Megatrend Megacities
Evonik entwickelt Innovationen für Großstädte
Wie wird die Welt von morgen aussehen? Was brauchen Menschen, die in großen Städten wohnen, in 20 Jahren? Diese Fragen stellt sich ein Team an Zukunftsforschern bei Evonik, um eigene Zukunftsmärkte frühzeitig zu identifizieren. Dr. Michael Reubold und Dr. Andrea Gruß befragten dazu Patrik Wohlhauser, Mitglied des Vorstands bei Evonik Industries.
CHEManager: Herr Wohlhauser, welche Rolle spielen Megatrends für Evonik?
Patrik Wohlhauser: Wir sind überzeugt, dass Geschäfte, die von diesen Trends profitieren, überdurchschnittlich wachsen werden, und richten daher unsere Wachstumsstrategie an langfristigen, weltweiten Megatrends aus. Dabei konzentrieren wir uns auf die Trends Gesundheit, Ernährung, Ressourceneffizienz und Globalisierung. Hier umfasst unser Portfolio sehr viele Geschäfte, in denen Evonik eine führende Wettbewerbsposition einnimmt. Ein Beispiel sind Aminosäuren für die Tierernährung. Wir sind weltweit größter Hersteller für D,L-Methionin und weltweit das einzige Unternehmen, das neben D,L-Methionin die drei Aminosäuren Biolys als L-Lysin-Quelle, L-Threonin und L-Tryptophan vermarktet. Wir profitieren besonders stark von der zunehmenden Urbanisierung; denn Studien haben gezeigt: Menschen, die in Großstädten leben, essen mehr Fleisch.
Wie identifizieren Sie weitere zukunftsträchtige Geschäfte?
Patrik Wohlhauser: Um systematisch neue potentielle Wachstumsfelder zu identifizieren, verfolgen wir bei Evonik Ansätze wie Open Innovation und investieren über Corporate Venturing in vielversprechende Start-ups. Darüber hinaus haben wir mit dem Corporate-Foresight-Team eine eigene Kompetenz in der Zukunftsforschung aufgebaut. Das Team analysiert Geschäfte in der Spezialchemie mit einem Zeithorizont von 10-15 Jahren. Auf Basis von Trendanalysen werden Herausforderungen und künftige Bedürfnisse identifiziert, die die Märkte von morgen bewegen werden. Aktuelles Schwerpunktthema ist Megacities, denn das Leben in großen Städten wird stark von den eingangs genannten Megatrends beeinflusst.
Wie viele Menschen leben derzeit in Städten?
Patrik Wohlhauser: Schon heute lebt mehr als die Hälfte aller Menschen in Städten. Experten schätzen, dass dieser Anteil bis zum Jahr 2050 auf 70 % steigt und die Städte größer werden. Während es 1950 mit New York genau eine Megacity gab, zählen wir heute rund 20 Megacities mit jeweils mehr als 10 Mio. Einwohnern. Ihre Zahl wird weiter steigen.
Ist Megacity gleich Megacity? Oder gibt es Unterschiede?
Patrik Wohlhauser: Wir haben in das Jahr 2020 geschaut und drei fiktive Cluster von Megacities identifiziert. Da gibt es zum einen den Typ „Espoire 2020", eine „chaotische" Großstadt, aktuelle Vorbilder können Lagos oder auch São Paulo sein. Diese Städte sind häufig nicht geplant, sie wuchern in alle Richtungen und benötigen zum Beispiel eine deutlich bessere Infrastruktur. Ganz im Gegensatz zu Schanghai, das über einen Masterplan „Wie sieht die Stadt im Jahr 2050 aus?" verfügt. Solche „modernen" Megacities vom Typ „Shendang 2020" sind klar strukturiert und organisiert. Der dritte Typus ist die „alternde" Megacity „Lone City 2020" - Städte wie London, mit guter Infrastruktur, aber einer stagnierenden Bevölkerung, die zudem immer älter wird, dienen als Vorbild. Je nach Typ liegen die Herausforderungen anders. London braucht weniger Infrastruktur als Lagos. In Shanghai gibt es ein enormes Platzproblem. Hier sind Themen wie Luftverschmutzung und Elektromobilität in aller Munde.
Welches sind die gemeinsamen Herausforderungen der Megacities? Welche Lösungen bietet Evonik hierfür?
Patrik Wohlhauser: Verkehrssysteme, Energieversorgung, Wohnraum, Wasser- und Lebensmittelversorgung, und nicht zuletzt die Umweltverschmutzung sind große Herausforderungen in diesen Riesenstädten. Wir haben bereits heute eine Vielzahl von Produkten im Portfolio, mit denen wir dazu beitragen können, diese Herausforderungen zu meistern.
