Chemieproduktion: Trend geht zum Standortdienstleister
27.07.2011 -
Chemieproduktion: Trend geht zum Standortdienstleister Seit zwei Jahrzehnten sind Unternehmen der chemischen Industrie dabei, ihre Standortservices als eigene Leistungsbereiche aufzustellen und aus den Organisationen herauszulösen. Viele der neuen Standortdienstleister haben sich inzwischen zu innovativen Servicegesellschaften entwickelt oder sind als Betreiber ganzer Chemieparks im Markt aktiv. Dabei geht das Spektrum der angebotenen Leistungen von Anlagenplanung und -bau über Wartung, Instandhaltung und Analytik-Services bis hin zu Einkauf, Logistik, Entsorgung oder Aus- und Weiterbildung.
Von Standortdienstleistern ist mit dieser Entwicklung ein fundamentales Umdenken sowie der Aufbau neuer Kompetenzen und Strukturen gefordert: In direkter Konkurrenz mit standortfremden, „externen“ Anbietern müssen sie höhere Qualität zu wettbewerbsfähigen, d.h. in der Regel niedrigeren Kosten anbieten als zuvor. Gleichzeitig müssen sie eine klare Serviceorientierung und intensive Kundenbeziehungen entwickeln und pflegen. Letztlich gilt es, sich als Teil einer unternehmensübergreifenden Wertschöpfungskette zu begreifen und eine prozessorientierte Denkweise auszuprägen.
Um diese Entwicklung voranzutreiben, stellen die Unternehmen – nach dem erfolgreichen Übergang der Standortservices in eigenständige Dienstleistungsbereiche oder -gesellschaften – vermehrt Projekte zur Restrukturierung in den Mittelpunkt, die den Schwerpunkt auf Kostenoptimierung, Qualitätssteigerung und Kulturwandel legen. Ob traditionelle Leistungs- und Effizienzsteigerungsmaßnahmen, Outsourcing oder Verkauf von Geschäftsteilen: Die Restrukturierung soll es dem Standortdienstleister ermöglichen, den steigenden Leistungsanforderungen seiner Kunden sowie den eigenen, neuen Anforderungen an Wirtschaftlichkeit und Profitabilität gerecht zu werden. Dabei rücken drei Ansatzpunkte ins Zentrum:
Fokussierung auf Kernkompetenzen
Die Konzentration auf strategisch entscheidende Abläufe und Aktivitäten und deren gezielte, kontinuierliche Verbesserung ist die Basis für wettbewerbsfähige Services – d.h. kostengünstige Angebote in der gewünschten Qualität. Vorteilhaft ist, solche Kernprozesse in Abstimmung mit dem Kunden zu definieren, sie von den unterstützenden Prozessen zu differenzieren und die Kernkompetenzen dem entsprechend zu vertiefen. Die Erfahrung zeigt, dass die Bedeutung solcher Kernkompetenzen in strategischen und Planungsbereichen besonders hoch ist (siehe Grafik 1): So gehört z. B. für einen Erbringer von technischen Services die Entwicklung und Optimierung von Instandhaltungsstrategien zu den klassischen Kernprozessen, weil sie für die Betriebsbereitschaft von Produktionsanlagen und damit den Erfolg des Kunden kritisch sind. Die tatsächliche Ausführung von Instandhaltungsleistungen muss hingegen nicht zwangsläufig eine Kernkompetenz darstellen und könnte an Subunternehmen vergeben werden. Ähnliches gilt für unterstützende Funktionen und Prozesse wie beispielsweise Werkschutz oder Logistik. Sie sind zwar erforderlich, sind jedoch keine Kernprozesse und werden üblicherweise nicht durch den Standortdienstleister selbst erbracht, sondern häufig zugekauft. Ungeachtet dessen bleibt es die Aufgabe und Verantwortung des Standortdienstleisters, die bedarfsgerechte Versorgung sicherzustellen. Er bleibt zentraler Ansprechpartner und Service-Erbringer gegenüber dem Kunden („One Face to the Customer“).
