Chemieverband fordert wettbewerbsfähige Standortbedingungen
VCI-Präsident Dr. Karl-Ludwig Kley: Politik muss Probleme erkennen und sie pragmatisch lösen
Die Chemische Industrie ist der drittgrößte Industriezweig in Deutschland und essentieller Produktions- und Entwicklungspartner für andere Branchen. Ihre Wettbewerbsfähigkeit ist daher wesentlich für die Exportnation Deutschland. Aufgabe der Politik ist es, durch geeignete Rahmenbedingungen die Attraktivität des Standorts Deutschland für die heimische Industrie und internationale Investoren zu gewährleisten. Im Vorfeld der Bundestagswahlen sprach Dr. Michael Reubold mit Dr. Karl-Ludwig Kley, Präsident des Verbandes der Chemischen Industrie (VCI) und Vorsitzender der Geschäftsleitung des Pharma- und Chemiekonzerns Merck, über die industriepolitischen Forderungen des Branchenverbands.
CHEManager: Herr Kley, die Bundestagswahlen stehen vor der Tür. Deutschland ist ein Industrieland. Spiegelt sich das in den Wahlprogrammen der Parteien industriepolitisch ausreichend wider?
Dr. Karl-Ludwig Kley: Leider nein. Aus Sicht der Industrie werfen die Wahlprogramme der Parteien mehr Fragen auf, als sie Antworten geben. Die Erkenntnis, dass die Industrie der Pulsschlag für Deutschlands Wohlstand und Wachstum ist, ist zwar auf der Meta-Ebene in der Politik angekommen - auf der praktischen Ebene aber leider nur bedingt.
Wie schätzen Sie die Chancen für mehr praktische Industriepolitik in der nächsten Legislaturperiode ein?
Dr. Karl-Ludwig Kley: Im Moment gibt es wenig Anlass für Optimismus. Mir machen vor allem vier Bereiche Sorgen: Planlosigkeit in der Energiepolitik, Maßlosigkeit bei einigen Parteien in der Steuerpolitik, Ratlosigkeit in der Gesundheitspolitik und Mutlosigkeit in der Forschungspolitik. All dies bedeutet Stillstand, ja Rückschritt, in der Industriepolitik unseres Landes. Aber bekanntlich stirbt die Hoffnung ja zuletzt. Wenn nach den Wahlen die Programme eingestampft werden, bewegt sich vielleicht doch etwas.
Wie kann denn eine praktische Industriepolitik aussehen?
Dr. Karl-Ludwig Kley: Obwohl in den letzten Jahren nicht viel passiert ist, gibt es doch Beispiele. Zum Beispiel die Regelungen zum Kurzarbeitergeld, die in den Krisenjahren 2009 und 2010 einen Einbruch am Arbeitsmarkt verhindert haben. Ein anderes positives Signal sind die Ausgaben des Bundes für Bildung und Forschung. Es geht also. Man muss nur wollen.
Mit Ihrer Meinung, die Umsetzung der Energiewende sei planlos, stehen Sie nicht alleine da.
Dr. Karl-Ludwig Kley: Das wäre ja auch schlimm. Die Politik setzt ja bei der Energiewende anstatt auf Projektmanagement mit marktwirtschaftlichem Ansatz auf Planwirtschaft, allerdings ohne Plan. Das sorgt für explodierende Kosten, aber nicht für Sicherheit und Berechenbarkeit. Währenddessen steigt die EEG-Umlage unaufhaltsam weiter. Die Chemische Industrie wird 2014 zusätzlich zu den normalen Stromkosten voraussichtlich über 1 Milliarde Euro Mehrkosten durch das EEG schultern müssen. Das ist zuviel.
Die EEG-Umlage muss von über 90 % der Chemieunternehmen gezahlt werden.
Dr. Karl-Ludwig Kley: Die große Mehrheit der über 1.650 VCI-Unternehmen ist nicht von der Umlage befreit. Und dabei geht es hauptsächlich um den Mittelstand. Vor allem für den bedeutet jede weitere Kostensteigerung weniger unternehmerischer Spielraum und eine Verschlechterung der Position im internationalen Wettbewerb. Für ein Land, das so stark vom Export abhängt wie Deutschland, eine gefährliche Situation. Jedenfalls keine, der man ruhig zusehen kann. Und auch keine, bei der sich die Politik auf Verteilungsdiskussionen beschränken kann.
