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Clariant produziert die Autolacke von morgen

03.01.2012 -

Clariant produziert die Autolacke von morgen

Weiße Autos mit goldenem Schimmer werden in Zukunft ebenso zum Straßenbild gehören wie knallig orange lackierte. Das zumindest sagen die Stylisten der Automobilhersteller voraus. Wer angesichts der neuen Farbtöne noch skeptisch den Kopf schüttelt, darf sich derweil über die verbesserten Eigenschaften der Lacke freuen. Sie sind kratzfester, wetterbeständiger und warten mit einigen Überraschungen auf. Was kommt und was nicht, was schon mal da war und was noch fehlt, weiß Gerhard Wilker, Senior Technical Manager Automotive im Bereich Pigmente und Additive bei Clariant in Frankfurt. Im Gespräch mit Dr. Uta Neubauer gibt er einen Einblick, wer die Farbtöne der Autos festlegt, die in zwei bis drei Jahren auf unseren Straßen fahren.

CHEManager: Herr Wilker, deutsche Autofahrer bevorzugen silberne, schwarze und blaue Pkw. Da fällt es auf, dass Ford den Focus ST im Ton „Electric Orange“ anbietet. Dürfen wir zukünftig mit mehr Farbtupfern im Straßenbild rechnen?

Gerhard Wilker: Die Prognosen von den Stylisten der großen Lackhersteller und der Automobilindustrie sind eindeutig: Silber hat seinen Höhepunkt überschritten. Es wird wieder bunter. Das sieht man auch an den Zulassungszahlen in Deutschland. Im Jahr 2005 waren noch 46 % der Neuwagen Silber, im vergangenen Jahr waren es nur noch 42 %. Der Trend geht also weg vom Silber, hin zu dunkleren Grautönen. Auch Schwarz steigt. Das ist zwar immer noch wenig bunt, aber die aktuellen Zahlen zeigen auch, dass sich Rot etwas erholt hat, von 4,2 auf 5,1 %. Und Orange ist zum ersten Mal in der Rangliste drin. Auch in unserem neuen Styling-Konzept finden sich einige kräftige Sonderfarbtöne, beispielsweise ein knalliges Grün mit Glimmereffekt.

CHEManager: In Japan sind weiße Autos beliebt. Angeblich kommt Weiß auch bei uns in Mode. Können Sie das bestätigen?

Gerhard Wilker: Weiß steigt im Moment erst leicht. Aber wir kennen schon die Konzepte der Autohersteller für die nächsten Modelljahre. Ja, der Trend geht zu Weiß, aber in Sonderfarbtönen. Die weiße Grundierung mit Effekt, etwa mit leichtem Goldschimmer, wird kommen.

CHEManager: Wer setzt den Trend? Wie kommt ein Hersteller auf die Idee, seine Autos in knalligen Farben oder in glitzerndem Weiß zu lackieren?

Gerhard Wilker: Wenn Sie Farbtrends über lange Zeitzyklen verfolgen, erkennen Sie für viele Töne gewisse Sinuskurven. In den Neunzigerjahren war ein Viertel der Autos Rot. Dann waren rote Lacke weniger beliebt, jetzt kommen sie wieder. Wenn die Leute also jahrelang kaum rote Autos gesehen haben, schlagen das die Stylisten der Automobilhersteller vor, oft im Einklang mit der Lackindustrie. Wir sehen die zukünftigen Farbtöne meist zwei bis drei Jahre im Voraus. Es gibt so genannte Konzepttafeln. Unsere Kunden, die Lackhersteller, bekommen diese Tafeln, um den Farbton nachzustellen. Sie müssen dann Pigmentierungsvorschläge machen, um später eine Freigabe für die Linie zu bekommen.

CHEManager: Mischen Sie die neuen Farbtöne aus bekannten Pigmenten oder entwickeln Sie dafür neue Verbindungen?

