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Wittenberg-Prozess bringt neue Qualität in den Dialog der Sozialpartner

Verantwortliches Handeln in der sozialen Markwirtschaft

24.08.2011 -

Vor dem Hintergrund der Globalisierung hat das Ansehen der sozialen Marktwirtschaft Schaden genommen. Nur rund ein Drittel der Deutschen befürwortet heute noch dieses Modell, rund 60 % halten die wirtschaftlichen Verhältnisse in unserem Land für ungerecht - so die Ergebnisse einer Umfrage des Allensbach-Institutes. Die Chemie-Sozialpartner wollen diesem Akzeptanzverlust entgegenwirken. Dr. Andrea Gruß befragte dazu Michael Vassiliadis, Vorsitzender der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE), bei den Wiesbadener Gesprächen zur Sozialpolitik des Arbeitgeberverband HessenChemie.

Herr Vassiliadis, wie ist es um das Vertrauen in die soziale Marktwirtschaft bestellt?

Michael Vassiliadis: Wirtschaftliche Freiheit erfordert auch soziale Verantwortung. Dieser Grundsatz wird von den Menschen weiterhin geteilt. Das Modell der sozialen Marktwirtschaft basiert auf diesem Grundsatz, ist aber in den letzten Jahren durch viele Gegner und Angriffe diskreditiert worden. Ich bin jedoch optimistisch, dass wir verloren gegangenes Vertrauen zurückgewinnen können. Allerdings weniger mit Worten als mit Taten.

Welchen Beitrag kann die Sozialpartnerschaft dazu leisten?

Michael Vassiliadis: Sozialpartnerschaft braucht soziale Marktwirtschaft und umgekehrt. Die Sozialpartnerschaft ist eine wichtige Grundlage, um die großen Zukunftsfragen gestalten zu können. Dazu gehören globale Fairness, Beteiligung und Teilhabe der Beschäftigten, Umwelt- und Ressourcenschonung. Selbstverständlich gehört dazu auch, Voraussetzungen zu schaffen, dass die ­deutschen Unternehmen im internationalen Wettbewerb auch künftig erfolgreich sein können.

Eine aktuelle Studie der Universität Witten/Herdecke im Auftrag der Chemie-Stiftung Sozialpartner Akademie befasst sich mit der Leistungsfähigkeit der Sozialpartnerschaft. Mit welchem Ergebnis?

Michael Vassiliadis: Die Studie ist ein eindrucksvoller Beleg für den erfolgreichen sozialpartnerschaftlichen Weg in der chemischen Industrie. Wir haben die schwerste Wirtschaftskrise in der Nachkriegszeit schnell und gut gemeistert und schon früh die Weichen für einen neuen Aufschwung gestellt. Das belegt eindrucksvoll: Sozialpartnerschaft ist kein Schönwettermodell, sie trägt auch in der Krise.

Gilt das auch für die Mitbestimmung?

Michael Vassiliadis: Die Studie belegt, dass die Mitbestimmung in Deutschland keine ökonomischen Nachteile bewirkt, sondern im Gegenteil zum Unternehmenserfolg beiträgt. Mitbestimmung ist ein Standortvorteil, sie gehört zur Kultur unseres Landes. Wer vor allem an schnellen Entscheidungsprozessen interessiert ist, mag möglicherweise woanders besser aufgehoben sein. Wer jedoch strategisch denkt, langfristig Innovationspotentiale nutzen will und auf Nachhaltigkeit setzt, wird in Deutschland investieren.

Welche Rolle spielt dabei der Wittenberg-Prozess bei der Sozialpartnerschaft?

Michael Vassiliadis: Der Wittenberg-Prozess ist ein offener und freiwilliger Dialog, bei dem die Chemie-Sozialpartner gemeinsam Maßstäbe für ein werteorientiertes Handeln definieren. Die Ergebnisse der ersten fünf Workshops zu den Themen unternehmerischer Erfolg, gute Arbeit, Nachhaltigkeit, Globalisierung und Qualifikation wurden im Jahr 2008 in Leitlinien für „Verantwortliches Handeln in der Sozialen Marktwirtschaft" zusammengefasst. Diese Ergebnisse müssen nun auch die Praxis in den Betrieben prägen. Aber es geht bei Wittenberg nicht nur um vorzeigbare Ergebnisse, sondern auch den Prozess an sich.

Können Sie diesen näher beschreiben?

Michael Vassiliadis: Beim Wittenberg-Prozess stellen Arbeitnehmer und Arbeitgeber die Gemeinsamkeiten und nicht die Gegensätze in den Vordergrund. Dazu müssen zunächst überkommene Gewohnheiten infrage gestellt werden. Die Dialogpartner müssen vom Problemmodus in einen Denkmodus schalten. Das gelingt meist schon über die richtige Fragestellung: Statt darüber zu diskutieren, ob es genügend gute Arbeit gibt, wird gemeinsam darüber nachgedacht, was die Voraussetzungen für gute Arbeit sind. Gemeinsam über das Ziel in der Zukunft nachzudenken und sich dann den Freiraum zu schaffen, rückwärts zu gehen in die Gegenwart, das ist eine völlig neue Qualität der Sozialpartnerschaft. 

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