Zur Verringerung von Lärm und Emissionen sowie zur Entlastung des Parkplatzbedarfs bietet sich beispielsweise der Einsatz kleiner, wendiger Elektrofahrzeuge an. Hierfür stellt Evonik chemische Batteriezellkomponenten für großformatige Lithium-Ionen-Speichersysteme her.
Je nach Region ist in dicht besiedelten Städten der Bedarf nach Kälte eine mindestens so große Herausforderung wie die umfassende Versorgung mit Wärme. Kälte für Klimatisierungs- oder Industrieanwendungen aus Wärme zu erzeugen, gelingt nachhaltig mit sogenannten Absorptionskältemaschinen, indem diese z. B. mit Abwärme oder Sonnenwärme angetrieben werden. Dies könnte künftig mit chemischen Systemlösungen von Evonik gelingen. Auch die Beleuchtung einer Megacity stellt eine Herausforderung dar. Oft ist es viel zu hell. Menschen beklagen sich, dass sie nicht mehr richtig schlafen können. Plexiglas von Evonik bietet Möglichkeiten für die Entwicklung neuer Beleuchtungskonzepte.
Welche Motivation steckt hinter der konsequenten Ausrichtung Ihrer Strategie und Forschung nach Megatrends?
Patrik Wohlhauser: Haupttreiber ist eine enge Verzahnung mit den Kunden und Märkten. Wir waren zwar auch in der Vergangenheit sehr kundenorientiert, haben uns dabei aber eher technologiegetrieben aufgestellt. Spezialchemie und Feinchemie, das waren unsere Überschriften. Heute kommen wir von den Märkten und beschreiben zunächst die Bedürfnisse der Kunden, der Gesellschaft - die Megatrends geben hier die Richtung vor.
Hinzu kommt: In vielen unserer Kundenindustrien haben sich die Produktlebenszyklen stark verkürzt. Einige Unternehmen in der Kosmetikindustrie generieren heute 50 % des Umsatzes mit Produkten, die nicht älter als ein Jahr sind. Daher gilt auch für Evonik: Wir müssen schneller innovieren, effizienter innovieren, und das können wir nicht mehr allein. Open Innovation ist für uns unabdingbar. Wir müssen uns in der Forschung noch stärker öffnen.
Wie gehen Sie dabei vor?
Patrik Wohlhauser: Im Jahr 2011 haben wir 365 Mio. € in Forschung und Entwicklung investiert, davon flossen 80 % in die Forschungsaktivitäten der Geschäftseinheiten und 20 % in die strategische Forschung. Unser Innovationsmanagement wollen wir weiter verbessern und so vermehrt radikale Innovationen hervorbringen. Wir haben 2012 erstmals eine zweitägige Open-Innovation-Messe veranstaltet, bei der sich interne und externe Experten über Open Innovation, Open Ideation, Crowdsourcing und die Nutzung von Social-Media-Applikationen ausgetauscht haben. Auf einer speziellen Online-Plattform haben wir gerade einen Ideenwettbewerb abgeschlossen. Über eine entsprechende firmeninterne Plattform können Mitarbeiter Informationen effektiv austauschen.
Welche Rolle spielt Corporate Venturing in Ihrer Forschungsstrategie?
Patrik Wohlhauser: Wir agieren hier als strategischer Investor und investieren in innovative Start-ups, deren Technologien zu unserer Wachstumsstrategie passen und die uns einen schnelleren Zugang zu diesen Technologien ermöglichen. Insgesamt wollen wir mittelfristig
100 Mio. € in Corporate Venturing investieren. Dabei planen wir 15-20 Direktinvestments in Start-ups und 4-5 Investitionen in große Fonds, wie z. B. den deutschen High-Tech Gründerfonds, in dem wir uns seit März 2012 engagieren. International investieren wir in den Pangaea Venture Fonds in Nordamerika und prüfen derzeit unser Engagement in Asien.
Welche Rolle spielt Deutschland als Forschungsstandort für Evonik?
Patrik Wohlhauser: Deutschland ist ein exzellenter Innovationsstandort mit hoch qualifizierten Mitarbeitern und einer hervorragenden Infrastruktur. Wir verfügen hier über eine sehr gute Vernetzung mit Hochschulen und Universitäten. Das ist auch der Hauptgrund, wieso wir immer noch mit Abstand die meiste Forschung in Deutschland betreiben.
Aus unserer Sicht verfügt Nordamerika über eine hervorragende Infrastruktur für Forschung. Hier wollen wir stärker aktiv werden, uns mit großen Universitäten vernetzen und haben bereits einige Kooperationsvereinbarungen unterschrieben. Auch in Asien bieten sich interessante Möglichkeiten. Dort gibt es viele motivierte Studenten und Forscher, die an naturwissenschaftlichen Themen arbeiten. Auch das wollen wir nutzen. Ein Schritt in diese Richtung ist unsere strategische Partnerschaft mit der renommierten Shanghai Jiao Tong University.