projektstrukturplan sowie Termin- und Kostenplanung in hinreichendem Detaillierungsgrad vorgenommen. Während des Projektverlaufs kommen dann Methoden der Projektabwicklung und -steuerung bzw. des Projektcontrollings zum Einsatz.
Säulen des Managements
Dennoch ist dieses „doing the things right“ als operatives Projektmanagement auf Einzelprojektebene nur eine der beiden Säulen eines umfassenden Managements von Forschung und Entwicklung. Nur wenn auch die strategische Auswahl der Forschungsprojekte, das „doing the right things“ in angemessener Weise gemanagt wird, kann eine Forschungsorganisation dauerhaft Erfolg haben.
Die chemische Industrie ist eine wissenschaftsbasierte Branche, deren Produktentwicklungsprozesse in der Regel eine hohe technische Komplexität haben. So überrascht es nicht, dass Innovationen in der Chemiebranche in der Regel durch eine Dominanz des „technology pushs“ gegenüber dem „market pulls“ gekennzeichnet sind. Folglich krankt die Forschungspipeline vieler Firmen oftmals an einem Mangel an strategischer Planung auf Multiprojektebene. Dieser manifestiert sich in den folgenden Symptomen: Zu viele Projekte werden oft ohne klaren Fokus gestartet und man ist zögerlich, diese zu beenden. Zudem ringen die Projekte miteinander um die knappen personellen und finanziellen Ressourcen. Das äußert sich letztendlich in hohen Fehlerraten sowie langen Entwicklungszeiten.
Fatale Folgen haben speziell fehlende klare Selektionskriterien für die Projektauswahl sowie mangelnde Entscheidungskriterien für Projektfortführung oder - abbruch. Somit initiiert das Unternehmen falsche Projekte und schleppt sie dann durch die Pipeline. Fehlt es zusätzlich an der Ausarbeitung einer fokussierten Forschungsstrategie als Grundlage der Projektauswahl, so vollzieht sich die Produktentwicklung zerfleddert und abgekoppelt von der Geschäftsstrategie. Sie ist dann nicht in der Lage, ihren Beitrag zur Unternehmensentwicklung zu leisten.
Drei Ziele
In den letzten Jahren etablierte sich daher das Portfoliomanagement als eines der wichtigsten Instrumente der strategischen Forschungsplanung. Im Wesentlichen verfolgt man damit drei Ziele: Das erste ist die Maximierung des ökonomischen Werts des gesamten Portfolios aller Forschungsprojekte. Hierbei wird dieser ökonomische Wert in der Regel als Net Present Value (NPV) dargestellt, in neuerer Zeit berücksichtigt die Praxis auch Optionswertmethoden.
Zum Zweiten wird das Ziel verfolgt, ein „ausbalanciertes“ Projektportfolio zu erhalten. „Balance“ kann das Unternehmen dabei in verschiedenen Dimensionen anstreben, z. B. hinsichtlich einer ausgewogenen Mischung von langfristigen und kurzfristigen Projekten, riskanten oder weniger riskanten Projekten oder einer angemessenen Verteilung der Projekte auf verschiedene Produktkategorien und Märkte.
Die Beantwortung der Frage nach einer „ausgewogenen“ oder „angemessene“ Balance ist eng verwoben mit der dritten Zielstellung des Portfoliomanagements: das Bestreben, das Projektportfolio in Einklang mit der Geschäftsstrategie zu gestalten. In der Regel korreliert die ökonomische Attraktivität eines Projekts mit seinem Risiko. So steht man während der Projektauswahl typischerweise vor der Frage, ob man eher „die Taube auf dem Dach“ oder den „Spatz in der Hand“ fangen möchte. In Geschäftsfeldern wie dem Invest- Bereiche ist es durchaus angemessen, einen relativ hohen Anteil an attraktiven, aber durchaus hochriskanten Projekten im Portfolio zu haben. In den so genannten Cash-Bereichen sollte die kurzfristige Anwendungsforschung dominieren. Schließlich ordnet man Cash-Bereichen nur noch ein moderates Wachstumspotential zu, gegenwärtig liefern sie allerdings wichtige Ergebnisbeiträge.
Üblicherweise werden im Portfoliomanagement die einzelnen Forschungsvorhaben nach einer Reihe von Kriterien bewertet, die sich zu konsolidierten Bewertungen wie Markt- und Technologieattraktivität bzw. Markt- und Technologierisiko zusammenfassen lassen. In der Regel stellt man die Information in graphischer Form als Attraktivitäts- Risiko-Diagramm oder time-to-market-Diagramm verdichtet dar. Man versucht so, die Komplexität der Entscheidungssituation zu reduzieren.
Knackpunkt Verzahnung
Wichtig ist es nun, die operative Forschungsplanung eng mit der strategischen Planung zu verzahnen. Dies kann dadurch geschehen, dass man den Projektablauf in Entwicklungsphasen unterteilt und dann zu definierten Entscheidungspunkten die Projekte nach klar definierten stop/go-Kriterien bewertet. Beim Spezialfall des Stage-Gate-Prozesses gestaltet man diese Entscheidungspunkte derart, dass das Projektteam einem Entscheidungsgremium Informationen als Deliverables vorzulegen hat. Nach deren Bewertung wird dann über Projektabbruch oder -fortführung entschieden. Je weiter fortgeschritten dabei das Projekt, desto detaillierter sind in der Regel die Fragen. Einerseits kann dann die so abgefragte Information die Basis für die Portfoliobewertung sein, anderseits kann die Portfoliobewertung als vergleichende Multi-Projekt-Bewertung einen unmittelbaren Einfluss auf die Entscheidungen an den Gates haben.
Nicht übersehen werden sollte, dass es selbst bei stringenter Anwendung der Instrumente immer wieder im Projektverlauf zu Problemen und typischen Hindernissen kommen kann. Diese müssen dann mit viel Sonderaufwand überwunden werden oder lassen gar das gesamte Projekt scheitern. Projektleiter in Forschung- und Entwicklung sind „Manager auf Zeit“, an die hohe Anforderungen gestellt werden. Schließlich sind ihre Aufgaben neu und immer wieder komplex. Zudem konkurrieren die Projekte mit der Linienorganisation um die knappen Ressourcen.