Was sollte die Politik stattdessen tun?
Dr. Karl-Ludwig Kley: Auf den EEG-Kostenwahnsinn gibt es nur eine Antwort: Wir müssen die Energiewende von Grund auf neu konzipieren. Punktuelles Nachjustieren wie mit einer Strompreisbremse reicht nicht aus. Wir brauchen eine Kostenbremse. Ziele und Maßnahmen müssen priorisiert werden. Subventionen gehören auf den Prüfstand, und zwar alle. Wünschenswertes muss von Machbarem unterschieden werden.
Brauchen wir eine europäische Lösung für die Förderung erneuerbarer Energien?
Dr. Karl-Ludwig Kley: Eine „Energiewende 2.0" muss in den europäischen Binnenmarkt eingebunden werden - nationale Alleingänge führen zu nichts. Höchstens zu Unsinn, wie die Wechselwirkungen des deutschen EEG mit dem europäischen Klimazertifikatehandel ETS zeigen. Hier hat die Politik zwei sich widersprechende Regulierungsinstrumente eingeführt und versucht nun, der Industrie über das Backloading den Schwarzen Peter und weitere Kosten unterzuschieben. Aber die Industrie ist kein Esel, der Dukaten auswirft. Die Energiewende geht nur mit der Industrie, mit der Chemie, nicht gegen sie.
Wie will sich die Branche mehr Freiraum verschaffen?
Dr. Karl-Ludwig Kley: Die Chemische Industrie bietet allen politischen Kräften ihre Mitarbeit an, wenn es darum geht, unser Land nachhaltig in eine gute Zukunft zu führen. Diese Zukunft gewinnen wir nicht mit Schlagworten wie Verteilungsgerechtigkeit und Sicherheit. Die Zukunft gewinnen wir nur mit einer starken Industrie und einer starken Chemie.
Der Verlust von Augenmaß, der derzeit in der Energiepolitik zu beobachten ist, gilt Ihrer Meinung nach auch für die Steuerpolitik?
Dr. Karl-Ludwig Kley: Die Steuereinnahmen eilen von Rekord zu Rekord - 2017 wahrscheinlich über 700 Milliarden Euro - und trotzdem wird über neue Steuererhöhungen diskutiert. Wo ist da die Grenze? Wann setzt die Erkenntnis ein, dass man nicht immer nur verteilen kann, sondern erstmal erwirtschaften muss? Wir haben kein Einnahmenproblem. Wir haben ein Ausgabenproblem. Hier müssen wir ansetzen, statt weiter an der Abgabenschraube zu drehen. Industriepolitisch besonders grotesk ist die Debatte um Vermögen- und Erbschaftsteuer.
Inwiefern?
Dr. Karl-Ludwig Kley: Vermögen- und Erbschaftsteuer klingen zunächst einmal nach dem Robin-Hood-Prinzip: Nehmt‘s den Reichen, gebt's den Armen. Wenn die vermeintlich Reichen ihr Vermögen aber im Familienunternehmen gebunden haben, wird's kompliziert im Sherwood Forest. Die Vermögensteuer als Substanzsteuer ist für Unternehmen Gift. Die Erbschaftsteuer wurde erst 2008 reformiert - nur ein schweres Aufmerksamkeitsdefizit könnte also erklären, dass sich die Politik schon wieder damit beschäftigt. Mit der Lösung, die 2008 gefunden wurde, haben Familienunternehmen und inhabergeführte Unternehmen umzugehen gelernt. Hinter diesen Stand dürfen wir nicht zurückfallen.
In der Gesundheitspolitik - für die die chemisch-pharmazeutische Industrie ja eine wesentliche Rolle spielt - werfen Sie der Politik Ratlosigkeit vor. Wie geht es dem Patienten „Pharmastandort Deutschland"?
Dr. Karl-Ludwig Kley: Deutschland hat seinen Nimbus als Apotheke der Welt zwar verloren. Wir sollten aber verhindern, dass unser Land ausschließlich auf die Apotheken der anderen Nationen angewiesen ist. Noch ist die deutsche Pharmabranche stark genug, um im Weltmarkt eine bedeutende Rolle zu spielen. Dafür brauchen wir aber im Heimatmarkt eine entsprechende ökonomische Grundlage. Medizinisch-technischen Fortschritt kann es nicht zum Nulltarif geben. Angesichts der hohen Kosten für die Entwicklung, Zulassung und Markteinführung eines neuen Medikaments ist eine angemessene Preisstellung seitens der Hersteller notwendig. Sie ist die finanzielle Grundlage für die medizinischen Innovationen von morgen. Es liegt auch im Interesse der Politik, den Pharmastandort Deutschland zu stärken.