Gerhard Wilker: Clariant zählt zu den wenigen Firmen, die noch eine eigene Pigmententwicklung betreiben. Stark aufgestellt sind wir bei den Uni-Farbtönen. Clariant erforscht neue Farbpigmente und optimiert bereits bekannte für neue Lacksysteme, beispielsweise für Wasserlacke. Fast 80 % der Farbtöne sind ja heute Metallics oder Töne mit neuen Effektpigmenten. Hier lässt sich der vom Betrachtungswinkel abhängige Farbtonwechsel durch gezielte Kombination von Pigmenten je nach Wunsch einstellen.

CHEManager: Stecken in Autolacken eher organische oder anorganische Pigmente?

Gerhard Wilker: Es ist ein Mix aus beidem. Effektlacke enthalten im Minimum meist acht bis neun Pigmente, ein einfacher Uni-Lack mindestens vier. Automobillacke enthalten heute im Wesentlichen keine bedenklichen Schwermetallen mehr, sind also beispielsweise Blei- und Chromat-frei pigmentiert. Bis vor einigen Jahren haben französische Automobilhersteller aus ökonomischen Gründen noch Molybdatrot verwendet. Auch das ist jetzt passé.

CHEManager: Ältere rote Autos sehen oft ausgeblichen und stumpf aus.

Gerhard Wilker: Ja, weil sie noch nach der alten Ein-Schicht-Technik lackiert wurden. Heute sind das alles Zwei- Schicht-Lackierungen aus einem Basislack, der die Pigmente enthält, und einem Klarlack mit Lichtschutzmitteln. Das sieht besser aus und glänzt mehr.

CHEManager: Apropos Glanz: Statt hochglanzpolierten könnten zukünftig matte, fast stumpfe Karosserien Aufsehen erregen. Auf dem Genfer Auto-Salon kürzlich zeigte sich der Rolls-Royce Phantom ganz matt in Schwarz. Auch Daimlerchrysler fertigt den Mercedes- Benz SLK schon in mattem Grau. Wie beurteilen Sie diesen Trend?

„Der Trend geht weg vom Silber, hin zu dunkleren Grautönen. Auch Orange ist im Kommen.“

Gerhard Wilker: Ich sehe ein Problem bezüglich der Reinigung. Die Poren könnten sich zusetzen. Man müsste den Lotuseffekt, den Abperleffekt, in Autolacke einbauen, um das zu verhindern. Ideen in diese Richtung gibt es schon, aber noch sind sie nicht reif für die Anwendung.

CHEManager: Die Serien-Lackierung von Autos ist ein anspruchsvoller mehrstufiger Prozess. Die ersten beiden Schichten, also die Phosphatierung und die kathodische Tauchlackierung, dienen dem Korrosionsschutz, anschließend wird ein schleifbarer Füller aufgebracht, der die Oberfläche glättet. Dann erst folgt der Basislack mit den Pigmenten und als abschließende Schicht noch der Klarlack.  Welche Bestrebungen gibt es den Prozess zu vereinfachen?

Gerhard Wilker: Man versucht, verschiedene Schichten zu vereinen, beispielsweise die kathodische Tauchlackierung für den Korrosionsschutz mit dem Füller oder den Füller mit dem Basislack. Ziel ist, einen Einbrennvorgang wegfallen zu lassen und so Energie zu sparen. Ein anderer technischer Trend ist die zunehmende Verwendung von Wasserlacken, bedingt auch durch die VOC-Richtlinie. Die meisten Basislacke sind heute Wasserlacke. Allerdings enthalten sie für die Filmbildung noch einen gewissen Anteil an organischen Lösemitteln. Bei den Klarlacken werden immer häufiger Pulverlacke eingesetzt. Namhafte Automobilhersteller verwenden solche Systeme bereits seit Jahren mit Erfolg.

CHEManager: Sind die neuen Lacke kratzfester?

Gerhard Wilker: Die ersten Lackhersteller bieten kratzfestere Klarlacke an. Es gibt da verschiedene Möglichkeiten. Beispielsweise führen modifizierte Harze oder der Zusatz von anorganischen Nanopartikeln zu einem härteren Lackfilm. Clariant entwickelt auch Zusatzstoffe für solche kratzfesteren Lacke.

