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Deutscher Chemieanlagenbau in schwierigem Umfeld auf Kurs

03.10.2011 -

Deutscher Chemieanlagenbau in schwierigem Umfeld auf Kurs. Die Chemieanlagenbau-Unternehmen der Arbeitsgemeinschaft Großanlagenbau (AGAB) blicken auf ein erfolgreiches Jahr 2008 zurück. Zwar blieb der Auftragseingang von Oktober 2007 bis September 2008 um rund ein Fünftel hinter dem Rekordwert 2007 zurück. Mit Bestellungen von 3,2 Mrd. € wurde dennoch das zweithöchste jemals gemeldete Ergebnis erreicht. Seit Herbst ist allerdings eine spürbare Nachfrageberuhigung festzustellen. Insbesondere für Kunden aus Rohstoffländern hat sich die wirtschaftliche Machbarkeit von Projekten infolge gesunkener Öl- und Gaspreise verschlechtert, so dass die Abwicklung unterbrochen bzw. die Vergabe aufgeschoben wird.

Inlandsbestellungen im Plus

Der Anteil der Inlandsorder am Gesamt-Auftragseingang pendelte in den vergangenen Jahren zwischen 5 und 15 %. Deutschland ist für den AGAB Chemieanlagenbau damit kein Kernmarkt mehr. Gleichwohl sind die Bestellungen im Berichtszeitraum um 13 % auf 247 Mio. € (2007: 149 Mio. €) gestiegen. Ertüchtigungsvorhaben zur Verbesserung der Wirtschaftlichkeit bestehender Anlagen sowie Erweiterungsinvestitionen in der Petrochemie bildeten die Auftragsschwerpunkte.

Beruhigung im Auslandsgeschäft

Von Oktober 2007 bis September 2008 lag der Auslands-Auftragseingang im Chemieanlagenbau bei 92 % und damit deutlich über dem Durchschnitt des gesamten Großanlagenbaus (80 %). Insgesamt sanken die Auslandsorder um 19 % auf 3,0 Mrd. €. Großaufträge wurden vor allem von Kunden aus rohstoffreichen Regionen wie Nordafrika und Südamerika vergeben. Darüber hinaus waren die AGAB-Mitglieder in Ländern mit einer etablierten chemischen Industrie bzw. mit hohen Verbrauchszuwächsen, wie etwa den Niederlanden oder Russland, erfolgreich. Insgesamt akquirierten die Firmen 19 Großaufträge (≥ 25 Mio. €); davon hatten fünf Vorhaben ein Volumen von mehr als 100 Mio. €.

Nordafrika: wichtiger Markt für den Anlagenbau

In den Jahren 2003 bis 2007 war Ägypten der wichtigste Markt für den deutschen Chemieanlagenbau. Mit Bestellungen von mehr als 2,2 Mrd. € profitierten AGAB-Firmen spürbar von umfangreichen Investitionen ägyptischer Petrochemiekonzerne. Von Oktober 2007 bis September 2008 hat sich die Nachfrage deutlich auf 111 Mio. € (2007: 1,2 Mrd. €) abgekühlt. Angesichts der im Großanlagenbau typischerweise stark schwankenden Auftragslage handelt es sich dabei jedoch um eine für die Branche charakteristische Entwicklung.

Gleichzeitig hat mit Algerien ein anderes nordafrikanisches Land zum ersten Mal in großem Stil Anlagen zur Veredelung lokaler Erdgasvorkommen in Deutschland bestellt. Insgesamt summierten sich die Buchungen im Berichtszeitraum auf 1,1 Mrd. € (2007: 128 Mio. €). Im Blickpunkt stand ein Großauftrag zur Errichtung eines Düngemittelkomplexes in Arzew, rund 350 nordwestlich von Algier. Die Fabrik wird aus zwei Ammoniak- und einer Harnstoff-Anlage bestehen und 2011 den Betrieb aufnehmen. Die Produktion ist überwiegend für den Export bestimmt.