In der Forschungspolitik fordern Sie mehr Mut - wofür?
Dr. Karl-Ludwig Kley: Damit wegweisende Innovationen auch zukünftig aus Deutschland kommen, müssen geeignete Rahmenbedingungen geschaffen werden. Das bedeutet natürlich innovationsfreundliche Regelungen im Steuer- oder Patentrecht. Vor allem aber geht es mir um das Innovationsklima in unserem Land. Forscher und Wissenschaftler wollen mit Leidenschaft die Zukunft gestalten. Dafür brauchen sie das Gefühl, in der Mitte der Gesellschaft zu stehen. Das gesellschaftliche Umfeld muss Kreativität und Forschergeist honorieren, statt ihn einzudämmen. Dazu gehört auch, dass unsere Gesellschaft Risiken wieder akzeptiert, anstatt sofort reflexartig zurückzuschrecken, sobald etwas mit Risiko verbunden ist.
Diese Risikobereitschaft scheint aber in unserer Gesellschaft immer mehr einer generellen Technologieverweigerung zu weichen.
Dr. Karl-Ludwig Kley: Forschung ist das kontrollierte Überschreiten bekannter Grenzen - unter sorgfältiger Berücksichtigung der Risiken wohlgemerkt. Solche Grenzüberschreitungen müssen möglich sein, sonst stagnieren wir als Gesellschaft. Solange wir auf theoretische Risiken neuer Technologien von vornherein mit Verweigerung reagieren, legen wir unserer Wettbewerbsfähigkeit Fußfesseln an. Wir sollten Chancen und Risiken verantwortungsbewusst abwägen. Bei der Pflanzenbiotechnologie, bei Nanomaterialien oder beim Fracking ist das bisher nicht zu erkennen.
Stichwort Fracking: Wie stehen Sie dieser Technologie gegenüber?
Dr. Karl-Ludwig Kley: Fracking ist keine neue Technologie, sie wird seit 50 Jahren in Deutschland betrieben, und zwar im Einklang mit gesetzlichen Regelungen. Natürlich müssen wir uns die Frage stellen, ob sich Fracking in Deutschland überhaupt wirtschaftlich lohnt. Aber ich erwarte eine offene und wissenschaftlich fundierte Diskussion darüber, was die Risiken sind und wie wir damit umzugehen haben. Wir müssen uns mit den Fakten befassen, statt eine vermeintlich neue Technologie, die gar nicht neu ist, ohne Berücksichtigung der Faktenlage zu verteufeln.
Sie fordern also ein Innovationsklima, das sachbezogene, ergebnisoffene Diskussionen erlaubt?
Dr. Karl-Ludwig Kley: Forschung ist spannend, Forschung ist kreativ, und manchmal ist sie auch kontrovers. Aber sie ist immer nötig, wenn wir neue Antworten auf die Fragen unserer Zeit finden wollen. Die Chemie ist eine lebende Industrie. Mit ihren Innovationen und Technologieveränderungen entstehen neue Optionen und bessere Produkte, die in der Wertschöpfungskette immer weiter oben angesiedelt sind. Wir haben genügend Möglichkeiten, Chancen wahrzunehmen, wenn man uns denn lässt!
Zum Abschluss: Wird die Botschaft, dass eine gesunde Industriepolitik auch der Gesellschaft dient, von der Politik und der Öffentlichkeit gehört oder als politische Lobbyarbeit abgetan?
Dr. Karl-Ludwig Kley: Wir führen Gespräche mit allen politischen Parteien. Die Diskussionen finden im Regelfall in einer konstruktiven Atmosphäre statt. Denn die politischen Forderungen des VCI orientieren sich an der Sache. Ich bekenne mich gerne und offen dazu, Lobbyist zu sein, wenn ich einer Industrie, die ein Aushängeschild Deutschlands ist, dazu verhelfen kann, dass sie auch in Zukunft das Schicksal unseres Landes positiv mitgestaltet.
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