CHEManager: Schrammen könnten in Zukunft sogar von selbst verschwinden. Dafür wird an Lacken geforscht, die unter Hitze, unter Sonneneinstrahlung, wieder zusammenfließen. Was halten Sie von diesem Effekt?

Gerhard Wilker: Reflow-Effekte kannte man schon in den Siebzigerjahren in den USA bei der thermoplastischen Acrylharz- Technik. Es gibt zwar wieder einen Trend zu selbst heilenden Lacken mit Reflow-Effekt, aber über die zukünftige Verwendung solcher Systeme wage ich keine Aussage zu machen.

CHEManager: An der Entwicklung von neuen Autolacken sind mehrere Partner beteiligt: die Automobilindustrie, die Lackhersteller und Firmen wie Clariant, die Pigmente und andere Zutaten für Lacke entwickeln und liefern. Wie gestaltet sich die Zusammenarbeit?

Gerhard Wilker: Unser Ansprechpartner ist die Lackindustrie. Zu den Automobilherstellern gehen wir nur in Ausnahmefällen und grundsätzlich nur auf Einladung. Sie können natürlich einen Termin ausmachen mit einem Automobilhersteller – aber wehe, wenn Sie dort Dinge vorstellen, die der Lackindustrie nicht gefallen, wenn Sie etwas zeigen, das für die Linie nicht machbar ist, weil es nicht ausreichend deckt oder nicht wetterecht ist. Letztendlich ist ja die Lackindustrie dafür verantwortlich, dass sich der Automobilfarbton auf der Linie applizieren lässt. Wenn wir zu Stylingpräsentationen eingeladen sind, zeigen wir ausschließlich Farbtöne, die gemäß Prüfbedingungen für die Linie geeignet sind. Bevor wir also unser Stylingkonzept präsentieren, haben wir Bewitterungstests begonnen, haben Modellkarossen, so genannte Carbodies, lackiert und das Deckvermögen geprüft.

Wenn ein Pigment auf der Linie nicht deckt, brauchen wir gar nicht erst damit anzutreten. Wir müssen Dinge liefern, die schlicht und ergreifend machbar sind. Trotzdem betrachten wir natürlich die Trends – sowohl den Ist-Zustand als auch den Langzeittrend. Damit versorgen wir auch die Stylisten der großen Lackhersteller. Wenn etwa die Design-Verantwortlichen eines Autolackherstellers bei uns anrufen und Informationen über Farbtöne aus den Fünfzigerjahren brauchen, suchen wir die alten Lackmusterkarten für sie raus.

„Wir müssen Dinge liefern, die schlicht und ergreifend machbar sind.“

CHEManager: Die Autolacke von morgen werden der Karosserie nicht nur Farbe, sondern auch zusätzliche Funktionen verleihen. Bestimmte Pigmente etwa könnten verhindern, dass sich schwarze Autos im Sommer aufheizen. Was halten Sie von der Idee?

Gerhard Wilker: Solche Pigmente werden bereits in anderen Bereichen eingesetzt, beispielsweise bei Beschichtungen von Hausdächern, um die Wärmeaufladung zu vermeiden. Es sind vor allem anorganische Pigmente, die im Infrarot-Bereich reflektieren. Allerdings basieren schwarze Autolacke in der Regel auf Ruß – und Ruß zeigt diesen Effekt nicht. Es gibt zwar Infrarot-reflektierende Schwarzpigmente, aber sie eignen sich weniger für die Formulierung eines tiefen Schwarztons.

CHEManager:  Man hört von noch viel ausgefalleneren Ideen: Pigmente in Autolacken sollen zukünftig Strom erzeugen und die Lichtmaschine entlasten. Auch an Lacken mit Chamäleoneffekt, die ihre Farbe ändern können, wird geforscht.

Gerhard Wilker: Ja, es gibt alle möglichen Dinge. Ich will nicht sagen, dass solche Lacke nicht kommen werden, aber es wurde schon viel angedacht. Ich orientiere mich da eher an der Praxis.