Der anhaltende Boom auf dem globalen Markt für Düngemittelanlagen wird durch den überproportional zum Bevölkerungswachstum zunehmenden Bedarf an Düngemitteln begünstigt. Hinzu kommt der steigende Wohlstand, der in vielen Ländern zu einem vermehrten Verzehr von Fleisch und damit zu einem intensiveren Anbau von Futterpflanzen führt. Auch die staatlich geförderte Produktion von Biokraftstoffen wirkt sich Nachfrage verstärkend auf den Düngemittelmarkt aus.

Potential in Lateinamerika

Über Jahre war Trinidad und Tobago der wichtigste Abnehmer deutscher Chemieanlagen in Südamerika. Die Branche begleitete den dortigen Aufbau einer Downstream-Industrie durch die Errichtung zahlreicher Petrochemieanlagen. Im Berichtszeitraum war Venezuela erstmals seit einer Dekade der Top-Markt in der Region. Der Auftragseingang für Chemieanlagen erreichte einen Wert von 447 Mio. € (2007: 436 Mio. €). Besonders hervorzuheben ist ein Auftrag für den Bau einer Düngemittelfabrik in Morón im Bundesstaat Carabobo. Die venezolanische Regierung will mit dieser Investition die lokale Industrie fördern und die Abhängigkeit des Landes von Düngemittelimporten reduzieren. Die Nachhaltigkeit des aktuellen Auftragsbooms muss angesichts der rigiden Verstaatlichungspolitik und sinkender Rohstoffpreise allerdings bezweifelt werden. Die Regierung Chavez hat ihren Investitionsplänen einen Rohölpreis von über 50 US-$ zugrunde gelegt und gerät in der momentanen Baisse in finanzielle Schwierigkeiten.

Als attraktiver Zukunftsmarkt für den Chemieanlagenbau gilt Brasilien. Das bevölkerungsreichste Land Südamerikas verfügt über enorme Ressourcen, z. B. über ergiebige Erdölvorkommen und Erzlagerstätten sowie große Mengen an Biomasse. Dass Brasilien von der internationalen Finanzkrise bisher anscheinend weniger getroffen wurde als andere Regionen, könnte sich in den kommenden Jahren positiv auf die Anlagennachfrage auswirken. Allerdings ist das Land schon seit längerem kein Niedriglohnstandort mehr. Die Stundensätze im Engineering liegen deutlich über dem Niveau in China oder Indien. Außerdem erweist sich die Rechtsprechung in Streitfällen häufig als undurchsichtig. Diese Nachteile werden aber von dem unbestreitbaren Potential Brasiliens, insbesondere seinem großen Binnenmarkt, kompensiert.

Hohe Investitionen in Westeuropa

Die Industrieländer sind mit einem Anteil von über 50 % am Weltumsatz der wichtigste Standort der chemischen Industrie. Im Berichtszeitraum spiegelte sich diese Tatsache auch in der Auftragslage wider: 22 % der Auslands-Order – das entspricht einem Bestellwert von 658 Mio. € – kamen aus dieser Ländergruppe. Mit den Niederlanden (274 Mio. €), Portugal (70 Mio. €) und Italien (43 Mio. €) lagen bedeutende Absatzmärkte in Westeuropa. Mittlerweile sendet die chemische Industrie allerdings eher negative Signale aus. So hat beispielsweise die BASF eine vorübergehende Stilllegung von 80 Anlagen angekündigt. Da viele dieser Produktionsstätten in Europa und Nordamerika liegen, ist 2009 in diesen Regionen nur vereinzelt mit Aufträgen zu rechen. In Kanada kürzt oder verschiebt die Ölsandindustrie Milliarden-Investitionen. Diese Projekte sind – je nach Verfahren – erst ab Preisen von 70 bis 100 US-$ pro Barrel Rohöl wirtschaftlich.