Implementierung von Dienstleistungsvereinbarungen
Die in der Vergangenheit übliche Einbettung der technischen Services in einen Mutterkonzern führte dazu, dass es häufig keine vertraglich definierten Dienstleistungsvereinbarungen (DLV) zwischen Leistungserbringer und -nehmer gab. Die Implementierung von Dienstleistungsvereinbarungen bildet jedoch den entscheidenden vertraglichen Rahmen für die Bereitstellung und Abrechnung bedarfsgerechter Services. Sie regeln und sichern den reibungslosen Ablauf zwischen Leistungserbringern und Leistungsnehmern – von der Angebotserstellung und Beauftragung über die Serviceerstellung bis zum Zahlungseingang. Immer häufiger fordern die produzierenden Bereiche als Abnehmer der Standortdienstleistungen eine hohe Kosten- und Leistungstransparenz auf Seiten ihrer Serviceerbringer, um ihrerseits trotz zunehmender Marktdynamik eine optimale Planbarkeit zu gewährleisten. DLV können an dieser Stelle einen hohen Beitrag zu Transparenz und Terminsicherheit leisten. Wesentlich ist, dass sie alle Services klar definieren und bepreisen. Nur so werden Leistungen und Preise des Standortdienstleisters mit denen standortfremder, „externer“ Anbieter vergleichbar. Genau diese Vergleichbarkeit führt beiderseits zu Wettbewerbsdruck und Optimierung von Preis und Leistung – zu Gunsten des Kunden. Darüber hinaus ist die Implementierung eines stringenten Abrechnungssystems sowie die Einführung eines Berichtswesens und Controllings Teil wirksamer DLV. Hochwertige DLV zeichnen sich überdies dadurch aus, dass sie nicht statisch sind, sondern kontinuierlich an Anforderungen und Rahmenbedingungen angepasst werden. Die Durchführung regelmäßiger Überprüfung der Rahmenbedingungen und gegebenenfalls Anpassung der DLV ist Aufgabe eines einzusetzenden Service Managements (Grafik 2). Standortdienstleister, die diese Aspekte berücksichtigen, werden ihre Position im Markt festigen können.
Etablierung einer prozessorientierten Organisation
Das Herauslösen von Standortservices aus dem Unternehmensverbund und die Überführung in eigene Geschäftsbereiche oder Unternehmen sind häufig mit einer Übernahme der alten Aufbauorganisation verbunden. Diese Organisation ist jedoch in der Regel für die veränderten Aufgaben und Ziele kaum geeignet. Eine Reorganisation ist erforderlich, um die Ziele des neuen Dienstleisters effizient zu erfüllen, nämlich Prozesskosten zu senken, die Prozessqualität zu steigern, die Kostentransparenz zu erhöhen und die Kundenorientierung zu verstärken.
Zu den Grundprinzipien der Prozessorientierung eines Standortdienstleisters gehört die Gliederung der Aufbauorganisation in Chemiepark-Management, Chemiepark-Betrieb für standortgebundene Leistungen sowie Chemiepark-Services für nicht-standortgebundene Leistungen. Hinzu kommt die die Definition bereichs- und unternehmensübergreifender, durchgängiger Prozesse in Zusammenarbeit mit dem Leistungsnehmer. Sowohl für den Leistungsnehmer als auch für den Erbringer ist dies häufig eine große Herausforderung, da sich über die Jahre ein „Silodenken“ ausgeprägt hat. Wesentlich ist ferner die organisatorische Trennung von Dienstleistungen und Anlagen. Sie führt zu einer erhöhten Kosten- und Leistungstransparenz beim Kunden sowie zu schlanken und damit kostengünstigeren Prozessen.
Nicht zuletzt gilt es, die Schnittstellen zum Kunden genau zu definieren und im gleichen Zuge zu minimieren. Die häufig unklare Zuordnung von Aufgaben und Verantwortungsbereichen sowohl beim Kunden als auch beim Standortdienstleister, bei der jeder alles beauftragt und jeder jeden Auftrag annimmt, führt zu einer erheblichen Zeit- und Ressourcenbindung. Folglich ist eine Koordination und Kanalisierung auf Kundenseite genauso wichtig wie die Verankerung eines zentralen Ansprechpartners oder Kundenbetreuers in der Dienstleistungsorganisation. Dienstleistungsvereinbarungen können den Beauftragungsprozess sinnvoll regeln, indem sie nicht nur Leistungen und dazugehörige Kosten, sondern auch die Schnittstellen definieren (Grafik 3).
Erfahrung aus Restrukturierungsprojekten zeigt überdies, dass neben der Neuordnung von Prozessen und Organisation eine eindeutige Positionierung sowie die Akzeptanz und Förderung neuer Prozesse und Abläufe durch alle Beteiligten, insbesondere das Management, für eine nachhaltige Transformation entscheidend sind. Change Management Programm können die Kontinuität des Wandels deutlich verbessern.