Osteuropa mit hohem Auftragseingang

Aus den übrigen Regionen kamen kaum positive Impulse. Das gilt für sowohl für den Nahen und Mittleren Osten (Auftragseingang minus 90 %) als auch für den asiatisch-pazifischen Raum (Auftragseingang minus 79 %). In Osteuropa und der GUS war die Auftragslage hingegen noch bis Mitte 2008 gut. Die Bestellungen stiegen im Berichtszeitraum um 78 % auf 440 Mio. € (2007: 247 Mio. €). Kernmärkte waren Russland (257 Mio. €), Bulgarien (87 Mio. €) und Rumänien (45 Mio. €). Seit Mitte September ist allerdings ein deutlicher Stimmungsumschwung festzustellen. Zwar ist der Ersatz- und Neubedarf an Chemieanlagen, insbesondere Raffinerien, weiterhin hoch. Die auf Fremdfinanzierungen angewiesenen Investoren erhalten aber derzeit keine Mittel für ihre Projekte. Insbesondere Russland erfüllt die hohen Branchenerwartungen daher momentan nicht.

Aussichten bei Luftzerlegung gedämpft

Bestellungen für Anlagen zur Luftzerlegung sind entsprechend der Systematik der AGAB-Statistik nicht im Auftragseingang des Chemieanlagenbaus enthalten. Dennoch ist dieser Bereich ein wichtiges Segment des Großanlagenbaus, das hier nicht unerwähnt bleiben soll. Luftzerlegungsanlagen waren von Oktober 2007 bis September 2008 stark gefragt. Der Auftragseingang stieg um 96 % auf 1,5 Mrd. € (2007: 770 Mio. €). Mittlerweile ist jedoch ein scharfer Einbruch festzustellen. Vor allem Kunden aus der Stahlindustrie, die für ihre Produktionsprozesse große Mengen an Gasen benötigt, haben Aufträge unterbrochen oder storniert. Voraussichtlich wird sich an dieser Situation in den kommenden Monaten nichts ändern. In Folge der Stahlkrise mussten auch die Anbieter von Kokereien und Elektrolyseanlagen ihre Absatzziele senken.

Verhaltener Optimismus für 2009

Der Ausblick auf 2009 fällt trotz Finanzkrise und Konjunktureinbruch verhalten optimistisch aus. So ist die Auslastung der Unternehmen des Chemieanlagenbaus insbesondere in den Bereichen Fertigung und Detail Engineering nach wie vor sehr hoch. Im Branchenschnitt ist davon auszugehen, dass die bisher akquirierten Aufträge die Auslastung der Kapazitäten bis mindestens Sommer/Herbst 2009 sichern werden. Als Puffer für die Zeit danach können der Abbau von Überstunden und Urlaubstagen sowie die Reduzierung der Leiharbeiterquote dienen.

In jedem Fall ist für das kommende Jahr aber von sinkenden Auftragseingängen auszugehen. Die Nachfrage nach Chemieanlagen sollte sich etwa auf dem Durchschnittsniveau der Jahre 1998 bis 2007 von gut 2 Mrd. € einstellen. Gegenüber 2008 entspricht das einem Rückgang des Ordervolumens um rund ein Drittel. Der Wettbewerb um die verbleibenden Projekte wird somit härter werden. Vermehrt werden sich an den Ausschreibungen auch bisher unbekannte Wettbewerber aus China und Indien beteiligen.

Langfristig sind die Perspektiven des Industriezweigs aber ausgezeichnet. Angesichts einer wachsenden Weltbevölkerung und steigender Wohlstandsniveaus nimmt der Bedarf an Chemikalien und damit auch an Chemieanlagen kontinuierlich zu. Vor allem im Nahen und Mittleren Osten ist der Bau riesiger Raffinerien und Petrochemiekomplexe im zweistelligen Milliarden-Dollar-Bereich geplant, deren Realisierung im Boom aufgrund exorbitanter Investitionskosten verschoben wurde und die nun wieder bezahlbar erscheinen. Allerdings spekulieren auch hier zahlreiche Kunden auf weiter fallende Preise oder fordern diese bei den Anlagenbauern aktiv ein. Auf absehbare Frist wieder steigende Öl- und Gaspreise werden ferner die Budgets der Kunden aus Rohstoffländern füllen. Viele der derzeit verschobenen Projekte sollten spätestens dann erneut auf die Agenda kommen.

Kontakt:
Klaus Gottwald
Arbeitsgemeinschaft Großanlagenbau
des VDMA, Frankfurt
Tel.: 069/6603-1264
Fax: 069/6603-2264
klaus.gottwald@vdma.org
www.grossanlagenbau.vdma.org